Melbourne. . Den Volleykünstlern früherer Tage ging das Herz auf. John McEnroe erklärte Mischa Zverev im Kabinengang, er sei jetzt sein Lieblingsspieler, von anderen Fachleuten wurde er mit dem Australier Pat Rafter oder Wimbledonsieger Richard Krajicek verglichen – und die Begeisterung nahm lange kein Ende. Beim Sieg in vier Sätzen gegen Andy Murray, die Nummer eins des Tennis (7:5, 5:7, 6:2, 6:4), machte der Hamburger das Spiel seines Lebens und präsentierte schönste, altmodische Volleykunst mit dem Bauch dicht am Netz.
Den Volleykünstlern früherer Tage ging das Herz auf. John McEnroe erklärte Mischa Zverev im Kabinengang, er sei jetzt sein Lieblingsspieler, von anderen Fachleuten wurde er mit dem Australier Pat Rafter oder Wimbledonsieger Richard Krajicek verglichen – und die Begeisterung nahm lange kein Ende. Beim Sieg in vier Sätzen gegen Andy Murray, die Nummer eins des Tennis (7:5, 5:7, 6:2, 6:4), machte der Hamburger das Spiel seines Lebens und präsentierte schönste, altmodische Volleykunst mit dem Bauch dicht am Netz.
So weit vorn wie Zverev spielt unter den Besten heutzutage keiner mehr. Die Aggression kommt von der Grundlinie, alles andere, so die mehrheitliche Meinung, sei wegen des größeren Tempos im Spiel zu gefährlich. Zverev sagt, es dauere einfach länger, das Serve-und-Volleyspiel zu entwickeln, am Anfang werde man halt oft passiert, und das sei für junge Leute nicht leicht zu ertragen. Die letzte Lektion in dieser Angelegenheit erlebte er erst kürzlich beim Turnier in Brisbane, als Rafael Nadals Bälle rechts und links an ihm vorbei rauschten und er 1:6, 1:6 verlor.
Die richtigen Schlüsse
Aber gegen Murray habe es keine andere Chance, keinen Plan B gegeben. „Ich kann gegen ihn nicht hinter der Grundlinie spielen und versuchen, lange Ballwechsel zu gewinnen. Dazu ist er körperlich viel zu stark.“ Die richtigen Schlüsse zu ziehen ist eine Sache; schon daran scheitern viele. Aber diese Schlüsse in die Tat umzusetzen, einen Mann wie Murray dermaßen zu verwirren und in die Defensive zu drängen, das gehört zu einer ganz anderen Liga.
Spätestens Mitte des vierten Satzes war klar, dass die Sache für Murray brenzlig werden würde. Seit 2011 hatte er in Melbourne nur einmal gegen einen anderen als Novak Djokovic verloren, und nach dessen Abschied in der vergangenen Woche schien die Aussicht auf den ersten Titel in Australien größer denn je zu sein. Aber genauso, wie sich vor ein paar Tagen niemand vorstellen konnte, dass Denis Istomin das Ding durchziehen und Novak Djokovic besiegen würde, schien es auch diesmal nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Murray sich behaupten würde.
Doch das ließ Mischa Zverev nicht zu. Er, der vor zehn Jahren in Melbourne sein erstes Spiel bei einem Grand-Slam-Turnier gewann und danach in sechs Jahren insgesamt nur noch vier, zitterte nicht. Zverev gönnte sich einen Blick auf die Tribüne, wo er seine Mutter Irina selbst in dieser Situation lächeln sah. Die Mutter lächelnd, der Vater wie immer bei den Spielen des älteren Sohnes angespannt und hochkonzentriert, der Rest der Truppe, darunter Bruder Sascha, entspannt.
24 Stunden zuvor hatte die Kombo mit Ausnahme der Mama beim Spiel des Jüngeren gegen Rafael Nadal zugesehen – der Kleine verlor in fünf eindrucksvollen Sätzen. Ihrem Jüngsten zuzusehen, das schafft Irina Zvereva bis heute nicht, beim Älteren ist sie verblüffend entspannt. Wie es ihr in der letzten Viertelstunde des Spiels ging? „Ich war ruhig und hab gedacht, er macht das; eine Mutter merkt, was los ist.“
Man kann ihrem Erstgeborenen wohl glauben, dass er sich bis zum Viertelfinale gegen Roger Federer am Dienstag, der am Sonntag in fünf Sätzen gegen Kei Nishikori gewann, wieder sortiert haben wird. Die Erinnerung an die letzte gemeinsame Begegnung mit Roger Federer lässt ihn glauben, es sei ein wenig Vorsicht angebracht; im Sommer 2013 verlor er in Halle/Westfalen mit 0:6, 0:6.
Abgeschrieben
Als Mischa Zverev im Jahr 2015 sogar auf Platz 1067 der Weltrangliste abstürzte, schrieben ihn die meisten schon ab. Für viele war der 29-Jährige nur noch der Sparringspartner, der Mentor von Ausnahmetalent Sascha. Doch die Entwicklung des Jüngsten im Zverev-Clan setzte auch beim Älteren neue Kräfte frei. „Das treibt mich unglaublich an. Wir messen uns in so vielem – sogar beim Frikadellen-Wettessen“, sagte Mischa Zverev, aktuell notiert auf Weltranglisten-Platz 50.
Und wenn er nach Verletzungen wie dem Bruch des rechten Handgelenks, angebrochenen Rippen, einem Bandscheibenvorfall, Rückenproblemen und dem Anriss der Patellasehne ans Aufhören dachte, intervenierte der kleine Bruder und versuchte, ihn neu zu motivieren. „Ich musste am Boden ankommen, um wieder bei Null anzufangen und zu begreifen, wie viel Tennis mir bedeutet“, erklärte Zverev rückblickend.
Doch Mischa Zverev wollte mehr sein als „der beste Sparringspartner meines Bruders“. Bei den Australian Open ist er viel mehr. Er ist der erste deutsche Spieler seit Tommy Haas 2007, der beim ersten Major-Event des Jahres wieder die Runde der letzten Acht erreichte.