Köln. Die Wohnungsnot betrifft nicht nur Menschen. Auch Insekten, Vögel und Reptilien brauchen ein Obdach. Zu oft werden ihre Behausungen abgerissen.

Die Sonne spiegelt sich in den Fensterscheiben. Ihre Strahlen umschmeicheln den hellen Stein des Wohnkomplexes, der damit trotz seiner Größe eine freundliche Atmosphäre vermittelt. Kleine Sitzgelegenheiten laden auf dem großen Vorplatz zum Verweilen ein. Und ausgerechnet hier, wo die Sonne alles in ein warmes Licht taucht, setzen Iris Pinkepank und Stephanie Breil die Bahre mit der menschengroßen, toten Biene ab. Sie wollen ein Zeichen setzen. „Eine Architektur wie diese bietet Tieren keinen Raum“, erläutert Pinkepank. „Denn hier gibt es nur Steine.“

Doch Bienen, andere Insekten, Vögel und Reptilien benötigen in unseren Städten ebenfalls Platz zum Leben. „Wir brauchen also eine Stadtplanung, die auch Tiere als Bewohner respektiert“, ergänzt Breil. 70 Prozent aller Bienenarten beispielsweise leben im Boden und brauchen dafür ausreichend Fläche. Und ohne Bienen wäre die Artenvielfalt der Pflanzen sehr eingeschränkt. Bienen sind für deren Bestäubung zuständig. Ohne sie würden sich die Gewächse nicht entwickeln und ausbreiten können, es gäbe nur wenig Obst und Gemüse.

Bildungsarbeit

Die beiden Frauen haben im vergangenen Jahr mit dem Kölner Imkerverein die „HonigConnection“ initiiert, die für ihre Bildungsarbeit zum Thema Bienen von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt wird. „Weltweit ist ein großes Bienen- und Insektensterben zu beobachten. Die HonigConnection leistet einen wichtigen Beitrag zum Insektenschutz, den wir gerne fördern“, sagt Vorstandsmitglied Viktor Haase. Die Stiftung wiederum erhält vom Land NRW Geld aus Erträgen, die WestLotto erwirtschaftet.

Lebensqualität

Wenn Städte wachsen, verschwinden Grünflächen und Brachen. Um neuen Wohn- und Arbeitsraum zu gewinnen, werden für Tiere wichtige Gebiete vernichtet. Das soll sich nach Ansicht der beiden Aktivistinnen der Kölner „HonigConnection“ ändern. „Gute Lebensqualität für uns und wertvoller Lebensraum für Insekten, Vögel, Reptilien und Säugetiere müssen sich nicht ausschließen“, so Pinkepank. Ideen, wie Igel, Nachtigall und Spatzen ebenfalls zu ihrem Obdach kommen, gibt es schon seit Längerem.

Landschaftsplaner, Ökologen, Biologen und viele andere arbeiten daran. In Zeiten, in denen das Bienen- und Insektensterben zu einem immer größeren Thema wird, gewinnen ihre Vorstellungen an Gewicht. Und eigentlich ist das alles gar nicht so kompliziert. Beispielsweise hat die „HonigConnection“ mit einem Wohnungsunternehmen vereinbart, an verschiedenen Standorten ihrer Immobilien Bienenstöcke aufzustellen. „Das funktioniert prima“, freut sich Pinkepank. „Durch das gemeinsame Imkern kommen sogar Menschen miteinander in Kontakt, die zum Teil schon seit Jahrzehnten nebeneinander her lebten.“

Den Kontakt zur Natur verloren

Wildnis wagen – Mut zur Unordnung. Damit allein ist es aber nicht getan. Trotz Wohnraumverdichtung kann eine ganze Menge mehr unternommen werden. Insgesamt müssen die Städte grüner werden. Pflanzen im eigenen Garten und auf dem Balkon sind wichtig – aber letztlich macht’s die Vielfalt. „Der gezirkelte Rasen, der vom Kirschlorbeer umringt ist, nützt nicht allzu viel“, macht Breil klar. Auf einer wilden Wiese wachsen im Durchschnitt mehr als 20 Pflanzenarten. Da kommen die Blumenkästen vor dem Fenster und das akkurat geschnittene Gras nicht mit. „Wir haben den Kontakt zur Natur verloren“, betont Breil. Wenn alle etwas mehr Unordnung aushalten würden, wäre schon viel gewonnen – beispielsweise den Laubhaufen einfach mal liegenlassen. Er ist ein wichtiges Milieu für viele kleine und größere Lebewesen.

An und für sich wäre es ganz einfach, auch in der Stadt für mehr und besseren Lebensraum zu sorgen. „Zumal wir da bereits viele Flächen haben, die wilden Tieren wie Bienen und anderen Insekten nützlich sind“, so Pinkepank: Nicht jede Brache muss zivilisiert, nicht jede Grünfläche regelmäßig geschnitten und gepflegt, nicht jede Hecke ständig gestutzt werden. Eine zentrale Rolle spielen Blühwiesen, Rabatten, Bäume, Sträucher genauso wie Sandbadeplätze, Totholz-, Laub- und Steinhaufen. Wichtig: Solche Biotope müssen in nicht zu großen Abständen vorhanden sein, damit die Tiere auf der Wohnungs- und Nahrungssuche schnell von einem zum anderen gelangen. „Das nennen wir Trittsteinbiotope, denn Wildbienen fliegen je nach Art nur etwa 300 Meter am Stück“, weiß Breil.

Häuser teilen

Und zusätzlich könnten sich Mensch und Tier vorhandene und neue Häuser ganz leicht teilen. Und zwar, indem die Architektur auch aus Sicht von Bienen und anderen Lebewesen gedacht wird: Mehr Begrünungen auf den Dächern und an den Wänden oder Löcher in der Fassade für Unterschlupf beispielsweise – auch damit entzerrt sich deren Wohnungsmarkt ganz erheblich.

www.honigconnection.com

WestLotto und die Bienen

Auch WestLotto unternimmt etwas für die Bienen. Bereits seit dem vergangenen Jahr sind auf dem Dach der Zentrale des größten Lotterieveranstalters Deutschlands zehn Völker untergebracht (jeweils eine Königin und rund 15.000 Arbeiterinnen). Den Anstoß gab die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, die auf der Suche nach Unternehmen war, die Bienenvölker aufnehmen und dazu beitragen wollen, die Bienenhaltung in NRW zu sichern. Die WestLotto-Bienen werden gemeinsam mit dem Verein APIS e.V. bewirtschaftet. Ein Imker und seine Auszubildenden kümmern sich wöchentlich um die Völker.

www.apis-ev.de