Essen. Andreas Möller hat erst für Borussia Dortmund und dann für Schalke 04 gespielt. Er freut sich auf das erneute Aufeinandertreffen – und erinnert sich an vergangene.

Andreas Möller ist nicht gänzlich überrascht, dass der Anruf kommt. Der heute 51-Jährige Ex-Profi ist einer der größten Experten für das Revierderby, das am Samstag (15.30 Uhr/Sky) in seine 177. Auflage geht. Insgesamt 20 dieser Spiele bestritt er – sowohl für Borussia Dortmund als auch für Schalke 04. Nur zweimal ging er als Verlierer vom Platz. Im Interview verrät er, welches Spiel ihm besonders in Erinnerung blieb, wie er seinen brisanten Seitenwechsel erlebte, was er vom anstehenden Spiel erwartet – und warum er dem BVB die Meisterschaft zutraut.

Herr Möller, woran denken Sie als erstes, wenn Sie das Wort Derby hören?

Andreas Möller: Das ist doch ganz klar: Die Mutter aller Derbys, zumindest in meiner Karriere, ist das Spiel Dortmund gegen Schalke. Das ist das Spiel, für das ich mich auch heute noch am meisten interessiere. Sobald der Bundesliga-Spielplan herauskommt, schaue ich, wann das Derby stattfindet – das steckt ganz tief in mir drin.

Was macht denn dieses Spiel aus?

Möller: Es hat einen ganz besonderen Charakter. Die ganze Medienberichterstattung im Vorfeld, in der Zeitung und im Fernsehen. Heutzutage natürlich noch mehr durch die sozialen Medien. Die Fangemeinde im Pott ist ja zweigeteilt: Auf der Arbeit, im Großraumbüro, da ist die Hälfte der Leute Dortmunder und die andere Hälfte Schalker. Und jeder möchte natürlich am Montag als Derbysieger zur Arbeit gehen. Man sollte es zwar auch nicht zu hoch hängen, es bleibt ein Spiel. Aber es ist für die Leute trotzdem ungemein wichtig.

Wie sehr nimmt man das als Profi wahr?

Möller: Schon sehr. Das ging schon los, als ich meinen Vertrag in Dortmund unterschrieben. Ich bin ja kein gebürtiger Ruhrpottler, deswegen war das das erste, was mir eingeschärft wurde: Es gibt zwei ganz besondere Spiele im Jahr, vor denen musst du ganz früh ins Bett. (lacht)

Andreas Möller 1997 in Gelb und Schwarz: Ganzkörpereinsatz im Zweikampf mit dem Schalker Tschechen Jiri Nemec.
Andreas Möller 1997 in Gelb und Schwarz: Ganzkörpereinsatz im Zweikampf mit dem Schalker Tschechen Jiri Nemec. © imago

Und beim Einkaufen, beim Bäcker…

Möller: Dazu gibt es eine ganz lustige Geschichte. Ich hatte damals in Dortmund eine Stamm-Tankstelle, und der Mann an der Kasse war immer sehr kühl und zurückhaltend. Ich habe mich immer gefragt: Warum spricht der eigentlich nicht mit mir? Ich lasse hier doch auch eine Menge Geld. Er hat immer nur kassiert, hat hallo gesagt, ich habe tschüss gesagt – das war’s. Und nach vielen Jahren sagte er auf einmal zu mir: Herr Möller, jetzt kann ich es Ihnen ja sagen: Ich bin eigentlich Schalke-Fan. (lacht) Erst nach Jahren hat er sich getraut, sich zu outen – daran sehen Sie die Bedeutung, die in dem Spiel steckt.

An welches Spiel erinnern Sie sich denn ganz besonders zurück?

Möller: Das war das legendäre Spiel, in dem Jens Lehmann als Torhüter kurz vor Schluss das Tor zum 2:2 gemacht hat. Das war von der Dramatik her unglaublich. Das Spiel ging hin und her, es waren Fehlentscheidungen des Schiedsrichters dabei – und dass Jens dann am Ende nach vorne kam und den Ball reinköpfte, war natürlich die Krönung. Das war schon legendär.

Ein paar Jahre später wechselten sie ausgerechnet zum großen Rivalen. Wie hat der damalige Schalke-Manager Rudi Assauer Sie überzeugt?

Möller: Da ist schon lange her ist, kann ich es ja offen sagen: Ich habe kein gutes Vertragsangebot bekommen, der Gürtel musste enger geschnallt werden – das wurde mir so gesagt. Ich wäre gerne geblieben, aber das Dortmunder Angebot war einfach nicht akzeptabel, das konnte ich nicht annehmen. Und dann kam Rudi Assauer mit seiner Offerte. Jeder der ihn kennt, weiß: Wenn er etwas ernst meint, zieht er das auch durch. Ich war damals 32, also auf der Zielgeraden der Karriere – und Rudi Assauer hat mir einen Dreijahresvertrag vorgelegt. Das ist die Geschichte

Ja, er konnte wirklich überzeugend sein, wenn er etwas wollte.

Möller: Ich brauchte aber natürlich trotzdem Bedenkzeit, weil ich schon wusste, dass das sehr, sehr hohe Wellen schlagen würde. Die BVB-Fans haben mich all die Jahre getragen, ich bin auch dank ihnen zum Nationalspieler geworden, ich habe sie gebraucht für mein Spiel. Es war nicht einfach, das loszulassen, glauben Sie mir. Das war ein Schritt als Fußballprofi, aber menschlich war das sehr schwierig. Ich hatte in Dortmund, alles erreicht, alles gewonnen – vielleicht war das auch ein Grund, zu sagen: Ich nehme diese Herausforderung an.

Eine größere Herausforderung hätten Sie sich kaum aussuchen können.

Möller: Stimmt. Ein Wechsel zum größten Rivalen lässt natürlich die Emotionen hochschlagen. Ich habe die Reaktion der BVB-Fans ja auch verstanden. Aber ich musste als Profi so entscheiden.

Dann kam das erste Derby in Dortmund…

Möller: Das war ganz schwierig. Da stand Matthias Sammer als BVB-Trainer, dann die ganzen Ex-Kollegen auf der anderen Seite, dazu die Dortmunder Fans – das kann man gar nicht beschreiben, wie sich das angefühlt hat. Für den Schalker Trainer Huub Stevens und Rudi Assauer stand es damals aber gar nicht zur Diskussion, mich rauszunehmen. Sie haben gesagt: Du spielst das Derby, wir stehen hinter dir, wir helfen dir. Aber ich hatte in meiner Karriere bis dahin ohnehin schon so viele Drucksituationen erlebt, dass ich gut vorbereitet war.

Andreas Möller in Blau: Hier 2001 gegen den Tschechen Tomas Rosicky.
Andreas Möller in Blau: Hier 2001 gegen den Tschechen Tomas Rosicky. © imago

Heraus kam ein 4:0-Sieg für Schalke. Was erwartet uns an diesem Samstag?

Möller: Hoffentlich ein hochklassiges Fußballspiel. Es ist ja nicht nur ein Derby, hinzu kommt auch die aktuelle Tabellensituation. Dortmund ist als Tabellenführer Favorit, Schalke muss Boden gut machen. Sie haben zuletzt in Hoffenheim gut gespielt, haben einen Aufwärtstrend - das sind doch beste Voraussetzungen für ein hochklassiges Fußballspiel. Es sind gute Spieler und viele Emotion auf beiden Seiten. Mehr geht nicht, das ist Bundesliga pur.

Aktuell hat Dortmund 19 Punkte Vorsprung…

Möller: Das ist egal. Der BVB ist jetzt der Gejagte, alle anderen Mannschaften wollen den Spitzenreiter stürzen – nicht nur Schalke. Aber die werden natürlich in einem Derby erst recht alles versuchen. Da muss Dortmund kühlen Kopf bewahren. Aber die Mannschaft ist so stark und so gefestigt, dass ich ihr zutraue, das Spiel auf Schalke zu gewinnen. Ich kann aber gar nicht sagen, wie es ausgeht, das Derby hat seine eigenen Gesetze.

Hat der BVB auch die Qualität, Meister zu werden?

Möller: Ja, ganz klar. Die Art und Weise, wie die Mannschaft Fußball spielt, wie sie aufgebaut ist – das ist große Klasse. Sie kann angreifen, sie kann kontern, und sie steht auch defensiv sehr gut. Das hat ihr in den vergangenen Jahren etwas gefehlt, aber Lucien Favre hat es hervorragend hinbekommen, der Mannschaft Balance zu geben. Sie kann auch mal das Tempo rausnehmen, dafür wurde im Sommer perfekt eingekauft. Michael Zorc hat eine sehr gute Transferpolitik betrieben. Da greift ein Rädchen ins andere, die Mischung zwischen jungen und älteren, erfahrenen Spielern passt – das sieht schon sehr nach Meisterschaft aus.

Und bei Schalke?

Möller: Da weiß ich auch nicht so recht. Es ist eine gute Mannschaft, aber mir fehlt das Besondere in Form von zwei, drei Spielern, die auch mal den Unterschied ausmachen. Das hat Dortmund. Schalke wird, wenn alles normal läuft, unter die ersten Sieben kommen. Aber der Mannschaft fehlt das Außergewöhnliche, um vielleicht auch mal den ganz großen Sprung zu machen.

Wo schauen Sie sich das Spiel am Samstag an?

Möller: In aller Ruhe zu Hause vor dem Fernseher. Ich bin beim Derby nie im Stadion, da hätte ich keinen ruhigen Nachmittag (lacht).