London/Essen. Darts: Am Donnerstag beginnt die WM im Londoner Alexandra Palace. Sport1-Experte Gordon Shumway über Favoriten, den Hype und seinen Namen.

Kurz vor der WM steht das Handy von Gordon Shumway nicht still. Der 50-jährige aus Hessen hat sich als Ansager beim Darts einen Namen gemacht. Bei der am Donnerstag beginnenden WM in London arbeitet er als Experte für Sport1. Aber nicht nur Zeitungen wollen mit ihm sprechen, auch Darts-Legende Raymond van Barneveld. Shumway ist gut befreundet mit dem Niederländer. „Ab und zu holt er sich auch mal einen Tipp ab“. Wer in diesem Jahr seine Favoriten sind, und wieso er Caller wurde, verrät Shumway im Interview mit dieser Redaktion.

Herr Shumway, welche Namen stehen in diesem Jahr auf Ihrer Favoritenliste?

Mein Top-Favorit ist Gary Anderson. Und natürlich muss man Michael van Gerwen dazuzählen, außerdem Peter Wright. Auf James Wade muss man auch aufpassen.

Warum Gary Anderson?

Er ist einer der cleversten. Er ist früher ein Hallodri gewesen. Wenn er Lust hatte, hat er trainiert, wenn nicht, dann nicht. Aber mittlerweile ist er an einem Punkt angelangt, wo er sich ganz explizit auf Turniere vorbereitet – wie beim World Match-Play, das er 2018 zum ersten Mal gewonnen hat. Er weiß, er ist in einem Alter, wo er nicht mehr fünf, sechs Jahre Zeit hat, Titel zu holen. Er hat wie Michael van Gerwen bisher zwei WM-Siege und wäre gerne der erste von beiden, der drei hat.

Ein Name fehlt auf Ihrer Liste: Der amtierende Weltmeister Rob Cross.

Meine persönliche Meinung: Der WM-Titel kam für ihn ein Jahr zu früh. Klar war es für ihn ein Glücksgriff, aber er war ja erst ein Jahr als Profi auf der Tour. Der Titel war eine große Last. Er hat drei Kinder, die er kaum noch sieht, weil er nur noch in der Welt unterwegs ist. Ich glaube, er ist einer der Menschen, die am glücklichsten sind, wenn sie diesen Titel nicht mehr verteidigen müssen.

Er war derjenige, der im Finale das Phil-Taylor-Märchen zerstört hat. Sie kennen die englische Darts-Legende sehr gut. Hat sie das gewurmt?

Seinen 17. Titel gegen einen jungen aufstrebenden Darts-Spieler zu gewinnen, der brennt, das wäre des Guten zu viel gewesen. Märchen gibt es nicht allzu häufig. In diesem Finale hatte er keine Chance.

Wie kann eine WM ohne Phil Taylor überhaupt funktionieren?

Kein Spieler ist größer als der Sport selbst. Eine Fußball-WM gibt es auch Pelé und Maradona noch, und eine Darts-WM wird es auch nach Phil Taylor geben. Man wird ihm ewig dankbar sein, weil er den Sport groß gemacht hat. Er wird wahrscheinlich der erfolgreichste Spieler aller Zeiten bleiben, 16 Titel wird erstmal keiner erleben, jedenfalls ich nicht.

Wäre van Gerwen nicht der ideale Nachfolger?

Michael van Gerwen wird Mühe haben, so viele Titel zu holen. Er will auch gar nicht so lange spielen. Und er hat ja auch „erst“ zwei. Man muss erstmal fünf gewinnen wir Raymond van Barneveld oder Eric Bristow. Er wird wahrscheinlich als der beste Dartsspieler in der Geschichte eingehen, aber nicht als der erfolgreichste. Das ist der Leistungsdichte geschuldet. Vor 15 Jahren hätte er vielleicht auch 16 Titel gewonnen, aber in seiner Generation ist das nicht mehr möglich.

Zu dieser Generation gehört auch der deutsche Hoffnungsträger Max Hopp. Warum steht er nicht auf Ihrer Liste?

Darts-Profi Max Hopp in Dortmund
Darts-Profi Max Hopp in Dortmund © firo

Es ist immer eine Frage der Auslosung. Wenn Max Hopp wirklich in der dritten Runde auf Michael van Gerwen trifft, muss er einen perfekten Tag haben. Es muss alles genauso laufen, wie er sich das vorstellt. Sonst war es das. Es bleibt abzuwarten, ob Max Hopp schon in diesem Jahr die Nerven hat, van Gerwen zu schlagen.

Ist er denn einer, der Deutschland den ersten WM-Titel bescheren kann?

Auf jeden Fall. Ich verfolge seinen Weg von Beginn an, und es ist schon imposant, dass er in diesem Jahr als erster Deutscher ein Turnier auf der European-Tour gewinnen konnte. Ich habe nicht daran geglaubt, da hat er mich Lügen gestraft. Jetzt muss man abwarten, ob es ein One-Hit-Wonder war oder ob noch mehr kommt.

Hopp werden auch viele Deutsche im Alexandra Palace anfeuern. In Essen gibt es sogar ein Public-Viewing…

… es soll sogar englische Zuschauer im Alexandra Palace geben!

… stimmt. Hätten Sie gedacht, dass Darts mal so boomen würde?

Ich habe davon geträumt. Kennen Sie das Lustige Taschenbuch?

Ja.

Ich habe mir seit 40 Jahren mal wieder eines gekauft. Auf der aktuellen Ausgabe, Nummer 514, spielt Donald auf der Titelseite tatsächlich Darts. Es ist einfach unglaublich. Jede Zeitung schreibt über Darts, im Fernsehen gibt es mehr Darts zu sehen als Skispringen. Es ist verrückt.

Einer aus der Anfangszeit war Raymond van Barneveld, der demnächst seine Karriere beenden möchte. Zu ihm haben Sie engen Kontakt.

Er zählt zu meinen besten Freunden. Er besucht mich regelmäßig im House of Darts. Im Moment schreiben wir jeden Tag miteinander. Ab und zu holt er sich auch mal einen Tipp.

Tatsächlich?

Ja, lustig, ne?

Wie geht es ihm vor der WM?

Nachdem er sein Karriere-Ende für 2020 bekannt gegeben hat, sieht er das ein bisschen lockerer. Ich muss sagen, ich wusste es schon eine längere Zeit. Ich habe ihm mein Wort gegeben, das ich es nicht verrate. Natürlich wäre es für ihn ein Traum, einen Titel mehr als Eric Bristow zu gewinnen.

Herr Shumway, mal ein anderes Thema: warum heißen Sie eigentlich wie die Hauptfigur der Fernsehserie Alf? Ich habe gehört, dass dieser Name sogar in ihrem deutschen Ausweis steht.

Ja, das stimmt. Auf der Rückseite gibt es die Rubrik Künstlername. Mitte der 80er-Jahre hing unter der Dartsscheibe in unserer Gaststätte ein Poster dieser Serie: Alf im Football-Trikot mit der Nummer 67. Ich habe zu meinen Freunden gesagt, es wäre doch super hilfreich, einen englischen Namen zu haben, dann hätten die Gegner doch schon die Hosen voll, wenn sie den Namen hören würden. Ein Freund hat mich dann tatsächlich bei einem Turnier unter diesem Namen angemeldet. Ich habe das nicht mitbekommen und musste zweimal aufgerufen werden. Das ist jetzt dreißig Jahre her. Irgendwann habe ich den Namen als Marke schützen lassen.

Hören Sie heute nur auf den Namen?

Sogar meine Mutter nennt mich Gordon. Meinen richtigen Namen kennen nur noch ganz wenige.

Sie waren mehrmaliger Hessenmeister, haben dann aber die Seiten gewechselt und sind Caller geworden.

Seit 1991, ja. Caller wird man nur, wenn man einen Unfall hatte. Kein Mensch will Caller werden. Wir haben mal ein Turnier ausgerichtet und keiner wollte das machen. Da haben meine Freunde gesagt: Du hast die größte Schnauze und hast am meisten englische Darts-Videos gesehen – mach du das doch! Da habe ich gesagt: Okay, lasst mich rechnen üben, dann wird das wohl hinhauen.

Und rechnen muss man ziemlich viel. Wie bringt man das auf der Bühne eigentlich so schnell fertig?

Ein Caller rechnet nicht die Zahlen zusammen, er sieht dieses Bild der drei Darts. Wenn man die Wurfbilder eine Million Mal gesehen hat, weiß man die Zahl dazu. Triple-20, Triple-19, Triple-18 sind 171. Da muss ich nicht rechnen, das weiß ich, wenn ich die Darts im Board stecken sehe.

Trotzdem schon mal verrechnet?

Ja klar! Das passiert jedem Caller mal.

Gibt es ein Qualifikationsturnier, damit man als Caller zur WM kommt?

Haha, neee, das gibt’s nicht, weil die meisten Menschen das Bedürfnis haben, als Darts-Spieler dahinzukommen. Erst wenn man merkt, dafür reicht die Karriere nicht, sucht man sich den Platz, wo man die Spiele bestmöglich verfolgen kann. Und der ist vorne auf der Bühne. Wenn man dann Lust am Rechnen hat und die Zahlen hübsch brüllen kann, fängt man auf Landesturnieren oder in der Kneipe an.

Haben Sie Angst, dass die Technik sie irgendwann überflüssig macht?

Es gibt tatsächlich die Möglichkeit, alles digital auszurechnen. Aber das sollte sich niemals ändern. Die Caller gehören wie die Schreiber zur Tradition des Dartssports.