Berlin/Kairo. DHB-Vizepräsident Bob Hanning über die Viertelfinal-Chancen bei dieser WM und seinen letzten Wunsch mit den deutschen Handballern.

Den Abgesang auf diese WM wollte bei den deutschen Handballern am Freitag noch niemand anstimmen – auch nicht Bob Hanning (52). Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) richtete einen Tag nach der 28:32-Niederlage gegen Spanien den Blick auf das zweite Hauptrundenduell gegen Brasilien am Samstag (20.30 Uhr/ZDF). Und sprach im Interview mit der Berliner Morgenpost außerdem über die Wichtigkeit des Turniers, den Umgang mit Kritikern und seinen letzten großen Traum mit dem DHB.

Glüht der Taschenrechner schon oder sind die Chancen auf das Viertelfinale nach der Niederlage gegen Spanien so minimal, dass es sich kaum lohnt, die nötigen Konstellationen auszurechnen?

Bob Hanning: Wir sind realistisch genug, um unsere Situation einzuschätzen. Wir müssen erst mal den brasilianischen Sambatanz überstehen und die wiedererstarkten Polen schlagen. Das wird unsere Aufgabe sein, mehr haben wir nicht in der Hand. Die Rechenspiele gibt es natürlich, aber auch den Hang zum Realismus.

Das heißt, das Viertelfinale ist abgeschrieben?

Hanning: Nein, auf gar keinen Fall. Aber wir tun gut daran, uns auf unseren Job zu konzentrieren.

Zwischenzeitlich sah es gegen Spanien so aus, als könnte die Mannschaft mit dem erhofften Sieg in die Hauptrunde starten. Drei Tore Führung – was ist dann passiert?

Hanning: Erst mal muss man der Mannschaft ein großes Kompliment machen, dass sie sich gegen den Europameister in diese Situation gespielt hat. Viele Dinge haben wirklich sehr gut funktioniert, die Mannschaft hat auch bis zu dem Zeitpunkt eine sehr gute Leistung gezeigt. Wir haben dann viel zu schnell viel zu viele Fehler gemacht und das Momentum – wie auch gegen Ungarn – nicht genutzt. Dann sind die Spanier so routiniert und so clever, dass sie das Spiel für sich gestaltet haben.

Fehlt der deutschen Mannschaft durch die Absagen einiger Leistungsträger eine solche Routine und Cleverness?

Hanning: Jeder weiß, dass ich ein großer Befürworter der Zusammensetzung dieser Mannschaft bin. Auch wenn sie aufgrund der Verletzungen und der Pandemie zusammengesetzt wurde, ist das für uns eine gute Situation gewesen. Weil gerade jetzt Spieler in anderen Aufgabenstellungen wachsen und sich entwickeln können. Das ist das, was wir brauchen, um bei den Olympischen Spielen den Drang nach Gold auch leben zu können. Es gibt viele Spieler, die das bisher richtig gut gemacht haben. Ich denke da an Philipp Weber, der vor drei Jahren bei der EM noch ganz weit weg war und jetzt zu einer Führungsperson reift. Paul Drux macht einen sehr guten Job, man merkt bei Kai Häfner die Routine. Und auch Spieler wie Timo Kastening, Johannes Golla und Juri Knorr werden von diesem Turnier unglaublich profitieren.

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Fast fünf Millionen haben das Spanien-Spiel im TV verfolgt – Rekordwert bei dieser WM bislang. Wurde da die große Chance vertan, Werbung für den Sport zu machen?

Hanning: In der Spitze waren es über 6,1 Millionen Zuschauer. Und ich glaube, dass die WM dem deutschen Handball sehr guttut. Nicht nur dem Handball, sondern auch dem gesamten deutschen Sport. Und ich finde, dass es sich trotz der vielen Unkenrufe um eine WM auf allerhöchstem Niveau handelt, unter maximalen Sicherheitsvorkehrungen. Das kann Vorbild sein für alle weiteren Großturniere.

Wie zum Beispiel für die Olympischen Spiele, bei denen der DHB ja offenbar die Goldmedaille anstrebt. Soll die Ära Hanning beim DHB idealerweise mit dem Olympia-Sieg im Sommer in Tokio enden? Sie hören danach ja als Vizepräsident auf.

Hanning: Wir haben hier beim DHB eine Menge miteinander gemacht und geschafft und jetzt haben wir noch dieses eine große Ziel, und das wollen wir auch erreichen.

Dafür müssen die Sommerspiele in der Corona-Pandemie allerdings auch stattfinden. Sie waren von vornherein der Meinung, dass auch diese Handball-WM eine gute Idee ist. Davon sind Sie auch nach Spielabsagen und Corona-Fällen weiterhin überzeugt?

Hanning: Ich habe immer gesagt, wenn etwas passiert, kommt es von draußen rein. Die Blase hat bislang zu hundert Prozent gehalten. Wie streng hier alles genommen wird, kann man an einem Beispiel sehen, das in Deutschland bisher gar nicht bekannt ist. Der Präsident des ägyptischen Handball-Verbandes hat die Blase für einen kurzen Augenblick verlassen und ist sofort vom Turnier disqualifiziert worden. Als Gastgeber. Unter anderem deswegen habe ich großes Vertrauen in das Netz hier.

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Sie würden all den Kritikern, die sagen, dass die WM schlechte Werbung für den Handball und verantwortungslos sei, also vehement widersprechen?

Hanning: Ich kann das nur noch mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Jeder darf seine Meinung haben und äußern, aber hier ist es definitiv sicherer für die Teilnehmer als in Deutschland. Über uns Deutsche wird hier übrigens auch nur der Kopf geschüttelt. In anderen Ländern war die Durchführung des Turniers nicht im Ansatz ein solches Thema wie bei uns, die sind froh und stolz, dass ihre Nationalmannschaften dabei sind.

Für SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist die WM insgesamt das falsche Turnier zu dieser Zeit.

Hanning: Für Karl Lauterbach geht es scheinbar darum, seinen Marktwert in Talkshows zu steigern, und wenn ich 20 Mal was sage, liege ich auch hin und wieder richtig, mache mich aber unglaubwürdig und verpasse, meinem eigentlichen Beruf nachzugehen. Ich verbitte es mir, Urteile zu fällen, wenn man gar nicht vor Ort ist. Wir brauchen den Sport für eine gute Stimmung im Land, die Zuschauerzahlen zeigen ja auch, dass die Leute dabei sind. Und ich weise auch noch mal ausdrücklich darauf hin, dass man Handball nicht im Homeoffice spielen kann und unsere Sportler ihrem Beruf nachgehen. Und das ist wichtig und richtig.

Wo wir schon beim Thema Kritik sind. Auch die Tatsache, dass die WM von 24 auf 32 Teams aufgestockt wurde, gefiel nicht jedem. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Hanning: Wenn man vorher gewusst hätte, dass es die Pandemie gibt, wäre ein 24er-Turnier sicherlich einfacher gewesen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass der Handball eben nicht nur europäisch ist, sondern weltweiten Anklang findet. Dafür muss man die Welt auch mitnehmen. Es ist gut, dass Japan eine Sensation gegen Kroatien schafft, dass die Ägypter eine realistische Chance aufs Viertelfinale haben. Ich würde mich freuen, wenn sich eine asiatische und eine afrikanische Mannschaft für das Halbfinale qualifizieren würde, weil das unseren Sport auch in Richtung olympische Sportart weiter stärken und das Risiko, dass wir irgendwann aus dem olympischen Programm genommen werden, weil wir keine Weltsportart sind, deutlich senken würde.

Bei allen großen Titeln, die während der Pandemie vergeben werden, schwingt immer der Beiname Corona mit – wie bei Alba Berlins Basketballmeisterschaft im vergangenen Sommer. Hat auch die WM-Krone in diesem Jahr einen kleinen Kratzer?

Hanning: Nein, dieser Titel ist genauso viel wert, wie in den anderen Jahren. Weil wir tolle Spiele sehen, auch enge Spiele. Ich finde, dass das Niveau des Handballs sogar besser ist als bei der letzten EM. Weil die Spieler durch die Pandemie-Pause im vergangenen Jahr auch ausgeruhter sind, ihre körperliche Physis ist deutlich besser.

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Ist es bei all den Nebenschauplätzen, die wir jetzt angesprochen haben, überhaupt möglich, sich auf das Sportliche zu konzentrieren?

Hanning: Wir tun das und haben eine Fokussierung auf den Sport. Das ist das einzige, was die Spieler hier interessiert.

Ablenkung gibt es ja auch nicht wirklich. Sie sitzen dort in einer Blase, Sightseeing oder anderweitige Aktionen sind tabu. Droht da langsam eher der Lagerkoller oder ist das gut für den Teamgeist?

Hanning: Die Spieler gehen gut miteinander um. Hier ist kein Gefühl von Lagerkoller, hier ist wirklich das Gefühl der Gemeinsamkeit. Es wird viel gespielt, die Dart-Rekorde werden immer wieder neu aufgestellt. Da wir auch viele junge Spieler dabeihaben, ist es wirklich ein sehr schönes und harmonisches Miteinander.

Werden Sie angesichts der Tatsache, dass es Ihre letzte WM ist, denn langsam ein wenig sentimental?

Hanning: Überhaupt nicht. Erstens ist das Turnier noch nicht zu Ende. Zweitens ist die heutige Zeit keine Zeit für Sentimentalitäten. Und drittens haben wir die Olympischen Spiele mit unserem Traum von Gold noch vor uns.