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Es ist kurz nach 23 Uhr, das Fernsehen hat gerade noch rechtzeitig nach Rio geschaltet, um das Ende dieses nervenaufreibenden Wettkampfs bei den Paralympics zu zeigen. Um zu zeigen, wie ein Kleiner ganz groß werden kann. Um zu zeigen, dass es sich lohnt, an die eigenen Träume zu glauben. Um zu zeigen, wer das erste Gold für die deutsche Mannschaft holt.

Zu sehen ist ein Mann, gerade 1,40 Meter groß. Sein Name: Niko Kappel. Seine Disziplin: Kugelstoßen. Startklasse F41 der Kleinwüchsigen.

Es führt Favorit Bartosz Tyszkowski aus Polen. Fünfter Versuch im Maracanã-Stadion. Kappel, der 21-jährige Deutsche, weiß, dass er gut drauf ist. „Ich hatte zwar schlecht geschlafen, aber meine Beine waren schon den ganzen Tag voller Power. Mir war klar: Heute geht was“, sagt er später im Gespräch mit dieser Zeitung.

13,56 Meter stehen als Bestweite auf der Anzeigentafel. Konzentration. Die Kameras fangen die schnelle Drehung ein, er stößt die Kugel kraftvoll in den brasilianischen Himmel. Sein Schrei steht dem der Großen in nichts nach. Kappel weiß, dass der Stoß gut war. „Ich hab’s sofort gemerkt.“ Die Kugel landet im Bereich des Weltrekords. 13,57 Meter messen die Kampfrichter. Die Führung!

„Es war unglaublich. Dieser Moment. Erst dachte ich, der Pole ist gleich auf. Vor meinem letzten Versuch bin ich zum Kampfgericht und habe erfahren, dass ich mit einem Zentimeter führe“, erzählt der Mann vom VfL Sindelfingen. Als Tyszkowski im letzten Versuch nicht mehr kontern kann, bricht es aus Kappel heraus. Er jubelt, sprintet los. „Ich wusste gar nicht wohin mit mir“, sprudelt es am Tag nach seinem größten sportlichen Erfolg aus ihm heraus. „Gold bei meinen ersten Paralympics. Wahnsinn.“

Was er selbst kaum verkraften kann, schafft sein Handy nicht mehr. „Abgestürzt.“ Kappel lacht. „So viele Nachrichten. Ich konnte nicht mal annähernd alle lesen.“

Noch in der Nacht startet das kleine Kraftpaket, das in seinem Team nur „Bonsai“ genannt wird, den Party-Marathon. „Wir haben ordentlich im Deutschen Haus gefeiert.“ Kappel klingt noch heiser. Die Ausmaße seiner Augenringe will er lieber nicht beschreiben. Geschlafen hat er „eigentlich nicht.“