Dortmund. Das deutsche Paradeboot startet ab Freitag bei der Europameisterschaft in Polen. Die Coronakrise hat unbewusste Probleme erkennbar gemacht.

Man kennt das in etwa von dem Sprichwort mit dem Teufel und den Fliegen. Zur Not, so muss die Idee vor einigen Wochen in den Köpfen der niederländischen Ruderer gereift sein, fahren wir eben mal auf dem Dortmund-Ems-Kanal gegen die Deutschen. Hauptsache, es wird irgendwie das Gefühl eines Wettkampfes erzeugt, die Muskeln übersäuern nicht bloß auf endlosen Trainingskilometern, endlich wird der Rivale aus dem Nachbarland aufs Neue herausgefordert. Martin Sauer kann diesen Gedanken nachvollziehen. „Die Holländer warten ja schon mehr als ein Jahr darauf, dass sie uns endlich wieder vor die Flinte kriegen“, sagt der Steuermann des Deutschlandachters.

Die Vorstellung des Kanalklassikers, von Sauer augenzwinkernd „gegenseitige Verprügelungsaktion auf dem Wasser“ genannt, war reizvoll. Doch dem in Dortmund beheimateten Paradeboot des Deutschen Ruder-Verbandes machte Corona einen Strich durch die Rechnung. „Allein aus Hygienegründen kann man sich ja nicht heimlich treffen und ein Rennen fahren“, erzählt der 37 Jahre alte Berliner, auf den die besten deutschen Ruder-Asse bereits seit 2009 im Achter hören. An diesem Wochenende jedoch, was für Aufatmen im schwarzrotgoldenen wie oranjefarbenen Bootshaus geführt hat, bekommt das geplante Rennen einen offiziellen Anstrich: Deutschland gegen die Niederlande lautet in Abwesenheit der Briten das große Duell bei der Ruder-Europameisterschaft, die von Freitag bis Sonntag auf dem Maltasee im polnischen Posen ausgetragen wird.

Dauerschleife auf dem Dortmund-Ems-Kanal

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„Das wird für jeden ein Kaltstart“, sagt Laurits Follert. Für den 24 Jahre alten Duisburger, der für den Crefelder RC rudert, ist die Situation so oder so neu. Follert hat erst in der vorolympischen Saison einen festen Rollsitz in dem Erfolgsboot ergattert, das nach je drei WM- und EM-Titeln den Begriff Niederlage gar nicht mehr kennt. Wäre der Plan aufgegangen, wären die Sommerspiele in Tokio nicht ins kommende Jahr verlegt worden, hätte er nun vermutlich eine Goldmedaille um den Hals baumeln. Doch Follert nimmt das Kilometerschinden auf dem Kanal positiv: „So haben wir noch mal ein Jahr mehr, um noch besser, noch schneller zu werden.“

Wobei: Inzwischen hat im übertragenen Sinn schon eine Übersäuerung in den Köpfen der Achter-Recken eingesetzt. Training auf dem Wasser hier, Hantelstemmen im Kraftraum da – das alles aber ohne Vergleichsmöglichkeit. Bei den nun anstehenden 2000 Metern in Posen muss sich der Achter mehr aufs Bauchgefühl als auf Ergometerwerte verlassen. „Ich bin noch nie so lange am Stück im Achter gefahren“, sagt Hannes Ocik. Der 29 Jahre Schlagmann aus Schwerin, 2016 in Rio olympischer Silbermedaillengewinner, befindet sich mit den Kollegen quasi seit Oktober 2019 im Vorbereitungstunnel auf Tokio. Die unerlässlichen Trainingspausen zwischendurch hätten zwar dazu geführt, „dass ich den Sport neu kennengelernt habe, weil ich in der Zeit ohne Wettkämpfe auch mal ohne Erwartungshaltung vor mich her rudern, Wasser und Sonne genießen konnte“. Aber zuweilen fühlte sich diese lange Zeit doch belastend an. Ocik: „Das ist wie bei einem Marathonläufer, dem bei Kilometer 40 gesagt wird: Du läufst noch mal zehn Kilometer weiter. Der würde auch zusammenbrechen.“

Deutschlandachter erlebt Szenen wie in einer Ehe

Nicht nur körperlich. „Immer nur auf dem Kanal auf und ab, wird auf Dauer auch langweilig“, erklärt Bundestrainer Uwe Bender. Und im 18 Meter langen und vollbesetzt knapp 1000 Kilogramm schweren Hightech-Boot kann das ständige Aufeinanderhocken auch mal zu Reibereien führen. „Ich bin nicht verheiratet, aber es ist wie in einer Ehe“, mutmaßt Martin Sauer, der 2012 in London olympisches Gold holte. Das sportliche Ziel eint alle, doch „Probleme, die vielleicht schon da waren, wir wegen des Erfolgs aber nicht gespürt haben, werden auf einmal groß. Das können kleine Streitigkeiten sein, aber auch technische Fehler, über die man sich seit Ewigkeiten ärgert.“

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Von einer erzwungenen Umbesetzung in seinem Boot ist Uwe Bender jedoch mehr als die Zwölf-Kilometer-Langstrecke entfernt, die für den Deutschlandachter am Wochenende nach der EM in Rendsburg bereits den Abschluss dieser ungewöhnlichen Saison darstellt. Nach einem kurzen Urlaub startet die Olympia-Vorbereitung 2.0, „ich würde lügen, wenn ich mich jetzt noch mal auf alle Trainingslager freuen würde“, sagt der Hamburger Torben Johannesen. Aber womöglich sind 2021 ja auch ein paar freundschaftliche Rennen mit den Niederländern möglich, bevor es doch noch nach Tokio gehen kann.