Der offizielle Name ist anders, verpönt in der Fanszene des VfL Bochum. Sie nennen "ihre" Arena immer noch Ruhrstadion. Das "Schmuckkästchen" feiert heute seinen 29. Geburtstag. Und ist ein der Bundesliga inzwischen ein grauer Klassiker.
Samstag, 15.27 Uhr, tief im Westen scheint die Sonne, sie knallt, im Sommer brennt sie vielleicht auch. "Bochum" ertönt aus den Lautsprechern, der Grönemeyer-Klassiker. "Herbert" nennen ihn alle in der Ostkurve. Egal, welche Musik privat im Auto oder zu Hause läuft: Hier ist Herbert Pflicht. Mist, Sonnenbrille vergessen.
Kleiner Tipp: Wer historische Fußball-Geschichten mag und beim oben genannten Szenario in der VfL-Fankurve befindet, sollte diese Frage stellen:
"Wer hat denn dieses Stadion geplant? Dass die eigenen Fans mitten in die Sonne schauen müssen und nix sehen!"
Wer in der passenden Umgebung steht (einfach auf ältere Gesichter achten), der bekommt sofort die komplette Historie des Ruhrstadions (in der Ostkurve heißt es immer noch Ruhrstadion und nicht... ähh... rewirpauer - oder wie schreibt man das noch gleich?) präsentiert. Mit Insider-Infos.
"Dat is doch", sagt dann der eine, "weil damals, als es noch Stadion an der Castroper Straße hieß, auch die VfL-Fans schon hier standen." Dann hakt der nächste ein: "Dat weiß ich noch. Da war ich ganz klein und hab mich immer reingeschlichen." Und wieder einer will mitreden: "Daaaamaaals, da bin ich doch von Castrop-Rauxel-Henrichenburg immer mitm Rad nach hier gefahren."
Am selben Fleck
Beim allerersten Fußballspiel an der Castroper Straße, da lebten aber die wenigsten der Ostkurvengänger schon. Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 zogen in ihrer Geschichte mindestens einmal um. Der VfL nie. Bereits 1911 pachtete einer der VfL-Vorgängervereine - Spiel und Sport Bochum - vom Bauern Dieckmann die Wiese. Außerhalb der Stadt übrigens und etwas abgeschieden, denn Bochum war noch nicht so weit gewachsen. Das erste Spiel fand am 8. Oktober 1911 vor 500 Zuschauern gegen den VfB Hamm statt. Aus einem kleinen Bolzplatz wurde innerhalb von wenigen Jahren eine 50.000-Mann-Arena. 50.000!
1922 verlegte der DFB das Länderspiel gegen Ungarn nach Bochum. Erst zum zweiten Mal fand ein Länderspiel im Ruhrgebiet statt. 0:0 ging's aus. Es folgte eine lange Flaute im Bochumer Fußball. Erst nachdem 1938 drei Vereine zum VfL Bochum fusionierten, ging's wieder bergauf mit Zuschauerzahlen (und sportlicher Qualität). Das Stadion ging an die Stadt und erhielt in den 50ern eine Sitzplatztribüne.
Zwanzig Jahre später stand die immer noch. 2700 Plätze, davon 1400 nicht einmal überdacht... Zeit für einen Neubau - eigentlich. Doch die traditionsreicheren Nachbarn Schalke und Dortmund erhielten den Zuschlag. Vor der WM 1974 entstanden in beiden Städten neue Stadien, mit Zuschüssen von Bund und Land. Allein das Westfalenstadion kostete 32 Millionen Mark, dabei spielte Borussia zu dieser Zeit in der Regionalliga. Der VfL musste ein paar Jahre länger auf eine Modernisierung warten. Doch einen Neubau gab es nicht. Und einen Umbau innerhalb weniger Monate schon gar nicht. Über drei Jahre wurde von 1976 bis 1979 Tribüne für Tribüne neu errichtet. Oft spielte der VfL in dieser Baustelle und zwischenzeitlich sogar für ein sechs Spiele im Herner "Schloss Strünkede", eigentlich Heimat der Westfalia (Sportgeschichte "Westfalia Herne") - und gewann fünf davon.
Kolportiert wird in Bochum ein Satz des damaligen Präsidenten Ottokar Wüst: "Bauen Sie mir ein neues Stadion und ich baue ihnen eine große Mannschaft", soll er zu Stadt-Oberen gesagt haben. Besonders bei einem 0:2- oder 0:3-Rückstand ist die Stimmung mit diesem Zitat immer wieder wenigstens ein bisschen zu bessern. "Keine Titel und Trophäen, trotzdem wird es weitergehen", singen die VfL-Fans gern. Große Mannschaft...
Dann der 21. Juli 1979. Max Merkel, der einst "In Bochum wurde früher so geholzt, dass sogar der Ball eine Gefahrenzulage verlangt hat" sagte, meinte jetzt: "Mit seinem neuen Stadion braucht Bochum nicht mehr zurückzustehen hinter Dortmund, Schalke und Duisburg. Für mich ist der VfL jetzt der Favorit." Irgendjemand zählte 49.522 Plätze im grauen Viereck. Zur Premiere kamen 35.000 - und der Oberbürgermeister Eickelbeck sogar mit dem Hubschrauber. Gotthilf Fischer sang mit der Fankurve das "Bochumer Jungenlied". Das erste Spiel im fertigen Stadion gewann der VfL mit 3:0 gegen Wattenscheid 09. Ein ungleiches Kräftemessen. Elf Tage später kam dann Manchester United und holte ein 1:1.
Sitzen im Westen
Jahrelang hatte der VfL eines der wenigen reinen, komplett überdachten Fußballstadien in Deutschland. Doch großen oder gar internationalen Fußball spielte der VfL nicht. Im Gegenteil: Der VfL blieb der ewige Abstiegskandidat. Wenigstens die drei Länderspiele gegen Finnland (1981), Jugoslawien (1986) und Ghana (1993) brachten etwas internationales Flair. Nachdem die Bochumer aber trotz des 6:1-Erfolges gegen Ghana den Kopf von Trainer Vogts forderten und "Berti raus" brüllten, vergab der DFB nie wieder ein Länderspiel in den tiefen Westen. Das Stadion erhielt einige Korrekturen, aber nicht mehr. Die Kapazität beträgt inzwischen nur noch 31.328 Zuschauer. Aus der Westkurve - 1979 Stehplatzblock - wurde nahezu komplett ein Sitzplatzblock. Hinter der Haupttribüne entstand im August 2003 das fünfstöckige Stadioncenter, in den Stadionecken gibt es seit Juli 2004 Videowände.
Und die Ostkurve kann auch mit Sitzplätzen ausgestattet werden. Verankerungen in den Stehstufen erinnern an das UEFA-Cup-Spiel gegen Standard Lüttich am 30. September 2004. An das 1:1 in der allerletzten Sekunde, als der VfL ausschied. Zum einzigen Mal war das Stadion an diesem Tag komplett "besitzplatzt". "Sieger waren mir aber immer schon langweiliger als jene, die interessant zu scheitern wissen", schrieb der Journalist und Autor Christoph Biermann über seine VfL-Leidenschaft. Es kann als ein Motto für die sportliche Geschichte des Ruhrstadions gelten. Fünfmal stieg der VfL hier aus der Bundesliga ab, fünfmal wieder auf. Vier UEFA-Cup-Heimspiele bestritt der VfL hier, jedes einzelne ist Kult geworden in der Ostkurve. Wer erinnert sich bei Schalke und Dortmund noch an irgendein Erstrunden-Spiel 1994?
Konzerte gab es in den vergangenen Jahren nur von Herbert Grönemeyer. Von wem auch sonst? "Ohne Bochum gehn wir nicht nach Haus", singt die Menge, die meisten mit VfL-Fans. Und fast immer singt Herbert zweimal einen seiner größten Klassiker. 2006 wurde Grönemeyer sogar Mitglied beim VfL. Vor dem Spiel gegen Werder Bremen unterschrieb er seinen Aufnahmeantrag. 90 Fußball-Minuten später stand es 0:6. Wieder einmal interessant gescheitert, einer der vielen "magischen" Tage im Ruhrstadion.
Das Ruhrstadion: 1979 das, was heute die topmodernen Arenen in Gelsenkirchen, Hamburg, Frankfurt und sonstwo sind. 1979 topmodern. Und heute der klassische, graue Gegenentwurf zu den Stadien 2.0. Und obwohl der Luxus fehlen mag: Es ist immer noch eins der schönsten Stadien der Ligen. Sagen nicht nur die älteren Fans in der Ostkurve, die erzählen können wie's war, damals. Sondern auch die gegnerischen Fans.
Denn in Bochum lässt sich nicht nur aus toller Sicht Fußball gucken. Die Punkte gibt's oft noch obendrauf. Für die VfL-Fans in der Kurve ist es das einzig wahre Stadion. "Schmuckkästchen" sagen sie. Zurecht.