Essen/Östersund. . Nicht alle deutschen Biathleten weinen dem Karriereende der Dopingsünderin Evi Sachenbacher-Stehle nach. Miriam Gössner führt nun das junge Team an.
Ab und zu kehrte auch das Lächeln wieder zurück ins Gesicht von Evi Sachenbacher-Stehle – als sie am Sonntagabend im Bayerischen Fernsehen erstmals seit den Olympischen Spielen live vor eine TV-Kamera trat. In Sotschi war ihr Dopingfall publik geworden, am Sonntagabend hatte die einstige Langläuferin in der ARD-Sportschau ihren Rücktritt vom Leistungssport bekannt gegeben – und nun äußerte sie sich im „Blickpunkt Sport“. Sprach über den seit längerer Zeit gereiften Entschluss, ihre Karriere zu beenden – und darüber, dass sie ihr Handy erst mal ausgeschaltet habe.
Lesser begrüßt lebenslange Sperren
Ein Anruf von Erik Lesser war dabei ohnehin nicht zu erwarten. „Ich gehöre nicht zu ihrem erweiterten Freundeskreis. Deshalb hab ich auch keine Handynummer von ihr“, sagt der mit Doppel-Silber erfolgreichste DSV-Skijäger von Sotschi, der sich bereits vor Sachenbacher-Stehles Entscheidung sehr deutlich zu ihrem Fall und zu Doping im Allgemeinen äußerte. „Ich bin ein Sportler, der eine lebenslange Sperre bei einem positiven Test generell begrüßen würde – auch wenn ihr Fall vielleicht wirklich ein anderer ist“, betonte Lesser und machte klar, dass er eine Rückkehr der 34-Jährigen ins Team nicht für eine gute Idee hielte.
Nun hat sich Sachenbacher-Stehle („Ich bin froh, dass ich das Thema endgültig abschließen kann und wieder zur Ruhe komme“) ja auch gegen ein Comeback entschieden. Der „große Medienrummel“, den ihr Lessers Teamkollege Simon Schempp bei einer Rückkehr in die Biathlon-Arenen prophezeite, bleibt der zierlichen Frau aus Reit im Winkl somit erspart. Für die deutschen Biathletinnen steht fest, dass ihr Altersschnitt von 22 Jahren nach dem Rücktritt von Andrea Henkel (36) im März nicht wieder angehoben wird.
Im Team von Bundestrainer Gerald Hönig zählt die 24-jährige Miriam Gössner – die sich im Fall Sachenbacher-Stehle sehr bedeckt hielt, aber doch erklärte, die Reduzierung der Dopingsperre von zwei Jahren auf sechs Monate sei „ein faires Urteil“ und habe sie „für die Evi gefreut“ – nun schon zu den alten Hasen. Ein alter Hase, der gerade vor und in der letzten Saison einiges mitgemacht hat. Bei einem Fahrradunfall im Mai 2013 schrammte Gössner knapp an einer Querschnittslähmung vorbei, musste acht Monate später unter Tränen ihren Verzicht auf einen Olympia-Start verkünden. Ehe sie am Ende des Winters gemeinsam mit ihrem Freund, dem Skifahrer Felix Neureuther, zum Trost zwei Wochen lang Vietnam bereiste: Per Schiff auf dem Mekong – und per pedes durch Ho-Chi-Minh-Stadt, das frühere Saigon.
Die sieben-Millionen-Einwohner-Metropole hat es der aktuellen Vorzeigedame des DSV, die am Donnerstag in Östersund ins erste Einzelrennen der Saison startet, besonders angetan. Vielmehr: Die Eleganz der Vietnamesen im täglichen Verkehrschaos dort. 80 Prozent aller Bewohner von Ho-Chi-Minh-Stadt, schätzt Gössner, tuckern auf Motorrollern durch die Stadt. Am Anfang traute sich die Garmischerin nicht über die Straße, stellte dann aber staunend fest: „Dort gibt’s zwar keine Ampeln, trotzdem passiert kein Unfall.“
Geduld mit unerfahrenen Talenten
Miriam Gössner hat diese Lässigkeit sehr beeindruckt. Nun versucht sie, die vietnamesische Relaxtheit in den Alltag einfließen zu lassen – und fordert von Öffentlichkeit und Medien etwas Geduld mit den vielen unerfahrenen Biathletinnen um sie herum. Und die blonde Oberbayerin geht mit gutem Beispiel voran: „In den entscheidenden Dingen“, behauptet Gössner jedenfalls, „habe ich inzwischen mehr Geduld. Ich weiß jetzt, wie ich Situationen wirklich bewerten muss.“ Sport sei eben „nicht das Allerwichtigste im Leben“. Etwas entspannter will sie sich ab sofort durch ihre Wettkämpfe und durch die Welt schlängeln – so wie die Motorrollerfahrer in Ho-Chi-Minh-Stadt.
Und wie ab sofort wohl auch wieder ihre frühere Teamkollegin Evi Sachenbacher-Stehle.