Essen. Seit 2010 ist der frühere Weltmeister Jörg Roßkopf Tischtennis-Bundestrainer. Er hat seinen Star zu Erfolgen geführt, sieht aber auch Probleme.

Der Moment, in dem Jörg Roßkopf ans Telefon geht, um über seinen Beruf zu sprechen, ist ein typischer im Arbeitsalltag des Bundestrainers der deutschen Tischtennis-Herren. Der 49-Jährige sitzt im Auto. Gerade fährt er von Düsseldorf, wo er im Deutschen Tischtennis-Zentrum einen Lehrgang mit der Nationalmannschaft beendet hat, zurück nach Hause. Der Hesse lebt mit seiner Familie in Groß Umstadt nahe Darmstadt. Von dort aus ist es nicht weit bis nach Höchst im Odenwald. Dort lebt Timo Boll, Rekord-Europameister und längst Roßkopfs Nachfolger als Gesicht des deutschen Tischtennis. Beide sind am nächsten Tag verabredet – für eine Einheit zu Hause bei Boll.

Für Jörg Roßkopf ist das eine normale Woche: Montags bis Donnerstags Lehrgang in Düsseldorf, dann kurz nach Hause, Privattraining mit Boll und am Wochenende Wettkampf irgendwo auf der Welt. An diesem Wochenende ist es Montreux in der Schweiz. Dort findet das Europe-Top-16-Turnier statt. Timo Boll ist Titelverteidiger. Roßkopf: „Wenn man alles zusammen nimmt, bin ich im Jahr etwa 200 Tage à 24 Stunden von zu Hause weg.“

Selbst steht Jörg Roskopf nicht mehr am Tisch

Doch er hat es so gewollt. „Es war immer mein Wunsch als Trainer tätig zu werden“, erzählt Roßkopf. „Ich habe mit vielen tollen Trainern zusammengearbeitet. Ich wollte das Beste von allen weitergeben, zusammen mit meinen eigenen Erfahrungen.“ Als er 2010 gefragt wurde, ob er die Nachfolge von Richard Prause als Herren-Bundestrainer antreten wolle, sagte er sofort zu.

Doch bevor der Doppel-Weltmeister von 1989 im August 2010 das Amt übernahm, machte er im April zunächst Schluss mit seiner aktiven Karriere. „Das System Spielertrainer funktioniert nicht“, sagt er. „Ich würde mich unglaubwürdig machen. Entweder habe ich aufgehört oder nicht.“ Auch wenn er mit seinen Jungs in der Halle beim Lehrgang sei, stehe er „kein einziges Mal“ spielend am Tisch. „Die Spieler sollen nicht das Gefühl haben: Der denkt immer noch, er kann es besser.“ Selbst greife er nur zum Schläger, „wenn Timo bei sich zu Hause keinen Trainingspartner hat – oder ich ein paar Bälle mit dem Sportdirektor Richard Prause spiele. Dann aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit.“

Jörg Roßkopf als Spieler: 1989 wurde der damalige Spieler von Borussia Düsseldorf zusammen  mit Steffen Fetzner (r.) in Dortmund Doppel-Weltmeister.
Jörg Roßkopf als Spieler: 1989 wurde der damalige Spieler von Borussia Düsseldorf zusammen mit Steffen Fetzner (r.) in Dortmund Doppel-Weltmeister. © dpa/pa

Roßkopf sieht seine Aufgabe darin, im entscheidenden Moment die richtigen Spieler zu nominieren und das Maximale aus ihnen herauszuholen. Die Zusammenarbeit mit dem Verband und den Vereinen sei dafür besonders wichtig.

Jörg Roßkopf, ein erfolgreicher Bundestrainer

Bislang funktioniert das alles: Unter Bundestrainer Jörg Roßkopf wurde die deutsche Mannschaft mehrfach Europameister, 2016 Olympia-Dritter. 2018 stand erst Dimitrij Ovtcharov dann Timo Boll an der Spitze der Weltrangliste. „Man braucht Fingerspitzengefühl“, sagt Roßkopf. „Jeder Spieler ist anders. Timo hatte schon immer ein herausragendes Talent, Dima ist ein akribischer Tüftler, ein Perfektionist. Andere hingegen entwickeln sich erst deutlich später zu Topspielern.“

Natürlich, sagt Roßkopf, blickt er etwas neidisch nach Asien. Dort werden schon früh die besten Talente zusammengezogen und die allerbesten zu Stars ausgebildet. „Vergleicht man unsere Möglichkeiten mit denen Asiens, dann sind wir keine Sportnation“, sagt Roßkopf, „die Investitionen sind hier um ein Vielfältiges geringer.“ Als Beispiel nennt er Japans Wunderkind Tomokazu Harimoto: „Für ihn wird für zwei Turniere so viel Geld zur Verfügung gestellt, wie ich für das ganze Jahr für meinen gesamten Kader zur Verfügung habe.“

Roßkopf beklagt mangelnden Respekt

Roßkopf sagt das ohne Verbitterung. Mehr zu schaffen macht ihm fehlender Respekt. „Allein, dass bei Olympischen Spielen Trainer nicht mit aufs Treppchen dürfen, zeigt doch den Stellenwert des Berufs“, sagt er. Glücklich macht ihn aber auch die finanzielle Lage nicht. „Im Grunde können momentan alle froh sein, dass wir überhaupt noch so erfolgreich sind.“ Er selbst arbeitet hauptberuflich als Bundestrainer. „Man kann davon leben.“ Aber: „Zum Glück habe ich die Möglichkeit, über meine Sponsoren rechts und links was mitzunehmen.“ Reich wird man als Bundestrainer also nicht.

Perspektivisch sieht Roßkopf darin ein Problem. „Die Jungs bleiben so lange es geht Profis – weil sie da auch gutes Geld verdienen.“ Er plädiert: „Der Verband muss den Trainerberuf Spielern wie Timo Boll schmackhaft machen. Es müssen mehr erfolgreiche Ex-Profis in den Trainerberuf. Deren Erfahrung und Wissen kann der Verband eigentlich gar nicht gut genug bezahlen. Was sie weitergeben können, lernt man nicht in der Trainerausbildung.“

Roßkopf setzt auf Hilfe von Experten

Dennoch arbeitet auch Jörg Roßkopf längst nicht allein. Er findet: „Georg Hackl im Rodeln und Marco Sturm im Eishockey sind auch deshalb so erfolgreiche Trainer, weil sie genau wissen, auf wen sie bauen können.“ So setzt Roßkopf zum Beispiel auf Helmut Hampl als Leiter des U23-Bereichs. Der 66-Jährige hat ein Auge für Talente. Er entdeckte Roßkopf, Boll sowie Patrick Franziska. Außerdem unterstützen Videoanalyst Sascha Nimtz, Athletiktrainer Ralph Färber und Sportpsychologe Christian Zapp. „Es ist wie in der Medizin: Ein Arzt kann auch nicht alle Operationen alleine machen, auch der braucht Experten“, vergleicht Roßkopf.

Wie lange er selbst den Chefarzt-Posten behalten wird? Da will er sich nicht festlegen. Der frühere Bundesliga-Profi Lars Hierscher – aktuell Roßkopfs Co-Trainer – könnte einer der Kandidaten für die Zeit nach ihm werden. „Wir arbeiten sehr gut zusammen. Und Fakt ist, dass ich bald 50 werde und den Job wahrscheinlich nicht ewig machen werde“, sagt Roßkopf. Zwar mache „die Arbeit mit der Truppe riesigen Spaß“, doch so langsam merke er, wie ihm die Zeit mit der Familie fehle. „Ich habe als Spieler immer 100 Prozent gegeben“, sagt er. „Das mache ich auch als Trainer. Wenn ich aber irgendwann merke, dass ich das nicht mehr kann oder ich die Spieler nicht mehr erreiche, nicht mehr weiterbringen kann, dann werde ich nichts erzwingen.“