Essen. Gibt es so etwas wie „Glück“ tatsächlich? Oder wird alles durch Naturgesetze diktiert? Was sagt die Wissenschaft dazu? Der studierte Physiker, Kabarettist und Autor Vince Ebert bemüht sich im Interview mit Oliver Schönfeld für WestLotto um Antworten.
Viele Menschen hoffen jede Woche auf das große Glück und einen Millionengewinn, beispielsweise bei Eurojackpot. Wie definiert der Wissenschaftler „Glück“ – und was meint der Begriff „Zufall“?
Von Zufall spricht man dann, wenn für ein einzelnes Ereignis oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse keine kausale Erklärung gegeben werden kann. Das ist beispielsweise beim Eurojackpot glücklicherweise nicht der Fall. Da ist der „Zufall“ eindeutig berechenbar. Wenn Sie 95 Millionen verschiedene Spielscheine abgeben, entsprechend der Chance für die Gewinnklasse 1, dann benötigen Sie definitiv kein Glück, um den Jackpot zu knacken.
Ist denn alles im Leben Zufall, die Karriere beispielsweise? Lohnt es sich demnach gar nicht, hart zu arbeiten, um voranzukommen?
Ganz und gar nicht. Wenn Sie hart arbeiten, vergrößern Sie eindeutig Ihre Chancen, Erfolg zu haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass alle, die hart arbeiten, auch erfolgreich sind. Leider wird das in Selbsthilfebüchern suggeriert. Das Prinzip in diesen Büchern ist immer das gleiche. Ein erfolgreicher Mensch wird vorgestellt, der bestimmte Eigenschaften hat: Mut, Risikobereitschaft, Fleiß.
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Dann wird gefolgert: Wenn auch Sie diese Eigenschaften haben, läuft es. Klassischer Statistikfehler. Wir wissen nämlich nicht, wie viele Menschen ebenfalls Mut, Risikobereitschaft und Fleiß hatten und gescheitert sind. Und zwar aus einem einzigen Grund: Erfolglose Menschen schreiben keine Erfolgsbücher. Ich habe nachgeguckt: Sie finden auf Amazon keinen einzigen Buchtitel: „Warum ich’s nicht geschafft habe“ „In 12 Schritten zum Loser“ „Trotz Einser-Abi in der Gosse“.
Können Sie als Physiker an so etwas wie „Glück“ glauben oder sind alle Ereignisse in unserem Leben fremdbestimmt oder durch Naturgesetze vorgegeben?
Ja und Nein. Zwar unterliegen die Vorgänge in unserem Universum definierten Naturgesetzen. Das heißt, aber nicht, dass man damit automatisch alles vorausberechnen kann. Ein kleines Beispiel: Die Bewegungen des Mondes um die Erde können Sie mit einfachen Bewegungsgleichungen exakt berechnen. Gäbe es jetzt aber noch einen weiteren Mond, der um den eigentlichen Mond rotieren würde, dann hätten wir ein sogenanntes Dreikörperproblem.
Und ein System aus drei miteinander gekoppelten Körpern zeigt ein unvorhersehbares, chaotisches Verhalten. Es ist mit keinem Computer der Welt berechenbar! Einige lächeln jetzt und sagen: Das kenne ich doch aus dem privaten Bereich. Solange man vom dritten Körper nichts weiß – alles in Ordnung! Aber sobald einer Wind davon bekommt, bricht das Chaos aus.
Künstliche Intelligenz, Big Data, Digitalisierung – der Mensch scheint heute oder zumindest in der nahen Zukunft alles durchschauen und verstehen zu können. Was ist Ihre Meinung, wird der „Zufall“ in der Natur dennoch weiter ein Mysterium für uns bleiben?
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Auf jeden Fall. Die smarten Jungs aus dem Silicon Valley erzählen ja gern, dass mit Big Data und selbstlernenden Systemen buchstäblich alles voraussagbar wird. Doch alleine die menschliche Phantasie ist vollkommen unberechenbar. Es gibt unzählige Produkte, die praktisch aus dem Nichts kamen. Porzellan wurde erfunden, weil die Alchemisten eigentlich Gold herstellen wollten. Tesafilm sollte ursprünglich Heftpflaster werden. Viagra wurde entdeckt, weil männliche Versuchspersonen ein Herzmedikament in der Testphase partout nicht mehr absetzen wollten. Der wissenschaftliche Beweis der Wiederauferstehung.
Stichwort Künstliche Intelligenz: Wird bald die Technik schlauer sein als wir selbst? Und können wir dann das Denken einstellen?
Computer rechnen, Gehirne verstehen. Das ist der fundamentale Unterschied. Bis zum heutigen Tag „versteht“ kein Computer eine einfache Kindergeschichte, die man ihm vorliest. Prozessoren wissen auch nicht, dass man nach dem Tod nicht mehr zurückkommt oder dass man mit einem Bindfaden ziehen, aber nicht schieben kann. Zahlen und Algorithmen sind tolle Tools. Aber sie werden wahrscheinlich nie die menschliche Kreativität ersetzen.
Weil Computer komplett anders arbeiten als Gehirne. Einen guten Freund aus 60 Metern von hinten zu erkennen, das fällt uns leicht. Ein Computer tut sich da schon schwerer. Der hat keinen guten Freund. Dafür kann der blitzschnell 73 mit 26 multiplizieren. Ein Mensch, der das kann, hat meistens auch keinen guten Freund.
Lebensglück und Luxus – gehört das für Sie zusammen? Was macht Sie im emotionalen Sinn glücklich?
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In unserer ganzen vollkaskoversicherten Lebensplanung vergessen wir oft, was die Voraussetzung für wirkliche Freude ist: das Misslingen. Wie haben Sie Fahrradfahren gelernt? Indem Sie immer wieder hingefallen sind. Wahre Freude erleben wir nach Anstrengung, nach Grenzüberschreitung und nach dem Eingehen von Risiken. Und natürlich können wir auf die Fresse fallen. Na und? Schrammen sind sexy. Angstschweiß nie.
Zur Person:
Vince Ebert wurde 1968 in Amorbach im Odenwald geboren und studierte Physik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Nach dem Studium arbeitete er zunächst in einer Unternehmensberatung und in der Marktforschung, bevor er 1998 seine Karriere als Kabarettist begann. Vince Ebert war mit seinem Kabarettprogramm „Zukunft is the Future“ bis Ende Mai 2019 auf Tour. Mehr über Glück und Zufall verrät er zudem in seinem Buch „Unberechenbar: Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen“. In der ARD moderiert Vince Ebert regelmäßig die Sendung „Wissen vor acht – Werkstatt“. Ob als Kabarettist, Autor oder Vortragsredner, Vince Eberts Anliegen ist die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen des Humors. Abseits der Bühne engagiert er sich als Botschafter für die „Stiftung Rechnen“ und „MINT Zukunft schaffen“, um naturwissenschaftliche Kompetenzen in Deutschland zu fördern.