Leverkusen. Vor dem Spiel bei Schalke 04 spricht Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler im Interview über Vereinstreue, Erwartungen und Entwicklungen.

Rudi Völler, 57, ist eine deutsche Fußball-Legende. Die Fans lieben ihn („Es gibt nur einen Rudi Völler“) – als Spieler wurde er 1990 Weltmeister, als Teamchef der Nationalmannschaft und als Sportchef von Bayer Leverkusen leistete er sich spektakuläre Wutanfälle, die auch ein Stück Fußballgeschichte sind. Vor dem Spiel an diesem Freitagabend (20.30 Uhr/Eurosport Player) bei Schalke 04 trafen wir ihn in Leverkusen.

Herr Völler, ist Fußball ihr Leben?

Rudi Völler: Ich bin ein Kind der Bundesliga. Ich war in Offenbach, in München, Bremen, Rom und Marseille. Und dann bin ich in Leverkusen gelandet.

...wo Sie seit bereits 24 Jahren sind.

Völler: Weil Bayer für mich ein Stück Heimat ist. Ich fühle mich hier einfach sauwohl.

Ihr Vertrag läuft bis 2022. Haben Sie danach nicht mal Lust, etwas anderes als Fußball zu machen?

Völler: Schlagen Sie mal etwas vor.

Eine Weltreise? Ein Haus am Meer? Einfach ausspannen...

Völler: Ich war in Rom, in Marseille, jetzt lebe ich in Düsseldorf. Es gab in den letzten Jahren immer mal wieder Anfragen aus dem Ausland. Aber wenn du einen Verein nicht nur in dein Herz geschlossen hast, sondern ihn auch lebst, gemeinsam mit den Mitarbeitern jahrelang durch dick und dünn gehst, dann sagst du nicht einfach: Das war es jetzt für mich.

Was erwarten Sie in dieser Saison? Wird es wieder eine klare Sache für Bayern München?

Völler: Es gibt zwei Klubs, die außerhalb jeder Diskussion stehen: Bayern München und Borussia Dortmund. Wenn alles normal läuft, machen sie den Meister unter sich aus. Danach gibt es zehn Klubs, die um die restlichen fünf Plätze für die internationalen Wettbewerbe kämpfen. Zu denen gehören wir. Das ist unser Anspruch.

Gehört zu den Klubs auch Schalke?

Völler: Ja. Schalke hat ähnliche Ansprüche wie wir.

Haben Sie den Eindruck, dass die Erwartungen an Bayer Leverkusen, stets die Champions League zu erreichen, zu groß sind?

Völler: Durch unsere schlechte letzte Saison, als wir nur Zwölfter wurden, ist klar geworden, dass es für einen Klub wie Bayer keine Selbstverständlichkeit ist, zuvor viermal nacheinander in die Gruppenphase der Champions League gekommen zu sein. Das war und ist immer ein gewaltiger Kraftakt. Das wird oft unterschätzt.

Bayer Leverkusen hat in der Vergangenheit stets seine besten Talente an größere Klubs verloren. Schalke droht das mit Leon Goretzka nun auch. Ist das das Los von Schalke und Bayer?

Völler: Das sind Fälle, die jeder Klub hat, außer Bayern München. Klubs wie Dortmund, Leipzig, wir oder auch Schalke müssen jedes Jahr um ihre guten Talente kämpfen. Und es gehört dazu, dass du diesen Kampf auch mal verlierst.

Julian Brandt gehört zu diesen Top-Spielern. Hat Bayer überhaupt eine Chance, ihn über die nächste Saison zu halten?

Völler: Das wird man sehen. Wir reden mit ihm und seinem Vater. Julian ist ein schlauer Junge, der genau weiß, was er will. Er weiß auch, was er an uns hat. Bei uns spielt er. Dass er vielleicht einmal etwas anderes erleben möchte, ist doch klar.

Ist das Rennen um die besten Spieler härter geworden?

Völler: Die Zeiten, als Reiner Calmund (Leverkusens früherer Manager; die Red.) ins Flugzeug stieg, nach Brasilien flog und mit einem Lucio, Zé Roberto oder einem Emerson zurückkam, die bis dahin keiner kannte, sind vorbei. Es ist gläsern geworden. Du kannst keinen Spieler mehr entdecken, weil mittlerweile jeder ihn kennt. Man versucht immer noch, schneller zu sein. Aber das Hauptargument neben den wirtschaftlichen Dingen ist: Der Junge will spielen. Das war doch auch bei Dembélé der Fall. Er hätte sofort nach Barcelona gehen können. Aber er hat sich erst einmal für Dortmund entschieden, weil dort die Chance größer war, zum Einsatz zu kommen.

Die Transfersummen, die zurzeit gezahlt werden, grenzen an Wahnsinn. Als Sie noch spielten, zahlte der AS Rom 1987 rund zehn Millionen Mark, um Sie von Werder Bremen zu holen. Was wäre ein Rudi Völler heute wert?

Völler: (lacht) Unbezahlbar. Im Ernst: Das war damals eine gewaltige Summe. Aber es sind heute ganz andere Zeiten. Heute wird anders verdient, die Transfersummen sind höher. Das liegt einfach daran, dass im Fußball viel mehr eingenommen wird. Am Ende des Tages landet es bei den Spielern.

Können Sie damit leben?

Völler: Manchmal muss ich darüber schmunzeln. Aber dann schaue ich auf meine aktive Zeit. Als ich in Bremen spielte, habe ich marktgerecht verdient, in Rom, Marseille oder bei meinen letzten Fußballatemzügen in Leverkusen auch. Ich wusste, was ich wert bin, habe nie nach links oder rechts geguckt. Aber Sie haben Recht: Jetzt hat es Formen angenommen, die schwer nachvollziehbar sind. Natürlich denke ich manchmal: Was würde ich verdienen, wenn ich in der heutigen Zeit spielen würde? Aber ich schaue nicht wehmütig zurück.

Es gibt immer mehr Fans, die den Kommerz verurteilen. Die Gehälter, die Transfersummen, das Geld, das durch Investoren in den Fußball geschwemmt wird…

Völler: Die Diskussion ist nicht neu. Das haben Kritiker bereits vor zehn und vor fünf Jahren gesagt. Das haben sie bereits gesagt, als der Belgier Roger van Gool 1977 für eine Million Mark zum 1. FC Köln gewechselt ist. Alle haben aufgeschrien. Es hieß: Die Zuschauer machen das nicht mehr mit. Irgendwann gab es einen Spieler, der zehn Millionen Euro gekostet hat. Zinedine Zidane kostete 50 Millionen Euro. Gareth Bale wechselte für 100 Millionen Euro, Neymar jetzt für über 200 Millionen Euro. Klar, das ist verrückt. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass deshalb jemand zu Hause bleibt. Die Stadien sind weiterhin gut gefüllt.