Melbourne/Hamburg. Jan-Lennard Struff spricht im Interview über die Quarantäne vor den Australian Open und seine Freude auf die Olympischen Spiele.

Dieser Sonnabend wird ein besonderer Tag für Jan-Lennard Struff. Nach zwei Wochen Quarantäne in einem Hotel in Melbourne, die er immerhin täglich für einige Stunden zum Training unterbrechen durfte, ist der zweitbeste deutsche Tennisprofi von heute an wieder ein „freier Mann“. Das will der 30 Jahre alte Weltranglisten-37. aus Warstein für einen Ausflug zum Strand nutzen, und dafür, sich mit dem deutschen Team zu treffen, mit dem er von Mittwoch an beim ATP-Cup antritt.

Mit diesem werden die „Festspielwochen“ in Australien – Höhepunkt sind die Australian Open vom 8. bis 21. Februar – eingeläutet. Mit Alexander Zverev (23/Hamburg) und dem Doppel Kevin Krawietz (29/Coburg)/Andreas Mies (30/Köln) trifft Struff in der Gruppenphase auf Kanada (Mi., 0 Uhr) mit den Topspielern Denis Shapovalov (21/Nr. 12) und Milos Raonic (30/Nr. 15) sowie Titelverteidiger Serbien (Do., 0 Uhr deutscher Zeit) mit dem Weltranglistenersten Novak Djokovic (33). Die Sieger der vier Vorrundengruppen erreichen das Halbfinale. Im Interview spricht Struff über seine Erfahrungen in der Quarantäne, seine Vorfreude auf Olympia und die Hoffnung auf den ersten ATP-Titel seiner Karriere.

Herr Struff, wie übersteht man 14 Tage Quarantäne, wenn draußen 30 Grad sind und man sich eigentlich auf das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres vorbereiten muss?

Jan-Lennard Struff: Das Wort überstehen klingt zu negativ. Wir hatten schließlich alle ein schönes Hotelzimmer. Da geht es vielen Menschen auf der Welt, die in Quarantäne müssen, deutlich schlechter. Und ich habe mich recht schnell daran gewöhnt, viel auf dem Zimmer zu sein. In den ersten Tagen war es etwas ungewohnt, aber die zweite Woche ging doch recht schnell vorüber. Ich hatte genug Ablenkung.

Struff kann in Quarantäne trainieren, andere Tennis-Profis nicht

Vor allem aber gehörten Sie zu den Profis, die täglich zum Training das Hotel verlassen durften. Insgesamt 72 Spielerinnen und Spieler mussten strikt im Zimmer bleiben, weil auf ihren Flügen infizierte Passagiere waren. Sind die Australian Open unter diesem Gesichtspunkt irregulär?

Jan-Lennard Struff: Ich kann zumindest verstehen, dass einige über diese Regelung unzufrieden sind. Ohne Frage ist das hart, denn wer 14 Tage nur auf dem Zimmer Sport machen durfte, dem fehlte einfach die Chance, sich ordentlich vorzubereiten. Außerdem braucht es Zeit, um sich an die klimatischen Bedingungen anzupassen. Die vergangenen Tage war es zwar nicht wärmer als 25 Grad, aber in der ersten Woche waren es auch mal fast 40. Zwar haben alle noch eine Woche Zeit, sich zu akklimatisieren, aber für die, die durchgehend eingesperrt waren, wird es brutal hart. Dennoch darf ich kein Mitleid haben, wenn ich gegen solche Spieler spielen muss, denn es ist ein Wettkampf, es geht ums Gewinnen.

Immerhin haben Tennisprofis die Chance, ihrem Beruf nachzugehen, während andere Sportarten keine Wettkämpfe anbieten und diverse Branchen komplett geschlossen sind. Jammern manche Ihrer Kollegen zu viel?

Jan-Lennard Struff: Manche sind sicherlich zu ich-bezogen. Ich habe mich auch darüber geärgert, dass einige darüber geklagt haben, dass das Essen, das sie dreimal am Tag geliefert bekommen, schlecht sei. Hallo? Wir bekommen Essen umsonst und sogar noch Geld, um uns welches zu bestellen, und dann wird darüber gemeckert? Das kann man anders kommunizieren. Deshalb möchte ich nochmals betonen: Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass uns überhaupt die Chance gegeben wird, nach Australien, das sich von der Außenwelt rigoros abschottet, einreisen zu dürfen und hier Turniere zu spielen. Das ist ein Privileg, das nicht viele haben, und das wir zu schätzen wissen sollten.

Am Hamburger Rothenbaum wurde vor Zuschauern Tennis gespielt

Tatsächlich war Tennis eine der Sportarten, in denen 2020 vieles möglich war. Ist das dem Glück geschuldet, dass man es auf Abstand und draußen betreiben kann, oder sind Tennisprofis und -veranstalter härter im Nehmen?

Jan-Lennard Struff: Ich habe mich auch sehr darüber gewundert, dass wir so viel spielen konnten, vor allem, weil wir so viel durch die Welt reisen müssen. Immerhin haben drei von vier Grand-Slam-Turnieren stattgefunden, auch in Hamburg am Rothenbaum durften wir sogar vor Zuschauern spielen. Natürlich sind die Rahmenbedingungen im Tennis günstiger als im reinen Hallensport, aber ich glaube auch, dass man den Turnierveranstaltern ein großes Lob zollen muss. Viele machen sich nicht klar, wie viel Engagement die in die Organisation stecken, um eine Art Normalität zu schaffen. Das ist großartig. Ich hoffe, dass wir auch in diesem Jahr einen guten Kalender haben werden.

Sollte Deutschland tatsächlich den Flugverkehr drastisch herunterfahren, wäre es für Sie sehr schwierig, Ihren Beruf weiter auszuüben. Wie denken Sie über diese Pläne?

Jan-Lennard Struff: Ich hatte das bis Donnerstag gar nicht mitbekommen, meine Mutter hat es mir erzählt. Natürlich wäre das ein harter Einschnitt, denn das Reisen gehört für uns dazu. Ich warte erst einmal ab, was die Politik entscheidet. Aber wenn es notwendig ist, um die Pandemie einzudämmen, dann habe ich es zu akzeptieren. Tennis muss sich dem dann selbstverständlich unterordnen.

Struff ist vor dem ATP-Cup gut in Form

Bis zum Rückflug ist ja noch Zeit, zunächst steht kommende Woche der ATP-Cup an. Sie konnten als Team nicht gemeinsam trainieren, treffen auf Topgegner wie Serbien und Kanada. Können Sie realistisch einschätzen, wie Ihre aktuelle Form ist?

Jan-Lennard Struff: Ich fühle mich wohl, hatte Anfang Januar beim Turnier in Antalya zwei Matches und konnte hier in Melbourne ordentlich trainieren. Die Quarantäneregel sah vor, dass man immer mit demselben Trainingspartner auf den Platz musste. Ich habe deshalb nur mit dem Georgier Nikolos Bassilaschwili trainiert. Aber ich glaube, dass ich ganz gut in Form bin.

Verspüren Sie trotz der ungewohnten Umstände normale Vorfreude, oder ist diese größer oder geringer als sonst?

Jan-Lennard Struff: Sie ist anders, aber weder größer noch kleiner. Ich freue mich auf jeden Fall riesig auf den ATP-Cup, darauf, gemeinsam mit den Jungs anzugreifen. Das ist ein cooles Event mit sehr interessanten Aufgaben für uns.

Sie haben sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr Ihren ersten ATP-Titel zu gewinnen. Welcher darf es denn sein?

Jan-Lennard Struff: Das ist mir wirklich völlig egal. Ich werde meinen Turnierplan sorgfältig machen und schauen, welche Chancen ich bekomme. Aber zu planen, wo man gewinnen will, ist nicht möglich. Ich hoffe, dass es gelingt. Dann wäre ich sehr froh.

Struff hofft auf Olympische Spiele in Tokio - im Sommer 2021

Vorausgesetzt, die Saison 2021 kann wie erhofft durchgezogen werden: Sind auch für Sie die Olympischen Spiele der Höhepunkt des Jahres?

Jan-Lennard Struff: Der Stellenwert von Olympia ist für mich schon relativ hoch. Allerdings leben die Spiele von ihrer Atmosphäre; davon, dass Sportlerinnen und Sportler aus der ganzen Welt zusammenkommen. Wenn das wegen der Pandemie nicht möglich wäre, würde mir schon etwas fehlen. Ich möchte auf jeden Fall daran teilnehmen, aber ich habe mich darauf eingestellt, dass es eine andere Erfahrung sein wird als 2016 in Rio.

Diskutiert wird in Sportkreisen derzeit sehr viel rund um Olympia, auch eine Impfpflicht ist im Gespräch. Wie stehen Sie dazu?

Jan-Lennard Struff: Das ist ein sehr persönliches Thema. Ich würde mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht impfen lassen wollen, weil ich denke, dass zunächst diejenigen dran sein sollten, die die Impfung am dringendsten nötig haben. Tatsächlich glaube ich aber, dass es mittelfristig Pflicht sein wird, geimpft zu sein, wenn man in bestimmte Länder einreisen oder bestimmte Airlines nutzen will. Und dann werde ich nicht drumherum kommen, mich impfen zu lassen, da ich sonst meinen Beruf nicht mehr ausüben kann und ich mein Leben normal weiterleben möchte. Dennoch sehe ich eine generelle Impfpflicht kritisch.

Abschließend bitte ein Rück- und ein Vorausblick: Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis aus der Corona-Krise, und welche Schlagzeile möchten Sie am Jahresende über sich lesen?

Jan-Lennard Struff: Die wichtigste Erkenntnis? Dass es sehr viel positives Engagement gibt, um die Krise hinter uns zu lassen. Und dass ich glücklich darüber bin, dass ich mehr Zeit als gedacht mit meiner Freundin und meinem kleinen Sohn verbringen und ihm bei wichtigen Schritten des Aufwachsens zusehen konnte. Eine Schlagzeile würde ich gar nicht auf mich beziehen wollen. Was ich gern lesen würde, wäre, dass wir die Pandemie hinter uns gelassen haben und in die Normalität zurückgekehrt sind. Das ist mein Wunsch für dieses Jahr.