Kassel. Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat das WM-Aus in Frankreich getroffen. Nun blickt sie auf die EM-Qualifikation ihrer Mannschaft.

Die Wunde, die das schmerzliche WM-Aus verursacht hat, ist bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft noch nicht ganz vernarbt, da geht es in der EM-Qualifikation schon weiter. Mit der Pflichtaufgabe gegen Montenegro in Kassel am Samstag (12.30 Uhr/ARD) und dem Auswärtsspiel drei Tage später in Lwiw gegen die Ukraine (16 Uhr/ ZDF) will Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (51) den Entwicklungsprozess vorantreiben.

EM-Qualifikation startet gegen Montenegro

Der Start in die EM-Qualifikation für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft gegen Montenegro am Samstag in Kassel ist als Familientag deklariert. Wie viele Familienmitglieder der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg werden sich denn zur Anstoßzeit um 12.30 Uhr im Auestadion einfinden?

Martina Voss-Tecklenburg: Von mir sind immer Freunde und Bekannte dabei. Und mein Mann lässt ja auch kaum eines unserer Länderspiele aus, der würde am liebsten auch noch drei Tage später in die Ukraine mitfliegen, wenn es ginge.

Wie schwierig wird es, zwei Monate nach dem WM-Aus wieder den Schalter umzulegen?

Es muss cool sein, sich einer neuen Aufgabe zu stellen. Wir wollen gleich im ersten EM-Qualifikationsspiel mit viel Spielfreude an die Sache rangehen. Sicherlich wird unser Gegner mit allen Mitteln verteidigen, aber ich möchte, dass die Mannschaft das Spieltempo permanent hochhält, auch wenn nicht alle Nationalspielerinnen bei 100 Prozent sein können. Wir sagen daher auch nicht, wir schießen soundsoviele Tore.

"Wir wollen die Aufarbeitung gemeinsam anstellen"

Bevor die Absage der verletzten Melanie Leupolz kam, hatten Sie bis auf die zurückgetretene Lena Goeßling, die verletzten Marina Hegering und Almuth Schult exakt den WM-Kader berufen. Warum?

Zwei Komponenten kommen zusammen: Wir sind einerseits von diesem Team überzeugt, andererseits wollen wir die Aufarbeitung gemeinsam anstellen, in dem wir Gespräche führen oder Befindlichkeiten aufklären, nachdem wir bei der WM sehr abrupt auseinandergehen mussten.

War die Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Schweden Ihre persönlich größte Enttäuschung als Trainerin?

Florijana Ismaili, Schweizer Fußballnationalspielerin, ist bei einem Badeunfall im Comer See gestorben.
Florijana Ismaili, Schweizer Fußballnationalspielerin, ist bei einem Badeunfall im Comer See gestorben. © Peter Hartenfelser / imago images

Ich habe in meiner Trainerkarriere ein Ausscheiden mehrfach erlebt. Das ist mir mit der Schweiz passiert, aber auch im Klubfußball stellt man fest, dass es nicht so optimal läuft, wie man sich das gewünscht hat. Natürlich hat mich das lange beschäftigt, und dann kam noch die Geschichte mit Florijana Ismaili (die Schweizer Nationalspielerin wurde nach einem Badeunfall vermisst und am 2. Juli tot aufgefunden, Anm. d. Red.) dazu, was mich tief, tief getroffen hat. Das hat mich als Mensch unheimlich berührt…

…weil Sie eine besondere Beziehung zu ihr hatten?

Sie hat fünf Jahre bei mir gespielt! Ich habe sie damals in die Nationalmannschaft der Schweiz geholt! Hier war die Beziehung zur Spielerin noch intensiver, weil ich sie noch auf vielen anderen Wegen ihrer Karriere betreut habe. Ich habe ihr Ratschläge gegeben, wie ihr weiterer Weg aussehen könnte. Auch der Kontakt zu ihrer Familie war da.

"Für mich war dann einfach wichtig, dass ich Abstand gewinne"

Dann haben sich also die Enttäuschung über das sportliche Abschneiden ihrer Mannschaft und ein tragisches Schicksal Ihrer Ex-Spielerin miteinander vermengt?

Ich erinnere mich noch genau, wie wir am Sonntagmorgen nach einer kurzen Nacht im Zug saßen. Und dann kam diese Nachricht noch dazu….(macht eine Pause). Für mich war dann einfach wichtig, dass ich Abstand gewinne und mir Zeit nehme, ehe ich mich dann auch mit meinem Trainerteam zusammengesetzt habe.

Die Ausgangslage ist jetzt, dass die Frauen-Nationalmannschaft die nächsten zwei Jahre Mühe haben wird, ins öffentliche Bewusstsein vorzustoßen.

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Es ist einfach schade, dass wir nicht das Olympia-Turnier spielen können. Nun müssen wir versuchen, den Entwicklungsprozess anders zu gestalten. Über hochkarätige Freundschaftsspiele und wohl auch dem Algarve Cup im nächsten Jahr. Wir werden auch genau hinsehen, was mit den Spielerinnen passiert, die im Sommer die Vereine gewechselt haben: Wir müssen beobachten, wie viel sie spielen, ob sie spielen, wie sie spielen. Das kann dazu führen, dass wir in zwei, drei Monaten noch Anpassungen vornehmen.

"Ich kann nicht gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen"

Die derzeit verletzte Nationaltorhüterin Almuth Schult hat unverblümt ein Mentalitätsproblem ausgemacht. Was können Sie konkret tun, um mehr Charakterköpfe herauszubilden?

Ich kann nicht gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen. Wir haben schon Typen, die wir in den U-Teams durch unsere Trainerinnen unterstützen wollen und ihre Individualität ausleben lassen. Aber wir decken nur einen Teil ihrer Ausbildung ab. Ich habe gerade einer jungen Spielerin in einem neuen Klub gesagt, dass sie Wünsche ihres Trainers zu erfüllen hat. Anpassung gehört zu einem Reifeprozess auch dazu.

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Werden Bayerns Giulia Gwinn, die mit 19 Jahren zur besten Nachwuchsspielerin der WM gewählt wurde, und Lena Oberdorf von der SGS Essen, die mit 17 Jahren die jüngste deutsche WM-Spielerin aller Zeiten wurde, bereits mehr Verantwortung bekommen?

Natürlich. Giulia ist bereits ein fester Bestandteil unseres Teams. Bei Lena müssen wir die Belastung durch die Schule berücksichtigen und auch darauf achten, dass sie alles gesundheitlich durchsteht. Sie ist ein Toptalent, aber ich fand richtig, dass ihr Vereinstrainer Markus Högner sie am ersten Spieltag nicht gleich aufgestellt hat. Ich denke noch an Klara Bühl, die sich entwickeln kann; an Lina Magull, die noch nicht gefestigt ist.