Essen. Rad-Legende Gino Bartali rettete hunderten Juden im Krieg das Leben. Auch 20 Jahre nach seinem Tod ist der Italiener unvergessen.

Als der Erzbischof von Florenz Hilfe suchte, zögerte Gino Bartali mit seiner Antwort nicht lang. Dabei hätte das, worum Elia Angelo Dalla Costa ihn bat, den italienischen Radsportler das Leben kosten können. Doch Bartali überlebte, und sagte später über das, was er tat, um der katholischen Untergrundorganisation des Geistlichen zu helfen: „Fahrradfahren war mein Beruf, und ich musste ihn machen. Ich habe ihn damals denen zur Verfügung gestellt, die es brauchten.“

20 Jahre nach seinem Tod am 5. Mai 2000 erinnert sich Italien an die Radsportlegende, der zwei Siege bei der Tour de France gelangen. Und obschon der stets bescheiden und demütig auftretende Bartali es sicher nicht gewollt hätte: In gewisser Weise dient er als stilles Vorbild der Sportlergemeinde.

Gefälschte Papiere geschmuggelt

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Die, von denen Bartali sagte, dass sie „es brauchten“, waren die im deutsch besetzten Italien lebenden und von den Nazis verfolgten Juden. 9000 von ihnen fielen dem Hitler-Regime zum Opfer. Um wenigstens einige zu retten, radelte Bartali, schmuggelte gefälschte Papiere in seinem Rad an Kontrollposten vorbei. Von Florenz zur Druckerei nach Assisi und wieder zurück. An manchen Tagen, so erzählt man, waren es weit mehr als 300 Kilometer, die er zurücklegte. Dass er augenscheinlich hart trainierte, fiel nicht weiter auf, schließlich kannte man ihn. Seiner Frau, die nichts von seinem Unterfangen wusste, soll er gar glaubhaft gemacht haben, dass er so viel fahre, weil er schon bald das Kriegsende vermutete. Dann wollte er bereit sein. Das war glaubhaft.

So ahnte niemand, dass er Verbotenes tat: Der in der kriegsbedingten Zwangspause angelernte Fahrradmechaniker hatte gefälschte Ausweise und Passfotos in den Hohlräumen seines Rades versteckt. Auf diese Weise rettete Gino Bartali zwischen 1943 bis Kriegsende 1945 über 800 Menschen das Leben. Sie hatten dank seines Einsatzes neue Identitäten erhalten. Ein neuer Name, eine neue Religion: Es waren die ersten Schritte, um der Deportation in Konzentrationslager zu entkommen.

Bruno Giannelli, ein früherer Teamkollege von Gino Bartali, zeigt ein Bild und das Fahrrad der Legende.
Bruno Giannelli, ein früherer Teamkollege von Gino Bartali, zeigt ein Bild und das Fahrrad der Legende. © getty

Seine Leistungsfähigkeit behielt der Radfahrer Bartali trotz der immensen Strapazen und der langen Zeit ohne Wettkämpfe bei. So griff er nach dem Krieg wieder an: Zwischen seinen Triumphen bei der legendären Frankreich-Rundfahrt 1938 und 1948 lagen zehn Jahre — so viele wie bei keinem anderen Tour-Sieger. Und für den 1914 in Ponte a Ema bei Florenz geborenen Bartali hätten es wohl die erfolgreichsten Jahre seiner ohnehin bemerkenswerten Karriere werden können. Hätte nicht der Krieg so vieles verhindert und alles verändert. Er aber tat, was er für richtig hielt: „Mein Vater hat mir einmal gesagt: ‚Ich bekämpfe den Krieg, indem ich Menschen helfe‘“, erinnerte Andrea Bartali, der lange dafür kämpfte, dass sein Vater in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zum „Gerechten unter den Völkern“ erklärt wird, 2018 in einem Spiegel-Interview.

Große menschliche Leistung

Bartali aber wollte, dass er nur wegen seiner Erfolge im Radsport in Erinnerung bleibt. Dreimal gewann er den Giro d’Italia, zweimal die Tour de France, wo 1952 das wohl berühmteste Foto der italienischen Radsport-Geschichte entstand.

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Eine Aufnahme am berühmten Aufstieg Col du Galibier zeigt, wie der ehemalige Untergrund-Radkurier seinem ärgsten Rivalen, in diesem Moment aber sichtbar erschöpften Landsmann Fausto Coppi eine Wasserflasche reicht. Eine große Geste der Fairness. Und doch bleibt Bartali wegen einer noch größeren menschlichen Leistung in Erinnerung.

Denn seit 2013 gehört er tatsächlich zu den „Gerechten unter den Völkern“. Er steht damit in einer Reihe mit dem früheren Unternehmer Oskar Schindler, der rund 1200 Juden vor dem Tod rettete, und Miep Gies, die Anne Frank in Amsterdam versteckte. Es mag in seine Sinne gewesen sein, dass er diese besondere Ehrung erst lange nach seinem Tod erhielt. Er scheute die Öffentlichkeit. Seinem Sohn Andrea soll er geraten haben, derlei Taten lieber zu verschweigen. Denn: „Wenn du darüber redest, nutzt du das Unglück anderer für dich aus.“ Bartali selbst tat es nicht, seinen Kindern wiederum verbot er es. Wenn man ihn auf seine für ihn lebensgefährlichen Dienste ansprach, sagte er: „Helden sind andere. Ich bin nur ein Radfahrer.“