Das DFB-Team verpasst ersten Sieg im Jahr 2020. Draxler, Debütant Neuhaus und Waldschmidt treffen beim 3:3 gegen die Türkei.
Emre Can schüttelte ungläubig den Kopf, er wollte und konnte nicht glauben, was er da eben gesehen hatte: Tief in der Nachspielzeit hatte die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Mal an diesem Abend eine Führung verspielt, und so endete das Testspiel gegen die Türkei vor 300 Zuschauern in Köln 3:3 (1:0).
Für Bundestrainer Joachim Löw war das Ergebnis ohnehin zweitrangig, er hatte die Partie tags zuvor als eine Art Schaulaufen eingestuft: „Solche Spiele sind immer dazu da, um zu sehen, welche einzelnen Spieler in den nächsten Monaten unsere Startelf verstärken können“, erklärte er. „Es ist eine gewisse Chance für einzelne Spieler, sich zu zeigen, mit guter Leistung auf sich aufmerksam zu machen. Das liefert uns wichtige Erkenntnisse auf diesem Niveau: Wer zeigt sich wie in welcher Verfassung, wer kann die Aufgaben bewältigen, die wir mitgeben.“ Denn Spiele in den Klubmannschaften können natürlich Erkenntnisse liefern, das komplette Bild aber haben Löw und sein Trainerteam erst, wenn sie sehen können, wie sich Spieler beim DFB präsentieren – im Training und erst recht auf dem Platz. Auf die umfassende Begutachtung aller seiner Neulinge aber verzichtete der Bundestrainer zunächst: Mahmoud Dahoud und Jonas Hofmann saßen auf der Bank, in der Startelf stand Florian Neuhaus als einziger Debütant.
Über weite Strecken sah man dem deutschen Spiel an, dass Bundestrainer Joachim Löw 13 Spieler fehlten. Weil sie verletzt waren oder geschont wurden für die anstehenden Nations-League-Spiele gegen die Ukraine und die Schweiz. Löw musste also umfassende Änderungen an seiner Startelf vornehmen, auf allzu große Experimente aber verzichtete er: Mit der Dreierkette in der Abwehr griff er auf die gewohnte Formation zurück. Im gewohnten System, mit den gewohnten Abläufen, mit der gewohnten Spielweise sollten jene Spieler, die sonst eher in der zweiten Reihe stehen, auf sich aufmerksam machen.
Doch so recht gelingen wollte das nicht. Die deutsche Mannschaft hatte zwar viel vom Ball, davon aber wenig im gegnerischen Strafraum, weil sich die Türken nach Ballverlusten stets blitzschnell zurückzogen und kaum Lücken boten. Und wenn die Gäste sich mal entschieden, schon im Spielaufbau aggressiv zu stören, offenbarte die deutsche Hintermannschaft Probleme, den Ball kontrolliert nach vorne zu befördern. Weil aber auch die Gäste alles andere als fehlerfrei spielten, entwickelte sich eine unterhaltsame Partie auf allerdings überschaubarem Niveau.
Die türkische Mannschaft hatte zunächst etwas mehr und etwas bessere Chancen: Efecan Caracas Schuss nach einem Freistoß blockte Emre Can (11.). Enes Ünal tauchte nach einem rasanten Konter vollkommen freistehend vor dem Tor auf, schoss aber viel zu überhastet und viel zu hoch (13.). Yusuf Yazicis Fernschuss landete in den Armen von Bernd Leno (19.). Und Ozan Tufan traf nach einem hübschen Freistoß-Trick den Ball nicht richtig.
Es dauerte, bis die DFB-Elf sich ähnlich gefährliche Szenen erspielte: Julian Brandts Schuss von der Strafraumgrenze hielt Mert Günok stark – und dann hatte er Glück, als der Nachschuss von Nico Schulz aus spitzem Winkel zwar durchs eine Beine, aber am Tor vorbei flutschte (26.). Auch Luca Waldschmidts Schuss konnte der türkische Torwart zur Ecke klären (41.). In der Nachspielzeit war er dann aber machtlos: Tief in der eigenen Hälfte eroberte die deutsche Mannschaft den Ball, mit schnellen und direkten Pässen ging es über Brandt nach vorne. Kai Havertz schickte Draxler und der hob den Ball mit der Fußspitze über Günok hinweg ins Tor. Ein Führungstreffer, der nicht unbedingt verdient, aber unbedingt sehenswert war.
Ihre Schlampigkeit aber bekam die deutsche Mannschaft nicht abgelegt: Schulz spielte einen verheerenden Fehlpass, Tufan schüttelte an der Strafraumgrenze Brandt ab und zirkelte den Ball spektakulär über Leno ins Netz (49.) – der Ausgleich.
Wild ging es nun hin und her: Nach dem wohl schönsten Spielzug der Partie schob Neuhaus zum 2:1 ein (58.). Dann jagte Efecan dem Debütanten Neuhaus mit grenzwertigem Körpereinsatz den Ball ab und traf frei vor Leno zum 2:2 (67.). Die deutschen Spieler reklamierten vehement ein Foulspiel, doch der französische Schiedsrichter Benoit Bastien blieb unbeeindruckt.
Luca Waldschmidt schien die Entscheidung erzielt zu haben, an der Strafraumgrenze nahm er den Ball mit der Brust an und jagte ihn wuchtig ins Netz (81.). Doch dann flog in der Nachspielzeit eine letzte Flanke in den Strafraum, Kenan Karaman kam ganz frei an den Ball – und traf zum letztlich leistungsgerechten 3:3.