Essen. Der Radrennfahrer Täve Schur gilt als die populärste Figur der DDR-Sportgeschichte. Ein zweiter Platz zementierte seinen Ruf.

Sehr grobkörnige Filmaufnahmen, mehr verwaschenes Grau in Grau als klares Schwarzweiß, lassen die Bedeutung des Jubilars erahnen. Dicht gedrängt jubeln Hunderttausende der vorbeirauschenden Figur zu. Die Menschen feiern Täve Schur, bis heute die populärste Figur der DDR-Sportgeschichte. Die Zieleinfahrt auf dem Sachsenring des Radrennfahrers Täve – eigentlich Gustav Adolf – Schur, der an diesem Dienstag 90 Jahre alt wird, wurde 1960, wie man es heute nennen würde, zum Mega-Event.

Der im sachsen-anhaltinischen Heyrothsberge geborene Schur war ein Ausnahmesportler. Er gewann zweimal die Internationale Friedensfahrt, 1956 und 1960 in einer noch gesamtdeutschen Mannschaft olympische Medaillen und zweimal die Weltmeisterschaft der Straßen-Rennradfahrer. Vor allem die Titel 1955 und 1959 sowie zahlreiche Etappensiege bei der Internationalen Friedensfahrt, nach dem 2. Weltkrieg als Alternative zur Tour de France etabliert, ragen heraus.

Wichtigster Sporterfolg der jungen DDR

In der Rückschau macht sich Täve Schur über einen Radioreporter lustig, der damals beim ersten Sieg beim härtesten Amateurradrennen der Welt ins Mikrofon „Wir haben gewonnen“ geschrien hatte: „Ich hab‘ damals gedacht, was sagt denn der da. Ich habe doch gewonnen. Und dann fiel mir auf: Er hat ja recht. Die DDR hat gewonnen – und wenn wir nicht alle zusammenhalten, werden wir nicht stark.“ Tatsächlich stellte der Sieg bei der Friedensfahrt den wichtigsten Sporterfolg der jungen DDR dar. Es entwickelte sich sogar eine Art Starkult. Ob Frühstück oder Hochzeitsplanung – das junge Fernsehen war oft dabei, seinen Ruf zementierte der Sportler aber mit einem zweiten Platz.

Wird am Dienstag 90 Jahre alt: Täve Schur
Wird am Dienstag 90 Jahre alt: Täve Schur © dpa

Bei der Heim-WM 1960 hätte er selbst um den Sieg mitfahren können, traf jedoch im Duell mit einem Konkurrenten eine taktische Entscheidung, die seinem Team-Kollegen Bernhard Eckstein den Titel brachte, während er selber „nur“ auf den zweiten Platz fuhr. Die Geburt eines Mythos.

Henry Maske als Fürsprecher

Nur ein Radfahrer? Täve Schur wurde in der DDR neunmal zum Sportler des Jahres gewählt. Selbst Menschen, die in der DDR lange, nachdem Schur seine Karriere beendet hatte, geboren wurden, bekamen bis in dieses Jahrtausend leuchtende Augen, wenn der Name fiel.

Weil er sich der spätere SED-Volkskammerabgeordnete von den Verfehlungen der DDR-Führung nicht distanzieren mochte, insbesondere das Staatsdoping an Jugendlichen nicht verurteilen mochte, blieb ihm die Aufnahme in die gesamtdeutsche „Hall of Fame“ des Sports verweigert – obwohl er Fürsprecher hatte: Henry Maske sagte: „Was Täve Schur für den Sport geleistet hat, ist ohne Frage vergleichbar mit vielen anderen, die auf der Ebene längst angekommen sind.“

Und heute? Stellt Täve Schur ein Schild im Garten auf, damit die Fans wegbleiben. Corona ist ihm bei aller Freude über die Verehrung zu gefährlich.