Istanbul. Mercedes-Pilot Lewis Hamilton ist einer der besten Fahrer der Formel 1. Was macht den Weltmeister aus, was kann er noch erreichen?

Der Tag, an dem viele Rennfahrer beim Großen Preis der Türkei die Kontrolle verloren haben, war auch der Tag, an dem Lewis Hamilton als erfolgreichster Pilot der Formel-1-Geschichte endgültig die Macht übernommen hat: sieben Titel, mehr Grand-Prix-Siege als Michael Schumacher (51), das braucht mehr als eine Auslaufrunde, um es zu verstehen.

Selbst beim 35 Jahre alten Briten Lewis Hamilton hat die Coolness dann Pause. Fast schämte er sich am Sonntag, als er beim Grand Prix in Istanbul den siebten WM-Titel seiner Karriere perfekt gemacht hatte, seiner Tränen. Dann kniete Sebastian Vettel als erster Gratulant neben dem Mercedes in der Boxengasse und sagte: „Wir schauen Dir zu, wie Du Geschichte schreibst. Es ist bewundernswert.“ Sieben Fragen zu einem, der sich wie im siebten Himmel fühlt.

Was von Hamilton 2021 in der Formel 1 zu erwarten ist

Wie kam das Meisterstück zustande?

Es ist eine alte Motorsport-Weisheit, dass die besten Fahrer auch die Rennen gewinnen, die sie eigentlich nicht gewinnen können. Alles schien sich im Regen-Chaos von Istanbul gegen ihn zu verschwören. Doch immer, wenn er mal zurückliegt, studiert Hamilton die Vorausfahrenden genau. So hat der 35-Jährige erkannt, welche Linie auf der tückischen Piste die beste ist und wie er mit seinen Reifen haushalten muss. Diese Kombination aus Routine, Bauchgefühl und Wagemut ist unkopierbar. „Lewis hat in einem Auto, das extrem schwer zu fahren war, keinen Fehler gemacht und hat auf seine Chance gewartet. Als sie da war, schlug er zu“, schwärmt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Hamilton wünscht sich mehr solcher Rennen: „Unter solchen Bedingungen kann ich zeigen, zu was ich fähig bin.“

Welche Super-Power besitzt Lewis Hamilton noch?

Eliud Kipchoge, der erste Mensch der Welt, der einen Marathon unter zwei Stunden laufen konnte, gehörte via twitter zu den ersten Gratulanten: „Ausdauer ist gleichbedeutend mit Erfahrung. Das inspiriert die Welt!“ Auf vier Rädern ist Hamilton ein Bruder im Geiste des Kenianers, das zeigt sich schon die ganze von der Pandemie beeinträchtige Saison über. Hamilton hat die letzten Monate, ganz gegen sein Naturell, wie ein Einsiedler gelebt. Sich stark mit dem auseinandergesetzt, was er wirklich will. Ob auf oder neben der Rennstrecke: niemand passt sich schwierigen Bedingungen so schnell und gut an wie er.

Vettel hält Hamilton für den besten Fahrer - in dieser Ära der Formel 1

Die Größten in der Geschichte der Formel 1: die jeweils siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton (links) und Michael Schumacher.
Die Größten in der Geschichte der Formel 1: die jeweils siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton (links) und Michael Schumacher. © AFP

Ist er jetzt der größte aller Rennfahrer?

Das beantwortet am besten Sebastian Vettel, am Sonntag Dritter in Istanbul: „Das ist immer schwer zu vergleichen... wie lässt sich ein Juan-Manuel Fangio mit unserer Generation vergleichen? Wir würden uns vermutlich in die Hosen machen, wenn wir in deren Autos fahren müssten. Für sie wären unsere Autos vielleicht viel zu schnell. Aber wer weiß das schon? Es spielt auch keine Rolle, ich glaube, jede Ära hat ihren Fahrer oder ihre Fahrer, und Lewis ist sicherlich der größte Fahrer unserer Ära. Emotional wird für mich aber Michael Schumacher immer der Größte sein.“

Geht das jetzt immer so weiter?

Gegenfrage: Warum nicht? Mercedes kann seine Überlegenheit in der Hybrid-Technik konservieren, denn im kommenden Jahr bleibt das Rennwagen-Reglement gleich. Auch in der mittelfristigen Zukunft wird sich an der Antriebsart nichts ändern. Das Team ist stabil, auf allen Positionen optimal besetzt. Toto Wolff baut bereits einen Nachfolger fürs Tagesgeschäft auf. Hamilton selbst ist hungrig wie nie. Er könne sich nicht vorstellen, auch noch mit 40 Rennen zu fahren, was bedeutet: in den kommenden zwei, drei Jahren muss der Hunger gestillt werden. Acht Titel sind in jedem Fall drin, zehn scheinen nicht unmöglich. Das naheliegende Ziel aber ist: „Wir haben noch drei Rennen in dieser Saison, die will ich alle gewinnen.“

Nach dem WM-Titel geht es für Hamilton nun auch um eine Vertragsverlängerung bei Mercedes

Wieso hat er seinen Vertrag noch nicht verlängert?

Aberglaube, man will es kaum glauben, spielt eine große Rolle bei Mercedes. Durch die Wirren der erst im Sommer gestarteten Not-Saison ohnehin in zeitlichen Verzug geraten, wollten Toto Wolff und Lewis Hamilton erstmal beide Titel unter Dach und Fach bringen. Jetzt aber kann verhandelt werden. Beim letzten Deal saßen die beiden zehn Stunden zusammen, es gab nur eine Pizza. Diesmal werden die Verhandlungen nicht unbedingt kürzer oder leichter werden. Dabei geht es gar nicht um die kolportierten 40 Millionen Dollar Gage, sondern um einen Pakt für die Zukunft: Hamilton wünscht sich eine Rolle bei Mercedes über die reine Chauffeurs-Tätigkeit hinaus.

Wer gehört zum kleinen Kreis um Hamilton?

Der, der immer am nächsten dran ist, heißt Roscoe und ist eine Bulldogge. Beruflich ständig an seiner Seite ist Angela Cullen. Die Neuseeländerin ist mehr als seine Physiotherapeutin – die engste Vertraute. Für das Geschäftliche reist der Brite Marc Hynes mit, der das nach der Startnummer benannte Hamilton-Management „Project 44“ in London leitet. Technisch vertraut er auf Peter „Bono“ Bonnington, seinen Renningenieur. Mit Vater Anthony hat er vor einigen Jahren wieder versöhnt, eng ist die Verbindung zu seinem sieben Jahre jüngeren Bruder Nicolas. Teamchef Toto Wolff ist ein väterlicher Freund.

Hamilton hat noch nicht genug von der Formel 1

Welche Botschaft ist Hamilton wichtig?

In der Stunde des Triumphs erinnert sich Lewis Hamilton an einen Ratschlag seines Vaters: „Junge, lass die Ergebnisse auf der Rennstrecke sprechen.“ Das wäre hiermit abgehakt, die freie Rede kann folgen: „In diesem Jahr ist mein Antrieb nicht nur der Wille zum Sieg gewesen. Vielmehr wollte ich unseren ganzen Sport nach vorn treiben, für mehr Gleichberechtigung und Diversität in der Welt sorgen. Daran ändert sich nichts, ich verspreche, diesen Kampf nicht aufzugeben, auch wenn es noch ein langer Weg ist.“ Nichts sei unmöglich, das beweise doch seine eigene Karriere in der Formel 1. Und dann verweist er wieder auf das Motto, dass er sich hat eintätowieren lassen: „Ich wachse immer noch.“