Essen. Die Nationalmannschaft schickt zur Imagepflege Spieler zu “Wer wird Millionär“. Der Plan geht auch wegen der Rahmenbedingungen nur bedingt auf.
Es ist meist sehr unterhaltsam, Fußballprofis bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Auf dem Platz und am Ball sowieso. Wenn sie begeistern, wenn sie versagen. Beides bewegt viele Menschen.
Unterhaltung bieten sie gelegentlich aber auch neben dem Platz. Bei Interviews, beispielsweise. Da nicht immer ganz freiwillig, auch wenn das seit einigen Jahren intensiv trainiert wird und das Klischee des tumben Kickers längst überholt ist.
Eine gute Chance, sich gründlich zu blamieren
Aber wie sieht es aus, wenn sich Berufsfußballer in einer Unterhaltungshow präsentieren sollen? Da verlassen Sportler ihr angestammtes Terrain, ihre Komfortzone. Insbesondere bei der RTL-Rateshow „Wer wird Millionär“ stehen die Chancen, sich gründlich zu blamieren, ganz gut.
Werbung in eigener Sache?
Sorgfältig getimed in der Länderspielpause, vor dem Nations-League-Spiel gegen die Schweiz in Köln (20.45 Uhr/ARD) machte sich also eine Delegation der Fußballnationalmannschaft ins Fernsehstudio auf, um sich für eine guten Zweck – und nebenbei zur Politur der Außenwirkung – einer intensiven Befragung zu unterziehen. Eigentlich ein Selbstgänger für die Interview-erprobten Sportler, sollte man meinen.
Die Regeln der Sendung mit Günther Jauch wurden für die Sonderausgabe leicht angepasst. Es traten drei Rateduos an. Die Bayern-Profis Leon Goretzka und Joshua Kimmich stellten sich den Fragen, genau wie der Münchener Niklas Süle und der Leipziger Lukas Klostermann beziehungsweise der Frankfurter Kevin Trapp mit seinem obersten Chef bei der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff.
Fußball-Profis sind keine Rampensäue
Den Anfang machten die Bayern-Profis Profis Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Leicht hatten sie, leicht hatte es vor allem Moderator Günther Jauch nicht. Waren die beiden Profis des FC Bayern zu kontrolliert? Zu nervös, sich möglicherweise zu blamieren? Schwer zu sagen. Klar war nur, dass die Rahmenbedingungen für gelungene TV-Unterhaltung nicht leicht waren.
Ohne Publikum fehlt auch der Fernsehunterhaltung ein wichtiger Resonanzboden. Vorsichtige Versuche von Pointen blieben zudem in den die Protagonisten trennenden Plexiglasscheiben hängen. Es hätte für ein Promi-Special wohl die übliche Sammlung von Rampensäuen aus dem Show-Business - altgediente TV-Schlachtrösser mit dem Hang zur Selbstentblößung - gebraucht, um richtig Stimmung in den Laden zu bringen. Die einzige, die diese Kategorie perfekt erfüllt, Barbara Schöneberger, wurde immerhin immer wieder als Telefonjoker zugeschaltet.
Dass insbesondere der Auftakt eher verstörend wirkte, lag auch an einer Petitesse, einer, die im Gesamtbild natürlich völlig unwichtig ist, die aber im Bemühen der zuletzt in die Kritik geratenen Fußball-Nationalmannschaft, einen guten Eindruck zu machen, doch Wirkung erzielt. Spieler und Mannschaftsbetreuer, die in Personalunion Publikumsjoker und Zuschauer stellten, traten einheitlich in legerem Schwarz auf, ein Fest für schnell urteilende fernsehende Stilkritiker in den Sozialen Medien.
Lockerungsübungen mit Günther Jauch
Günther Jauch wäre allerdings nicht Günther Jauch, wenn er nicht auch diese „schweren Fälle“ aus der Fußballwelt einigermaßen in den Griff, also gelockert bekommen hätte. Der Mann sitzt immerhin seit 21 Jahren im Wer-wird-Millionär-Studio und plagt sich mit den unterschiedlichsten Charaktereigenschaften . Am Ende tauten Kimmich und Goretzka auf, ein wenig zumindest. Das wirkte dann schon wieder sympathisch bodenständig. Die beiden kamen bis 64.000 Euro durch, ließen sich promi-gerecht viel Zeit.
Verzweiflung bei der Frage nach dem Flaschenpfand
Es folgten Niklas Süle und Lukas Klostermann und die übliche Choreografie der Sendung. Jauch müht sich, die Kandidaten blockiert die Angst vor der Blamage, der Moderator macht sich kurz zum Clown, die Stimmung steigt. Naja, in Maßen.
Um es kurz vorwegzunehmen. Der Fernsehabend blieb eine eher zähe Angelegenheit. Taugt der Auftritt der Nationalspieler dennoch für ein Urteil über die vorgeblich abgehobenen Fußballprofis? Immerhin sollte, so wurde im Vorfeld über den PR-Auftritt bei RTL spekuliert, eine Brücke über die tiefer werdende Kluft zwischen Mannschaft und Fans geschlagen werden.
Das Urteil steht weiter aus. Zwar wussten Süle und Klostermann nicht, wie viel Pfand ein Kasten Bier bei der Rückgabe bringt, aber zur Harry-Potter-Verfilmung immerhin konnte das Duo souverän Auskunft und sich bei einer hochkulturell anmutenden Frage angemessen ahnungslos geben. Das reichte - knapp - zu einem guck-mal-die-sind-ja-fast-wie-wir-Eindruck und immerhin zu 125.000 Euro.
Die vertrackten einfachen Fragen
Als letztes Duo traten Torwart Kevin Trapp und Oliver Bierhoff, der Direktor Nationalmannschaften an. Die beiden fächerten, um es kurz zu machen, das breiteste Spektrum auf, das Kandidaten bei Jauch zeigen können. Sie traten vergleichsweise entspannt auf, vermittelten einen selbstbewusst-souveränen Eindruck, und sie fielen oft beinahe tief, weil sie auch an den eher einfachen Fragen kläglich zu scheitern drohten. Immerhin mogelten sie sich bei der abschließenden Fragerunde der knapp drei Stunden langen Show noch zu 32.000 Euro Gewinn für den guten Zweck.
Kleine Kerzenflamme statt großes Feuerwerk
Die vorher viel und energisch diskutierte Frage lautete, „hilft der Rate-Auftritt dem angekratzten Image der Fußball-Nationalmannschaft zu neuem Glanz?" „Sie sollen halt vernünftig kicken. Das würde schon reichen“, hatte manch einer, der zuletzt Galavorstellungen der Nationalspieler auf dem Platz vermisste, vorher gegrantelt.
So richtig schlimm war der Auftritt nicht. Häme haben die Spieler nicht verdient, Pfiffe für besonders schwache Leistungen auch nicht und für Mitleid werden sie ohnehin zu gut bezahlt. Jubelstürme dürfen die Kandidaten der Rateshow allerdings auch nicht erwarten. Es ging immerhin um TV-Unterhaltung bei RTL, die verlangt das große Gefühl, ein funkelndes Feuerwerk, keine zart flackernde Kerze im Dämmerlicht. Ein sympathischer Eindruck ist zwar ungemein sympathisch, trägt aber allein auch nicht durch eine beinahe drei Stunden währende, natürlich auch wegen der deprimierenden Rahmenbedingungen, insgesamt ungemein blasse Sendung.