Gummersbach/Hagen. .
Frank Flatten sitzt im Auto und hat sein Telefon am Ohr. Der Manager des Handball-Bundesligisten VfL Gummersbach nestelt an der Freisprecheinrichtung herum, sie mag nicht auf Anhieb funktionieren. So wie es derzeit an ganz anderer, viel entscheidenderer Stelle nicht recht funktionieren mag: Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland das Mindestlohngesetz. Zielgruppe ist eigentlich nicht der Sport, doch es trifft ihn an mancher Stelle mit voller Wucht. „Das ist nicht tragbar und nicht nachvollziehbar“, sagt Flatten. Er redet sich bei dem Thema ein wenig in Rage, weil es seinen ohnehin stets zu Sparsamkeit gezwungenen Klub zu Mehrausgaben von etwa 80 000 Euro zwingt.
Der Manager hat nichts gegen den Mindestlohn, im Gegenteil. Doch er bereitet ihm, seinen Bundesliga-Kollegen und anderen Sportarten derzeit Kopfzerbrechen. Hintergrund ist die gängige Praxis, Spieler und Trainer mit Verträgen auszustatten, die sie als eine Art Mini-Jobber gelten lassen: Sie erhalten ein vertraglich fixiertes Gehalt von mindestens 250 Euro. Nach neuer Gesetzeslage wären damit 29 Stunden Arbeitsaufwand im Monat zulässig. Doch bei drei oder vier Trainingseinheiten pro Woche und einem Spiel mitsamt An- und Abreise dürften unzählige Mini-Jobber diese Marke locker reißen.
100 Stunden Arbeit
Die Profi-Mannschaft des VfL Gummersbach betrifft das nicht, aber die zweite Mannschaft und die A-Jugend, wo sich die Talente tummeln, auf die der Verein in Zukunft bauen will. „Die sind bis zu 100 Stunden im Monat für den Handball unterwegs“, rechnet Flatten vor. In manchen Fällen verdrei- oder vervierfacht sich das Gehalt. Was er jetzt mit diesen Verträgen unternimmt? „Das weiß ich noch nicht“, sagt er. Denn so richtig weiß keiner, was zu tun ist. Flatten bemüht sich seit Dezember bei verschiedenen Instanzen um Klarheit. Vergeblich. Doch eines weiß er: „Das ist ein riesiges Problem, das fängt ja schon in der Fußball-Bezirksliga an.“
Die Amateurkicker sind ebenfalls aufgescheucht. „Das Thema nimmt gerade Fahrt auf“, sagt Dieter Osterhaus, Justiziar des Fußball- und Leichtathletik-Verbandes Westfalen (FLVW). Er ist nach seinem Urlaub am Montag den ersten Tag wieder in seinem Büro in Kamen. Er ist derzeit ein gefragter Mann. Er soll den Menschen erklären, welche Folgen das neue Gesetz hat. Für Spieler, für Trainer, vor allem: für die vielen Vereine, die Fußballer als geringfügig Beschäftigte anstellen, damit sie an den Verein gebunden sind oder bei einem vorzeitigen Wechsel zumindest eine Ablöse einbringen. Das macht die Sache für die Klubs interessant. Doch das Bewährte droht zum Problem zu werden.
Nicht jeder sieht es. Die Sportfreunde Siegen, die gestern wieder ins Training für die Rückrunde in der Regionalliga starteten, geben sich entspannt. Die Kicker der ersten Mannschaft trainieren und verdienen fast auf Profiniveau, in der zweiten Mannschaft kommt das Vertragsamateur-Konstrukt vor. Und beim TuS Ennepetal, Oberligist, sieht man sich weit entfernt von der zeitlichen Obergrenze. „Bei drei Trainingseinheiten und einem Spiel müssten uns die Spieler eigentlich noch was zurückzahlen“, lacht der Sportliche Leiter Thomas Riedel. Allerdings: In seiner Rechnung tauchen die Fahrten zum Training und zum Spiel nicht als Arbeitszeiten auf. Ob das zulässig ist, weiß man beim Verband nicht genau. „Das ist die Gretchenfrage“, sagt Justiziar Osterhaus, „wir befinden uns derzeit in einer Grauzone. Vieles wird sich erst im Laufe des Jahres zeigen.“ Er meint: wenn es die ersten Gerichtsurteile geben wird.
Wer in Streit gerät, wer sich ohnehin von einem Verein verabschiedet, der könnte geneigt sein, seine aufgewendeten Stunden zu protokollieren und auf sein Recht zu pochen. „Das ist notfalls einklagbar, natürlich“, sagt Osterhaus.
Wer auch nur einen Mini-Jobber angestellt hat, sei es ein Trainer, Spieler oder auch Physiotherapeut, der wird die Verträge prüfen müssen. Genau das geschieht derzeit in allen Vereinen mit professionellem Anspruch.
In den Büros, in denen die Wirtschaftsexperten von Basketball-Bundesligist Phoenix Hagen sitzen, werden derzeit die Löhne abseits der Stars und Profis durchgerechnet. Im Einzelfall dürfte es bei Nachwuchsspielern zu Kollisionen mit dem neuen Gesetz kommen. Bei einem Treffen der Liga-Manager am kommenden Wochenende in Ulm steht das Thema Mindestlohn auf der Tagesordnung. „Wenn wir feststellen, dass es nötig ist, dann müssen wir die Gehälter anpassen“, sagt Geschäftsführer Oliver Herkelmann.
Wohl dem, der das kann. Eintracht Hagen kann das nicht so einfach. Die Drittliga-Handballer sind nicht das Problem, sondern auch hier eher der Nachwuchs in der zweiten Mannschaft. „Wir müssen jeden Vertrag noch einmal neu ansehen und prüfen. Das betrifft einige Vereine“, meint Eintracht-Manager Jörg Brodowski, „das kostet schon Geld. Und jeder Euro tut weh.“
So wie beim VfL Gummersbach. Frank Flatten sieht sein Nachwuchskonzept in Gefahr. Zusammen mit vielen andere Managern der weltweiten Top-Liga brütet er über Lösungen, Auswege, Schlupflöcher. Er sieht noch keine. Er plädiert für eine Ausnahmeregelung für den Sport. Dafür hätte der Deutsche Olympische Sportbund schnell und energisch intervenieren müssen: „Aber der hat da offenbar gepennt“, meint Flatten.