Hamburg. Vor dem DFB-Debakel schien ein Großteil der EM-Plätze bereits fest vergeben. Nun könnten die Karten neu gemischt werden.
Kurz nachdem die DFB-Chartermaschine in München am Mittwochmittag gelandet war, hieß es Abschied nehmen. Die Nationalspieler von Bundestrainer Joachim Löw reisten zu ihren Bundesliga-Klubs weiter – mit der traurigen Gewissheit im Gepäck, dass sie am Vorabend in Sevilla für einen geschichtsträchtigen Abend der schlimmsten Sorte gesorgt hatten.
„Jetzt weiß man mal, wo man steht“, hatte Angreifer Serge Gnabry vor dem Abflug gesagt. Nämlich ganz woanders, als man es eigentlich vor der Pleite gedacht hatte. Denn eigentlich wähnten sich die Entscheidungsträger des DFB im Hinblick auf die Europameisterschaft im kommenden Sommer auf einem guten Weg. „Heute haben wir gesehen, das wir noch nicht so weit sind, wie wir dachten“, räumte Bundestrainer Joachim Löw nach dem 0:6 zerknirscht ein.
Bundestrainer Löw bleibt kaum noch Zeit für Veränderungen bis zur EM
Sein größtes Problem neben der bevorstehenden Dauerdiskussion um seine Person und um eine eventuelle Rückkehr von Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller: Löw hat vor der EM kaum noch Zeit, entscheidende Dinge zu verändern. Nachdem er in diesem Jahr insgesamt 34 Spieler eingesetzt hatte, darunter die Neulinge Robin Gosens, Florian Neuhaus, Jonas Hofmann, Philipp Max, Mahmoud Dahoud und Ridle Baku, war vor den Spielen gegen die Ukraine (3:1) und Spanien (0:6) die Zeit des Experimentierens für beendet erklärt worden.
Und eigentlich stand ja auch schon so gut wie alles fest. Es gab nur vier kleinere Fragezeichen, die Löw nach den März-Länderspielen durch Ausrufezeichen ersetzen wollte. Im Tor hat er die geringsten Probleme: Neuer (Nummer eins) und ter Stegen (Nummer zwei) sind gesetzt, Trapp und Leno dürfen sich um die Nummer drei streiten. Dazu je zwei Rechts- und Linksverteidiger (Klostermann und Kehrer rechts, Halstenberg und Gosens oder Max links).
Reus muss um die EM-Teilnahme bangen
Bei den Hummels-Boateng-losen Innenverteidigern durften sich Süle, Dauerbrenner Rüdiger (hatte mit 598 die meisten Einsatzminuten), Ginter und Koch sicher sein. Außerdem durfte sich Allrounder Can, der in der Abwehr und im Mittelfeld eingesetzt werden kann, gute Chancen ausrechnen. Bei der Abteilung Sechser/Achter dabei sein werden Kroos, Kimmich, Goretzka, Gündogan und Neuhaus, davor galten Havertz, Brandt und Draxler als sichere Kandidaten, Reus muss wohl bangen. Und ganz vorne? Werner, mit vier Treffern 2020 der erfolgreichste DFB-Stürmer, Sané, Gnabry und Waldschmidt. Den Frischlingen Hofmann, Dahoud und Baku wurden kaum realistische Chancen eingeräumt.
So lautete die Theorie. Dann kam dieses Spiel wie eine Abrissbirne – und man musste die Frage stellen, ob nach der WM 2018 nicht besser Toni Kroos als Hummels oder Müller aussortiert worden wäre. Auf eine Antwortet wird man vermutlich umsonst warten – genau wie nach neuen Hoffnungsträgern, die das 0:6 vergessen machen können.