Hamburg. Linksaußen Uwe Gensheimer hebelt im Handball physikalische Gesetze aus. Doch ein großer Titel fehlt dem Kapitän der Nationalmannschaft noch.

Man wird besonders auf ihn schauen, wenn in sechs Tagen die Handball-Weltmeisterschaft in Berlin beginnt. Das weiß Uwe Gensheimer. Einen Vorgeschmack erhielt er bereits gestern in Hamburg: Fernsehkameras waren auf den Kapitän der Nationalmannschaft gerichtet, Fotografen umrundeten ihn, und Reporter stellten ihm Frage nach Frage. Gensheimer beantwortete sie alle beim Medientag der deutschen Handballer im Steigenberger Hotel Treudelberg. Mal lächelte er dabei, mal wurde seine Miene ernster. Er versicherte, fokussiert zu sein. Alles zu geben in diesem Turnier der Weltbesten, das in Deutschland und Dänemark gespielt wird, das die deutsche Mannschaft im Erfolgsfall nach der Vorrunde in Berlin weiter nach Köln (Hauptrunde) und Hamburg (Halbfinale) führen wird. Das Traumziel: Herning in Dänemark, Austragungsort des Endspiels.

Gensheimer hat mit EM-Aus abgeschlossen

Doch zu viele Träumereien gestattete sich der 32-jährige Gensheimer nicht. „Halbfinale … selbst das ist vielleicht noch einen Schritt zu weit gedacht.” Denn in der Vorrunde geht es ab 10. Januar nach Auftaktgegner Korea gegen Brasilien, Russland, Frankreich und Serbien. „In der Hauptrunde werden dann auch harte Brocken warten. Da entscheiden Kleinigkeiten über Sieg und Niederlage.“

Euphorie herrscht angesichts der Erinnerung an 2007, diesen legendären Triumph des Teams von Bundestrainer Heiner Brand. Doch ein Stück verhalten ist der Optimismus trotzdem. Die misslungene Europameisterschaft mit dem Hauptrunden-Aus vor einem Jahr unter dem damals neuen Bundestrainer Christian Prokop ist noch zu präsent in den Köpfen. Und damit auch das Scheitern von Kapitän Gensheimer.

Der Kapitän versprüht Optimismus

„Abgeschlossen” hat er damit, betont der Mannheimer. „Ich habe es damals nicht geschafft, auf dem höchsten Level wie zuvor im Verein zu spielen. Als Mannschaft haben wir das nicht geschafft. Aber ich bin optimistisch, dass das nicht noch einmal passieren wird.” Warum? Die Stimmung im Team sei besser, die Torgefahr wieder da, die Abwehr gewohnt aggressiv, meint er. „Es läuft gut im Training.”

Gut lief es zuletzt auch in seinem Verein. Gensheimer ist der einzige deutsche Nationalspieler, der für einen ausländischen Spitzenklub spielt. Für das millionenschwere Paris St.-Germain aus Frankreich. Der sprunggewaltige Kapitän ist für Stefan Kretzschmar, seinen legendären Vorgänger auf der Außenbahn, sogar „der beste Linksaußen seiner Generation”. Schon während seiner Bundesligazeit bei den Rhein-Neckar Löwen schien er physikalische Gesetze auszuhebeln, wenn er den Ball mit Effet um den Torwart drehte und mit seinem scheinbar aus Gummi bestehenden Handgelenk eine erstaunliche Anzahl an Wurfvarianten anwendete.

Wenn der ehemalige Fußball-Nationalmannschafts-Kapitän Michael Ballack angesichts fehlender internationaler Triumphe als unvollendet bezeichnet wird, dann trifft dies im Handball auch auf Uwe Gensheimer zu. Auf den ganz großen Bühnen erzählten seine Gesichtsausdrücke unmittelbar nach Spielende ganze Geschichten.

Viele Niederlagen für Gensheimer

EM 2016: freudig, aber mit einem Schuss Melancholie versehen. Deutschland war in Polen Europameister geworden, doch Kapitän Gensheimer sah den Spielen verletzt von der Tribüne aus zu. WM 2017: unendlich traurig. Kurz vor dem Turnierstart in Frankreich war Gensheimers Vater Dieter gestorben. Im Achtelfinale war das Turnier schließlich beendet. Champions-League-Finale 2017: fassungslos. In letzter Sekunde fiel der Treffer zur 23:24-Niederlage gegen den mazedonischen Klub Vardar Skopje. Gensheimer kochte: „Es ist zum Kotzen.”

EM 2018: müde. Als letzter Spieler checkte er nach dem Hauptrunden-Aus aus dem Hotel in Kroatien aus, während des Turnierverlaufs hatte Gensheimer zunehmend in sich gekehrt gewirkt, seine Fehlwurfquote war ungewohnt hoch, als Führungsfigur war er kaum präsent. Champions-League-Finale 2018: frustriert. Den Titel als bester Torschütze der Königsklasse nannte er angesichts des Halbfinal-Aus gegen den französischen Ligakonkurrenten HBC Nantes abwinkend einen „Trostpreis”.

Deutschland spielt gegen Tschechien

Nun also nächste Woche die WM im eigenen Land. „Wir müssen versuchen, eine Euphorie wie 2007 zu entfachen”, sagt Gensheimer. Heute (16.15 Uhr/ARD) geht es für die Handball-Nationalmannschaft in Hannover gegen Tschechien, am Sonntag (14 Uhr/zdfsport.de) in Kiel gegen Argentinien. Es sind die letzten Testspiele, bevor Deutschland auf seine Handballer schaut – und besonders auf deren Kapitän.