Essen. Im Bonner DRK-Haus Steinbach gestalten Menschen mit Demenz gemeinsam mit Schülern ihre Freizeit. Die Schüler fahren mit den Senioren an den Rhein, backen Waffeln oder singen Lieder. Durch die gemeinsamen Aktivitäten sollen Hemmungen abgebaut und Toleranz gefördert werden.
Ungeduldig wartet Marianne Fassbender auf Annika. Gleich nach dem Mittagessen hat sich die 91-jährige mit ihrem Rollstuhl an der Pforte des DRK-Seniorenhauses Steinbach postiert. Als die Schülerin kurz darauf erscheint, strahlt die Seniorin – auch wenn sie bereits vergessen hat, dass heute ein Ausflug an den Rhein geplant ist.
Alle zwei Wochen findet die Begegnung zwischen Alt und Jung im DRK-Seniorenhaus Steinbach in Bonn statt. Dann kommen Annika und fünf Mitschülerinnen der Carl-Schurz-Realschule, um mit demenzkranken Bewohnerinnen und Bewohnern einen unbeschwerten Nachmittag zu verbringen. Gesellschaftsspiele werden hervorgeholt, Waffeln gebacken und Lieder gesungen. Es wird zusammen gemalt, gebastelt oder ein Ausflug in die Umgebung unternommen.
Toleranz durch gemeinsame Aktivitäten fördern
„Menschen mit Demenz und Schüler gestalten gemeinsam ihre Freizeit“ heißt das Projekt, das Irina Suchan, Ehrenamtskoordinatorin und Leiterin des Sozialen Dienstes im DRK-Seniorenhaus Steinbach initiierte. Durch gemeinsame Aktivitäten, so das Ziel, sollen Hemmungen abgebaut und Toleranz gegenüber der Lebenssituation des anderen gefördert werden. „Der Kontakt zwischen Alt und Jung ist für viele nicht mehr selbstverständlich“, so Suchan. „Institutionen wie Schulen und Altenheimen müssen sich deshalb mehr öffnen, um neue Impulse für die Gesellschaft zu geben.“
Zusammen mit Sylvia Heiland, der Alltagsbetreuerin für Demenzkranke im Haus, bereitet Suchan die Schüler in Gesprächen auf das Thema Demenz vor, entwickelt mit ihnen Angebote für die Nachmittage und begleitet die Treffen. „Viele unserer Schüler verfügen über einen Migrationshintergrund“, erklärt Suchan. In der Gesellschaft werde ihnen oft nicht viel zugetraut. „In unserem Projekt können sie zeigen, was sie alles leisten können. Sie werden ernst genommen, bekommen Anerkennung und erhalten Einblick in soziale Berufe.“
"Ein Gewinn für beide Seiten"
Den Bewohnerinnen und Bewohnern bietet das Projekt eine willkommene Abwechslung. „Die Jugendlichen begegnen ihnen auf eine so frische und unverstellte Art, dass spontan innige und lebendige Situationen entstehen, die wir Fachkräfte nicht herstellen könnten“, beobachtet Suchan. Ihr Fazit: „Der Besuchsdienst ist ein Gewinn für beide Seiten.“
2012 startete das Projekt. Bislang haben zwölf Schülerinnen und Schüler des 8. und 9. Schuljahres teilgenommen. Annika ist seit September 2013 mit dabei. Von Freundinnen hatte sie von dem Projekt erfahren und wurde neugierig. „Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Mit alten Menschen hatte ich bisher kaum zu tun“, sagt sie. Anfangs hemmten Annika Berührungsängste. Sie wollte nichts falsch machen, aber bei jedem Treffen gewann sie mehr Sicherheit.
Das Projekt ist als AG fest in der Schule verankert
Auch ihre gleichaltrige Mitschülerin Celian wurde offener, als sie merkte, wie locker und unverkrampft ihr die demenzkranken Bewohnern begegneten. „Mich beeindruckt, was diese Frauen alles erlebt haben“, sagt Celian. „Auch lernen wir so viel von ihnen.“ Bei einem gemeinsamen Spiel galt es beispielsweise, Sprichwörter zu vervollständigen. „Viele haben wir da erst kennengelernt.“ Ein anderes Mal ging es darum, Kräuter am Geruch zu erkennen. „Eine der Bewohnerin, die früher einmal Köchin war, hat uns gezeigt, wie man mit Kräutern verschiedene Gerichte würzt.“
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Inzwischen ist das Projekt als AG fest in der Schule verankert. Das Engagement der Schüler wird im Zeugnis dokumentiert. Celian und Annika hoffen, dass sich noch viele Schüler an den Besuchen im Haus Steinbach beteiligen.