Saint-Denis. .
Portugal ist zum ersten Mal Fußball-Europameister und besiegte im EM-Finale gestern Abend ohne seinen frühzeitig verletzten Superstar Cristiano Ronaldo den EM-Gastgeber und Deutschland-Bezwinger Frankreich mit 1:0 in der Verlängerung. Das Siegtor erzielte Éder in der 109. Minute, er besiegelte mit seinem Fernschuss aus 22 Metern den ersten Sieg der Portugiesen über Frankreich nach 41 Jahren. Das nächste Trauma dieser EM ist besiegt!
Aber was soll man von einem Fußballturnier halten, das in einem Finale den trostlosen Auftritt zweier durchschnittlicher Mannschaften liefert? Und dann am Ende von einer Mannschaft gewonnen wird, die mit drei Unentschieden in die K.-o.-Phase stolperte und nur ein einziges Spiel über 90 Minuten gewonnen hat? Der Nachfolger von Doppel-Europameister Spanien riss Frankreich aus allen Träumen, zum dritten Mal nach 1984 und 2000 Europameister zu werden.
Frankreich zu ungefährlich
Bundestrainer Löw wird sich die Augen gerieben haben: Über 120 Spielminuten war Frankreich als Favorit nicht in der Lage, gegen die Minimalisten aus Portugal ein Tor zu erzielen. Und das, obwohl der Gegner ohne den frühzeitig verletzten Cristiano Ronaldo auskommen musste. So zerfahren war das Finale, das schon seltsam begonnen hatte: mit einer Mottenplage. Auf dem Rasen wedelten sich die Spieler die flatternden Insekten aus den Gesichtern.
Unstrukturiert war der Spielaufbau auf beiden Seiten, die Nervosität beim Gastgeber mit Händen zu greifen. Der französische Nationaltrainer Didier Deschamps hatte vorab gesagt, was für Frankreich auf dem Spiel stand: „Wir dürfen die Leute nicht enttäuschen.“ Bei der EM 1984 und bei der WM 1998 hatte die Equipe Tricolore jeweils beim Heimturnier den Titel geholt. Er selbst war 2000 als Weltmeister-Kapitän auch Europameister geworden und wollte 2016 Geschichte schreiben: Noch nie hat ein Franzose als Spieler und Trainer den EM-Titel gewonnen. Nach dem Halbfinalsieg gegen Angstgegner Deutschland (2:0) stand allein Cristiano Ronaldo seinem Vorhaben im Weg. „Wenn es einen Anti-Ronaldo-Plan gibt“, sagte Deschamps vorher, „dann hat ihn keiner gefunden.“
Payet verletzt den Superstar
Nun es gab doch einen: die Verletzung von Cristiano Ronaldo. Der Superstar von Real Madrid musste vorzeitig verletzt ausgewechselt werden. Schon in der 10. Minute hatten ihn Evra und Payet so in die Zange genommen, dass er angeschlagen liegen blieb und in der Folge zweimal zur Behandlung das Spielfeld verlassen musste. Nach 25 Spielminuten war Schluss: Ronaldo konnte nicht mehr. Aber Portugal spielte kurioserweise nach dem Ronaldo-Schock stabiler.
Dass ein Ronaldo kein gutes Finale im Stade de France gegen Frankreich bestreiten kann, hatte schon der Brasilianer Ronaldo 1998 erfahren. Auch er blieb hinter allen Erwartungen zurück, als er erkrankt spielte. Brasilien verlor damals 0:3, als Frankreich Weltmeister wurde. Diesmal holte Portugal zwar den Titel, doch ohne Ronaldo in der von ihm bekannten Hauptrolle. Den Franzosen reichten in der ersten Halbzeit gelegentliche Tempo-Wechsel, um die Portugiesen zu überraschen. Mehr als eine Doppelchance in der 10. Spielminute durch Griezmann und Giroud sowie ein Sissoko-Schuss in der 34. Minute kamen nicht heraus.
Griezmann bleibt Torschützenkönig
Die Portugiesen taten, was sie in dieser Turnier immer getan hatten. Hinten sicher stehen und nach Ronaldos Aus darauf vertrauen, dass Nani einen Weg durch Frankreichs Abwehr finden würde. In der Verlängerung gelang Raphael Guerreiro mit einem Freistoß ein Lattentreffer (107.), bevor Éder zum finalen Schuss aus 22 Metern ansetzte.
Frankreichs Antwort mit dem Bayern-Jungstar Kingsley Coman hatte in der zweiten Halbzeit nicht die Sturmphase gebracht, wie man sie von einer Mannschaft erwarten kann, die 13 Treffer in sechs EM-Spielen vor dem Finale erzielt hatte. Allein Griezmann, mit sechs Treffern der EM-Torschützenkönig, flog an Comans scharfer Flanke mit dem Kopf vorbei (66. Minute). Kurz vor Schluss der regulären Spielzeit scheiterten Sissoko (82.) und mit einem Pfostenschuss Gignac (90.).
Frankreich hatte vorher alle Spiele gewonnen. Das Magische Viereck mit Griezmann, Payet, Giroud und Pogba setzte Maßstäbe und hatte sogar den Weltmeister mit zwei Griezmann-Toren aus dem Turnier bugsiert. Im Finale: wenig zu sehen.