Lake Louise/Essen. Ski-Läuferin Viktoria Rebensburg ist die einzige deutsche Medaillenhoffnung. Felix Neureuthers Verletzung erhöht den Druck auf die 28-Jährige.

Gut möglich, dass es damals eine kluge Abwehrreaktion war, dass sie als so junge Siegerin im übertragenen Sinn nicht auf die falsche Skipiste geraten wollte. Der Beiname Olympiasiegerin, das erklärte Viktoria Rebensburg emotional überwältigt nach ihrer Goldfahrt im Riesenslalom von Vancouver, gehöre nicht so richtig zu ihr. Eine Umbenennung in Frau Olympiasiegerin ist tatsächlich ausgeblieben, das hätte sich auch blöd angehört. „Ich war damals ja noch ein Mädchen“, sagt Rebensburg, gereifter und immer noch bodenständig. „Wenn das alles jetzt noch mal passieren würde, nähme ich es viel intensiver wahr, würde es vielleicht auch mehr genießen, weil mir damals nicht bewusst war, was es bedeutet hat.“

Drückende Erwartungshaltung

Das Damals liegt beinahe acht Jahre zurück, was für eine Sportlerin mit 28 schon ein großer Lebensabschnitt ist. Die beiden Läufe auf der „Franz’s Downhill“-Strecke in Whistler haben Deutschlands Sportfans erst gezeigt, dass es da noch eine andere tolle Skifahrerin neben Maria Riesch gab. Riesch gewann übrigens an gleicher Stelle, 2010 aber noch ohne den Zusatz Höfl vor ihrem Mädchennamen, Slalom-Gold.

„Es war ja mein erster großer Weltcupsieg überhaupt“, erinnert sich Rebensburg an ihren Triumph. Auch die Olympiarennen zählen zum Weltcup. Zu Beginn dieses Olympia-Winters ist die Oberbayerin aus Kreuth am Tegernsee allerdings die einzige ernstzunehmende deutsche Medaillenhoffnung für die Winterspiele in Pyeongchang im Februar. Als wäre diese Erwartungshaltung allein nicht schon erdrückend genug, hat ihr ein Kollege ungewollt noch eine zusätzliche Last aufgeladen.

Der Felix Neureuther nämlich, aber dem kann Viktoria Rebensburg natürlich nicht böse sein. Deutschlands Skistar ist durch den Kreuzbandriss und das wohl unvermeidbare Olympia-Aus bereits genug gestraft. Trotzdem haben Verbände Zielvorgaben, an Gold, Silber und Bronze hängen Fördergelder, und so recht traut man außer Rebensburg eben niemandem zu, in Südkorea zu einer Medaillenzeremonie zu gehen. Das macht sie auf einmal zur doppelten Alleinunterhalterin.

Dabei hat sie selbst ein schwieriges Jahr hinter sich. Im letzten Winter kam sie wegen eines Schienbeinkopfbruchs in der Vorbereitung nicht gut in die Saison.

In Deutschland fehlt die Konkurrenz

Zur Weltspitze gehört in der Regel nur, wer sein Talent im Training durch eine hohe Konkurrenzsituation ausreizen muss. Das fehlt beim Deutschen Skiverband. „Die erfolgreichen Nationen sind all die, die mehrere Athletinnen vorne dabei haben“, sagt Rebensburg, die 2014 in Sotschi Bronze folgen ließ. „Als Maria und Kati Hölzl noch dabei waren, haben wir uns in jedem Training gepusht.“

Am ehesten hätte man in diesem Winter Marlene Schmotz den Durchbruch zugetraut, doch die fällt aus dem gleichen Grund wie Neureuther lange aus. Der neue Damen-Bundestrainer Jürgen Graller („Ich hoffe“, sagt Rebensburg, „dass das ganze Damen-Team durch ihn einen Aufschwung erfährt“) und eine intensivere Vorbereitung haben die Sportmanagement-Studentin dennoch die beiden ersten Riesenslalomrennen in Sölden und Killington/USA gewinnen lassen. Sogar vor der scheinbar übermächtigen Amerikanerin Mikaela Shiffrin. „Sie hat eine gewisse Eleganz beim Fahren“, schwärmt DSV-Alpinchef Wolfgang Maier über Rebensburg: „Sie schaut aus, als müsse sie sich gar nicht anstrengen, fährt fein und unscheinbar – und zerlegt die anderen trotzdem.“

An diesem Wochenende schnallt Rebensburg die längeren Speed-Skier an und fordert die schnellsten Fahrerinnen der Welt in Lake Lindsey heraus. So wird die Strecke im kanadischen Lake Louise wegen der unzähligen Erfolge von Superstar Lindsey Vonn inzwischen genannt. Abfahrten am Freitag und Samstag (je 20.30 Uhr deutscher Zeit/Eurosport), dazu ein Super-G am Sonntag (19 Uhr): Rebensburg lotet ihre Medaillenchancen in weiteren Disziplinen neben dem bevorzugten Riesenslalom aus. Dank Olympia-Gold „habe ich das alles schon erlebt. Aber ich fahre nicht nach Pyeongchang, um nur dabei zu sein.“