Köln. Das Leben ist kein Ponyhof. Das gilt auch für Annica Hansen, die auch in schweren Zeiten über ihre Pferdeliebe bloggt.
Tränen, sie kämpft gegen die Tränen und gegen ihre brüchige Stimme. Im Schneidersitz hockt Annica Hansen ungeschminkt auf einem Stuhl in ihrer Wohnung, auf ihren Beinen liegt als Halt, als Schutz, als was auch immer ein graues Kissen. Einige Minuten erzählt Hansen bereits vom schlimmen Verletzungspech ihres Pferdes Canto. Irgendwann überkommen sie die Emotionen – und Hansen wischt sich vor laufender Kamera mit der Hand über das Gesicht.
Etwa eine Viertelstunde dauert das Video, welches Annica Hansen vor gut vier Wochen auf der Internet-Plattform YouTube postet. Eigentlich ist es nur eins von vielen. Schließlich ist die 36-Jährige eine der beliebtesten und gefragtesten Pferde-Influencerinnen in Deutschland. Und doch ist diese Sequenz wichtig.
Nur ein vermeintliches Traumleben
Weil sie zeigt, dass es nicht nur fröhliche, glückselige Momente im Umgang mit Pferden – und auf Annica Hansens Social-Media-Kanälen – gibt.„Es geht nicht darum, allen zu zeigen, was für ein perfektes Glamour-Leben ich führe“, sagt Hansen einige Tage bevor sie das Video online stellt über ihren Job. Wir treffen uns an dem Stall vor den Toren Kölns, in dem sie mit ihren Pferden Wölbchen und Canto vor etwa einem Jahr ein neues Zuhause fand. Berufe rund ums Pferd – so heißt ein Thema unserer Serie „Das Leben ist (k)ein Ponyhof“.Und Pferde-Influencerin ist ein Beruf, wenn auch ein neuer, ein für viele Menschen irgendwie noch geheimnisvoller.
Wer diese Annica Hansen ist? Eine junge, kreative, mutige Frau, die aus Duisburg stammt, die erst als Model, dann als Moderatorin bei verschiedenen Fernsehsendern arbeitete. „Aber ich war meiner Meinung nach nie wirklich erfolgreich“, erzählt sie und ergänzt in dem Wissen, dass es dazu andere Meinungen gibt: „Es war in den Augen vieler Leute ein Traumleben, das sich vor der Kamera aber nicht so angefühlt hat.“
Annica Hansen sattelt um
Deshalb sattelte Hansen um. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie wollte etwas machen, „für das ich brenne, für das mein Herz schlägt“. Okay, die Fitness- oder Beauty-Videos, die sie zu Beginn ihrer Social-Media-Karriere vor allem auf YouTube postete, fielen noch durch dieses Raster. „Einige sind zum Glück nie online gegangen, das war eher Comedy“, sagt Hansen und lacht selbst über ihre ersten Versuche als Influencerin.
„Unabhängig von einander haben mir ein paar Leute, die sehr erfolgreich auf YouTube sind, geraten: Du musst Dinge tun, die dich wirklich ausmachen; Du musst dir ein Thema suchen, für das du wirklich stehst“, erzählt sie und fügt selbstironisch an: „Ihr seid lustig, habe ich denen geantwortet, ich liebe Pferde.“
Pferde. In der Schule werden junge Mädchen gerne belächelt, die sich den freundlichen Vierbeinern verschrieben haben. Doch als Hansen zwei Pferde-Videos veröffentlichte „und diese durch die Decke gingen“, stand für sie fest: „Super, dann mache ich Pferdevideos.“ Vor mittlerweile knapp drei Jahren fiel dieser Entschluss, ihre Follower-Zahlen explodierten – und die Pferde-Influencerin ist eine selbstbewusste, eigenständige und erfolgreiche Unternehmerin geworden, die mit „Ponyliebe“ sogar ein eigenes Pferdemode-Label gründete.
Rund 188.000 Follower auf YouTube, etwa 126.000 auf Annica Hansens Instagram-Kanal und sogar 248.000 auf Wölbchens sind ein Pfund, das ihr genug Kooperationspartner, so nennt sie die Firmen, für die sie in Videos oder Instagram-Stories oder auf Bildern wirbt, beschert. Anfangs war das nicht so. „Natürlich habe auch ich Konzepte geschrieben und bin zu Firmen hingegangen“, sagt sie, betont aber: „Ich wollte schon immer nur mit Firmen zusammenarbeiten, hinter deren Produkten ich wirklich stehe.“
Den Stand ihres Futtermittel-Kooperationspartners Agrobs habe sie zum Beispiel bei der Equitana so lange belagert, „bis die vermutlich dachten, wann geht die verrückte Blonde wieder“. Hansens Ausdauer wurde belohnt. Und an diesem Beispiel verdeutlicht sie, wie das Zusammenspiel zwischen Influencern und Kooperationspartnern ihrer Meinung nach laufen muss: „Agrobs war als Futtermittelhersteller in meiner Community zuerst kein Thema, weil die nicht cool waren. Mittlerweile sind die Jungs von Agrobs ziemlich cool, weil sie in vielen Videos auftauchen.“ Heißt: Beide Seiten müssen von den Zusammenarbeit profitieren. „Es gibt keine Firma, die dir etwas schenkt.“
Das Erfolgsrezept
Hansens Erfolg beruht aber vor allem darauf, dass sie Dinge aus ihrem Alltag mitteilt, wie sie lebt, wie sie mit ihren Pferden umgeht. „Die Grenze zum Privatleben hat sich tatsächlich immer mehr verschoben“, sagt Hansen, die jede Nachricht oder jeden Kommentar selbst liest und gegebenenfalls selbst beantwortet. Ihr Freund komme auf Bildern und in den Videos vor, „und Pferde sind jetzt nicht mehr mein Hobby, sondern mein Beruf“. Dass sie in diesem viel mehr arbeite als früher – macht ihr nichts. Dass sie selbst Turniere nur bis L-Niveau reitet – stört ihre Community und sie selbst ebenso wenig. „Ich habe immer davon geträumt, etwas mit Pferden zu machen, und bin deshalb sehr, sehr glücklich.
Dieses Glücklichsein versprüht sie auch online. Außer, sie muss ihren Followern mitteilen, dass sich Canto eine Verletzung am Fesselträgerursprung zugezogen hat und Wölbchen mit 19 Jahren in die verdiente Rente gehen muss. „Wenn ich weinen muss, weine ich“, sagt Hansen bei unserem Treffen und nennt neben der Themenwahl und der Ausdauer auch Authentizität als Erfolgsrezept.
Wer die Kommentare auch unter dem Video zu Cantos Diagnose liest, der merkt, wie Recht die 36-Jährige damit hat. Und ihre Tränen – dürften angesichts so viel Zuneigung und Trost schnell getrocknet sein.