Magdeburg. Die Handballer des SC stehen im Pokal-Finalturnier. Aushängeschild des Klubs ist Matthias Musche – der bekannteste Bartträger der Liga.
Als der Sturm kam, hatte das Arena-Dach keine Chance. Es war Anfang März, als der SC Magdeburg sein Training wegen eines Sturmtiefs mit dem Namen Bennet für mehrere Tage in eine andere Halle verlegen musste. Unglücklich, aber irgendwie passte es auch zu dem Verein, der in dieser Saison unter einem Trainer mit dem Vornamen Bennet wie ein Sturm durch die Handball-Bundesliga zieht und am Wochenende im Finalturnier in Hamburg den DHB-Pokal gewinnen will. Der SC Magdeburg ist einer der erfolgreichsten Handballklubs Deutschlands. Ein Verein mit Geschichte – und vielen Geschichten.
Die Geschichte vom Erfolg gegen den unbesiegten Meister
Die SG Flensburg-Handewitt hatte schon vergessen, wie sich Niederlagen in der Bundesliga anfühlen. Ungeschlagen war der amtierende Meister seit dem 22. März 2018, seit 371 Tagen. Dann kam er vergangene Woche nach Magdeburg – und verlor 23:24. Eine kleine Sensation? Nein, denn der SC Magdeburg hat als derzeitiger Tabellendritter ohnehin eine starke Saison gespielt. Sieben Siege zum Saisonstart – Vereinsrekord eines Klubs, der mit zahlreichen DDR-Meisterschaften, einer gesamtdeutschen Meisterschaft und vielen internationalen Titeln nicht arm an Erfolgen ist. Eine wilde Mischung ist das derzeitige Team: 17 Spieler aus neun Nationen sind am Ball, aber auch ein waschechter Magdeburger. Der will unbedingt am Samstag das Halbfinale gegen die TSV Hannover-Burgdorf (15.50 Uhr/ARD/Sky) erfolgreich bestreiten – und dann am Sonntag nach dem Finale gegen den THW Kiel oder die Füchse Berlin (15.10 Uhr/ ARD/Sky) den Pokal in die Höhe stemmen.
Die Geschichte vom Rauschebart
Das Gesicht des SC Magdeburg ist ein bärtiges. Es gehört Matthias Musche, dem neuen Star des Vereins, der einst untrennbar mit dem Namen Stefan Kretzschmar verbunden war. Musche ist ein anderer Typ als der extrovertierte Kretzschmar. Bodenständiger abseits des Spielfelds, er lebt in einem Mehrgenerationenhaus mit seiner Oma, buddelt und mäht in seiner Freizeit in seinem Schrebergarten. Auf dem Spielfeld aber ist er ebenso emotional wie einst Kretzschmar. 26 Jahre alt ist Matthias Musche, in dieser Saison hat er seinen Durchbruch geschafft. Auf der linken Außenbahn arbeitet er blitzschnell und trickreich. Mit seinem markanten Bart wirkt er beim Jubel nach Torerfolgen wie ein Wikinger nach erfolgreicher Schlacht. 206 Mal hat er in dieser Bundesliga-Saison getroffen, er führt die Torschützenliste mit großem Abstand auf Tim Hornke vom TBV Lemgo an (171) – dem Ehemann seiner Cousine. Sein blonder Rauschebart ist zu einer Art Markenzeichen geworden. „Der bleibt. Ich habe ihn einmal abrasiert und sah dann wieder aus wie ein Zwölfjähriger“, sagt Musche, der sich den Pokalsieg als Ziel gesetzt hat, um seine starke Saison zu krönen: „Wir haben Selbstvertrauen und wissen, dass wir jede Mannschaft schlagen können. Und klar: Wer im Final Four in Hamburg steht, will Pokalsieger werden. Gerne mache ich kein Tor und wir gewinnen den Pokal – dann bin ich auch glücklich.“
Die Geschichte mit der Meisterfeier
Der Profitraum von Matthias Musche nahm auf dem Rathausbalkon von Magdeburg Konturen an. Da stand er am 28. April 2002. Der SC Magdeburg hatte am Vortag als erster deutscher Klub die Champions League gewonnen und feierte nun im ersten Haus der Stadt. Trainer Alfred Gislason grölte Lieder, Torhüter Sune Agerschou verteilte Bierduschen an die Fans, Stefan Kretzschmar verteilte freudentrunken Umarmungen. Mittendrin: E-Jugendspieler Matthias Musche, neun Jahre alt, die blonden Haare hatte er sich in den Vereinsfarben rot und grün gefärbt. Rückraumspieler Sven Liesegang hatte seinen Sohn Tim und dessen Kumpel Matthias mitgenommen auf die Meisterfeier. „12.000 Menschen haben die Mannschaft gefeiert“, erinnert sich Musche. „Da habe ich schon davon geträumt, Handballspieler zu werden und in den Jahren danach darauf hingearbeitet. Es war ein besonderer Moment.“
Die Geschichte über die zwei Colas
Als vermeintlicher Koffeinjunkie wurde Matthias Musche während der WM im Januar deutschlandweit bekannt. Zwei Flaschen Cola trinke er vor jedem Spiel, erzählte der Mann, den Bundestrainer Christian Prokop für das Heimturnier nominiert und dessen Namen das Publikum in Berlin, Köln und Hamburg bei der Mannschaftsvorstellung immer am lautesten gerufen hatte. „Kein großes Ding“, relativiert er zwei Monate später. „Die Flaschen in unserer Halle sind nun mal winzig. Und ich mag keinen Kaffee.“ Es gibt andere Dinge, die er nicht mag: Treppensteigen zum Beispiel. Deshalb wird Musche in eineinhalb Jahren auch ein Haus im Bungalostil bauen. Ein weiterer Treppenverweigerer: Hund Moritz. „Er würde einfach immer unten bleiben, wenn ich ihn nicht jedes Mal hochtragen würde“, erklärt Musche. „Er hat einfach Angst auf den Stufen.“
Die Geschichte vom Sohn einer Legende
Der Name Wiegert ist bei jedem Hallenbesuch in Magdeburg zu lesen. Das Trikot von Ingolf Wiegert hängt unter dem Hallendach. Der Sohn des einstigen Weltklasse-Kreisläufers und Olympiasiegers brachte es selbst zum Nationalspieler und zur Magdeburger Vereinslegende, heute ist der 37-jährige Bennet Wiegert an der Seitenlinie als Trainer aktiv. „Er arbeitet mega-akribisch an unserem Erfolg“, sagt Matthias Musche. „Er lässt keinen Schlendrian zu.“ Seit acht Spielen ist der SC Magdeburg nun unbesiegt. Musche gibt deutlich zu verstehen – diese Serie soll auch am Wochenende nicht reißen.