Essen. Weltmeister als Spieler und als Trainer: Der “Kaiser“ wird 75 Jahre alt. Franz Beckenbauer ist eine lebende Legende. Aber sein Ruf hat gelitten.
Es war Mitte November 2000, als wir Reporter im Stadion von Kopenhagen der deutschen Nationalmannschaft bei der Vorbereitung auf ein Länderspiel gegen Dänemark zusahen und dabei intensiv über ein vermeintliches Gerücht diskutierten, zu dem ein Kollege aus München interessante Details beitrug. Der große Franz Beckenbauer, damals FC-Bayern-Präsident, habe einen vierten Sohn bekommen. Unehelich. Im Rahmen einer Weihnachtsfeier soll er einer Sekretärin des Klubs näher gekommen sein.
Doch kein Münchener Journalist traute sich, dies zu veröffentlichen. Die Angst vor juristischen Folgen war sogar beim Boulevard größer als die Gier nach einer Geschichte.
Ulrich Verthein, damals Sportchef des Mannheimer Morgen, hörte gut zu – und wagte sich als Erster aus der Deckung. Am nächsten Tag formulierte er eine Glosse mit der Überschrift „Der kleine Kaiser“. Der Name Beckenbauer kam darin nicht vor, erzählt wurde über ein „freudiges Ereignis“, das „medientechnisch unter den Teppich gekehrt wird“, nachdem eine Sekretärin „einer Lichtgestalt begegnet“ sei.
Drei Tage lang vernahm Ulrich Verthein keinerlei Reaktionen, Soziale Medien gab es noch nicht. Dann griff der Express die Story auf. Nicht ohne ein Zitat von Franz Beckenbauers damaligem Manager Robert Schwan: „Wir werden den Mannheimer Morgen verklagen.“
Ulrich Verthein, heute im Ruhestand, wird nie vergessen, wie es an jenem Montag in seinem Hause zuging. „Zuerst kamen die Schulterklopfer, dann wurde die Chefredaktion nervös.“ Und schließlich stieg die Angst. Der Verlag fürchtete eine Millionenklage, der Redaktionsleiter um seinen Job.
Charmant löste Beckenbauer Probleme
Die Erlösung kam mit der nächsten Bild-Zeitung. In seinem Haus- und Hof-Organ bestätigte Beckenbauer den Ausgang des, na ja, privaten Auswärtsspiels. Erleichterung in Mannheim – und erstaunliche Lockerheit in München. Denn Beckenbauer löste die delikate Angelegenheit auf seine Weise. „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind“, sagte er. „Irgendeiner muss ja in dem Land was tun, wenn alle nur klagen, dass der Nachwuchs fehlt.“ Der Salopper des Jahres.
Mit dieser charmanten Art kam Franz Beckenbauer auch diesmal durch, seinerzeit wurde ihm noch alles verziehen. Er war ja der Kaiser, das Fußballgenie. Probleme lächelte er mit derselben Leichtigkeit weg, mit der er den Ball bewegt hatte.
An diesem Freitag wird Franz Beckenbauer 75 Jahre alt. Beim Rückblick auf sein Privatleben wird er sich an manche Turbulenzen erinnern. Er wuchs in Münchens Arbeiterviertel Giesing auf, schon mit 18 wurde er Vater. Mit 23 hatte er bereits drei Söhne, um die sich vor allem seine Frau Brigitte kümmerte. 1977 flüchtete er mit der Fotografin Diana Sandmann vor Ehe- und Steuerproblemen nach New York. Seine zweite Frau Sybille lernte er beim DFB kennen, er verließ sie wegen Heidrun Burmester, die für ihn vor 20 Jahren nicht nur eine Affäre blieb: Die beiden sind seit 2006 verheiratet und haben seit 16 Jahren auch noch eine Tochter.
Inzwischen lebt Beckenbauer zurückgezogen
Sie leben in Salzburg, zunehmend zurückgezogen. Franz Beckenbauer, jahrzehntelang von Scheinwerfern ausgeleuchtet, braucht seine Ruhe, seit er schwere Schläge verkraften musste. Vor fünf Jahren starb sein Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Franz Beckenbauer litt sehr, seine Gesundheit ließ nach. Zweimal wurde er am Herzen operiert, auf einem Auge ist er fast blind. Als er im Frühjahr 2019 die Gründungs-Gala der „Hall of Fame“ im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund besuchte, erschraken nicht wenige Gäste. Seine Stimme war heller, brüchiger geworden, er wirkte kraftlos und angeschlagen.
In den vergangenen Jahren machte es ihm auch zu schaffen, dass sein Ruf Schaden nahm. Denn 2015 geriet er als ehemals gefeierter Präsident des Organisations-Komitees der Weltmeisterschaft 2006 in den Mittelpunkt der sogenannten Sommermärchen-Affäre. Unregelmäßigkeiten wurden aufgedeckt, es geht um den genauen Zweck von 6,7 Millionen Euro, die über Umwege auf katarischen Konten landeten. Bestechungsgeld? Die Staatsanwaltschaft ermittelte, Beckenbauer stand das Wasser bis zum Hals – bei Ebbe. Die Flut blieb ihm erspart, die Vorwürfe sind inzwischen strafrechtlich verjährt. Beckenbauer, der alles abgestritten hatte, wurde Vernehmungsunfähigkeit attestiert.
Von der Lichtgestalt zur Zwielichtgestalt, Schatten auf der Ikone – wer hätte das für möglich gehalten?
Als Fußballer hatte es Beckenbauer nicht nötig, auf seine Schuhe zu schauen, während er mit kerzengerader Haltung den Ball steuerte. Sein Trikot hätte er oft mit Bügelfalte zurück in den Schrank legen können. Arroganz? Nein, Eleganz. Als spielgestaltender Libero prägte Beckenbauer den FC Bayern, mit dem er viermal Europapokalsieger wurde, genau wie die Nationalelf, die er 1972 zum Europameister- und 1974 zum Weltmeistertitel führte. Er glänzte bei Cosmos New York in Amerikas neuer Operettenliga, bevor er zum Karriere-Ende auch mit dem Hamburger SV den Deutschen Meistertitel holte, seinen fünften.
Was danach kam, hatte er nicht geplant. Es gibt ein heute lustiges TV-Interview aus den Sechzigern, in denen der junge Franz auch als Werbefigur („Krrraft in den Teller, Knorrr auf den Tisch“) und als Sänger („Gute Frrreunde kann niemand trrrennen“) Legendäres hinterließ. Damals versicherte er: „Mit Fußball möchte ich später nichts mehr zu tun haben.“ Da war er noch nicht Kolumnist bei der Bild-Zeitung, von der er sich 1984 ins Amt des Bundestrainers drängen ließ, obwohl er weder Erfahrung noch Lizenz besaß. So wurde er zum Teamchef ohne Trainerschein.
Die WM 2006 war für Beckenbauer sein Lebenswerk
Auf sein Talent konnte er sich diesmal nicht verlassen, nächtelang studierte er Videos. „Das Schlimmste, was man mir hätte nachsagen können, wäre Nachlässigkeit gewesen“, erzählte er. 1990, als er gedankenverloren über den Rasen von Rom schlich, war er am Ziel. Weltmeister als Spieler, Weltmeister als Trainer.
Ein Jahrzehnt später durfte er sich noch einmal als ganz großer Gewinner fühlen, als Deutschland den Zuschlag für die WM 2006 bekam. „Ich war besessen von der Aufgabe, eine Weltmeisterschaft ins Land zu holen“, sagte er. Diese WM, bei der sich die Nation von ihrer schönsten Seite zeigte, war sein Lebenswerk. Sein Glück schien vollkommen.
Heute bearbeiten Kritiker sein Denkmal mit dem Vorschlaghammer der Respektlosigkeit. Vielleicht fehlte ihm das Unrechtsbewusstsein in Zeiten, in denen Schmiergelder nicht unüblich waren, vielleicht fühlte er sich unantastbar, vielleicht hatte er andere Gründe, um an der Aufklärung nicht mitzuwirken. Franz Beckenbauer in einer Würdigung gerecht zu werden, ist dadurch schwieriger geworden.