Essen. Das Foul sieht so schlimm gar nicht aus. Aber die Folgen: Am Abend des 14. August 1981 springt der Bremer Norbert Siegmann in den Bielefelder Ewald Lienen hinein. Dann krümmt sich Lienen am Boden, fasst sich ans Bein. Am Oberschenkel klafft eine Wunde, 25 Zentimeter lang, der Knochen ist zu sehen.

Das Foul sieht so schlimm gar nicht aus. Aber die Folgen: Am Abend des 14. August 1981 springt der Bremer Norbert Siegmann in den Bielefelder Ewald Lienen hinein. Dann krümmt sich Lienen am Boden, fasst sich ans Bein. Am Oberschenkel klafft eine Wunde, 25 Zentimeter lang, der Knochen ist zu sehen.

Lienen steht auf, fällt wieder hin, hebt anklagend die Hände hoch, schreit vor Schmerz, zeigt auf die klaffende Wunde - und rennt wie im Wahn auf Bremens Trainer Otto Rehhagel auf der Tartanbahn zu, der Siegmann zu dem Foul angestachelt haben soll. Nach einem kurzen Gerangel wird Lienen zurückgehalten, lässt sich auf den Boden sinken, wird behandelt - die Kameras halten drauf. Das Bild des schwer verletzten Lienen brennt sich ein im Gedächtnis eines jeden Fußball-Fans, es hat wenig grässlichere gegeben in 44 Jahren Bundesliga.

Sie nannten ihn den "Schlitzer"

Norbert Siegmann hätte getrost darauf verzichten können, mit diesem Foul Einzug in die Bundesliga-Geschichte zu halten. In einem Interview blickte er 2007 für den Berliner Tagesspiegel zurück: "Die ersten Jahre war es nicht einfach. Natürlich hat mich das Foul verfolgt." "Schlitzer" hätten ihn die Leute genannt, hätten ihn die gegnerischen Fans verrufen. "Verletzt" habe ihn das. Dabei war Siegmann als Treter nun wirklich nicht verschrien, das besagt auch seine Bilanz: 209 Spiele hat der Verteidiger gemacht, für Bremen, Tennis Borussia Berlin und den VfB Stuttgart. Vom Platz geflogen ist Siegmann nie, 29 Gelbe Karten fing er sich ein. Eine in der Partie Bremen - Bielefeld am 14. August 1981.

Ein etwas anderer Fußballer

Auch Lienen machte die Szene bekannter als je zuvor: Dabei konnte der Stürmer schon vorher beachtliche Erfolge vorweisen. 1979 holte er mit Borussia Mönchengladbach den UEFA-Cup, ein Jahr vorher wurde Lienen mit den Fohlen Deutscher Vizemeister - punktgleich hinter dem 1. FC Köln. Auch außerhalb gerierte sich Lienen als etwas anderer Fußballer: mit linkspolitischem Engagement, mit seinem Pädagogik-Studium, mit seinem zumindest für damalige Verhältnisse sehr unkonventionellen Äußerem. Überaus torgefährlich war Lienen zwar nicht. Die Anhänger von Borussia Mönchengladbach feierten ihn allerdings auch dann noch, als er als Gegner-Trainer auf den Bökelberg zurückkehrte. Über 200 Bundesliga-Spiele hat Lienen für die Borussia absolviert.

Der Kreis schließt sich

Siegmann beendete seine Karriere 1986 verletzungsbedingt, sein Kontrahent Lienen spielte noch bis 1992, zuletzt beim MSV Duisburg, dann startete seine Trainer-Laufbahn. Auf den Stationen MSV Duisburg, Hansa Rostock, 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach und Hannover 96 blieben nennenswerte Erfolge allerdings aus. Eher durfte sich Lienen mit dem Spitznamen "Zettel-Ewald" herumärgern. Felix Magath soll mal über Lienen gesagt haben: "Ich werde einen Teufel tun und Ewald widersprechen. Der Ewald hat sich ja alles ganz genau notiert." Mittlerweile hat es Lienen nach Griechenland verschlagen, als Trainer von Panionios Athen. In Griechenland wurde Lienen von den Spielern der Liga zum Trainer der Saison 2006/2007 gewählt - in dem Jahr, in dem die griechischen Journalisten auch Nationalcoach Otto Rehhagel zum Trainer des Jahres kürten. Der Kreis schließt sich.

Nach vier Wochen kann Lienen wieder spielen

Dass Bremen das Spiel an diesem 14. August 1981 durch einen Treffer von Norbert Meier 1:0 gewinnen konnte, zählte nach diesem Spieltag - es ist erst der zweite der Saison, es steht (noch) nichts wirklich auf dem Spiel - kaum mehr. Vielmehr geistert ein Bild auch Tage danach noch durch die Gazetten. Lienen versucht in den Folgemonaten, gerichtlich gegen den vermeintlichen Anstifter Rehhagel vorzugehen - und scheitert. Seine schwere Verletzung ist relativ schnell verheilt, nach vier Wochen kann Lienen wieder spielen. Bremen wird am 19. Spieltag auch das Rückspiel gewinnen, da trifft Meier beide Male beim 2:0 in Bielefeld. Lienen spielt - torlos, Siegmann spielt nicht; das Rückspiel fällt unter die Rubrik ferner liefen.

Teamchef in der Kreisliga B

Eine einzige Anklage: Ewald Lienen nach dem Foul von Norbert Siegmann. Foto: Imago
Eine einzige Anklage: Ewald Lienen nach dem Foul von Norbert Siegmann. Foto: Imago

Immer, wenn es in diesen Jahren schlimme Fouls gibt in der Bundesliga, klingelt bei Norbert Siegmann traditionell das Telefon. Die Bild am Sonntag hat im vergangenen Jahr mit Siegmann gesprochen: "Er war der Obertreter, jetzt ist er Buddhist" - so ist die Geschichte überschrieben. Siegmann erzählte der Bild am Sonntag damals, dass er mit Lienen immer noch ein Buch über ihre Geschichte schreiben wolle. Allein "Zeitmangel" habe das bislang verhindert. Lienen ist zwar weit weg, Siegmann dürfte aber eigentlich ausreichend Zeit haben, auch wenn er seit Juni 2008 Teamchef in der Kreisliga B beim SV Weser 1908 ist. Die auf der Homepage des Vereins zu findende Mini-Biographie schweigt sich über das Foul übrigens weidlich aus. Da ist Gras über diese Narbe gewachsen.

Foul mit schlimmen Folgen: Siegmann fällt Lienen

Etwas anderer Fußballer: Ewald Lienen, hier im Trikot von Borussia Mönchengladbach. Foto: Imago
Etwas anderer Fußballer: Ewald Lienen, hier im Trikot von Borussia Mönchengladbach. Foto: Imago
Ein Bild, das sich tief im Gedächtnis eines jeden Fußball-Fans eingebrannt hat: der schwer verletzte Ewald Lienen nach dem Foul von Norbert Siegmann.
Ein Bild, das sich tief im Gedächtnis eines jeden Fußball-Fans eingebrannt hat: der schwer verletzte Ewald Lienen nach dem Foul von Norbert Siegmann.
Erst auf der Tartanbahn wird Lienen behandelt, nach einem kleinen Handgemenge mit dem Gegner-Trainer Otto Rehhagel, auf den Lienen nach dem Spiel wie im Wahn zugestürmt ist. Foto: Imago
Erst auf der Tartanbahn wird Lienen behandelt, nach einem kleinen Handgemenge mit dem Gegner-Trainer Otto Rehhagel, auf den Lienen nach dem Spiel wie im Wahn zugestürmt ist. Foto: Imago
Heutzutage trainiert Lienen den griechischen Erstligisten Panionios Athen. Foto: Imago
Heutzutage trainiert Lienen den griechischen Erstligisten Panionios Athen. Foto: Imago © imago sportfotodienst
1/4