Der Grad zwischen Perfektion und Pedanterie ist schmal. Keiner weiß das besser als Sony. Fast sechs Jahre lang arbeitete das Entwicklerstudio Polyphony Digital im Auftrag des Spielegiganten am fünften Teil der millionenfach verkauften Rennreihe "Gran Turismo" - über 60 Millionen Dollar soll die Produktion verschlungen haben. Was wenig verwundert, angesichts der über 1.000 Autos im Spiel, von denen 200 Premium-Modelle schraubengenau simuliert werden. Und ginge es nach Polyphony Digital, würde man die nächsten sechs Jahre damit zubringen, auch noch die restlichen 800 Boliden auf dieses Niveau zu hieven. Dabei stünde Dringlicheres an ...
Die japanischen Entwickler lieben Autos, vergöttern sie. Daran lässt das Intro keinen Zweifel. Begleitet von den Klängen des chinesischen Klaviervirtuosen Lang Lang wird man Zeuge, wie ein Nissan GTR gebaut wird - von der Förderung des Eisenerzes über die Schmelze bis hin zur Endmontage. Eine Ode ans Auto. Danach folgt ein kleiner Vorgeschmack auf die ungeheure Vielfalt, die "GT 5" bietet: Nascars lassen sich hier steuern, Rallye-Autos, Supersportler, Go-Karts, Concept-Fahrzeuge, Formel-1-Flitzer und auch ein Toyota Prius, wenn's sein muss. "GT 5" will nicht irgendein Rennspiel sein - es will das Rennspiel sein.
Mängel schon auf den ersten Kilometern
Umso erstaunter registriert man die technischen Mängel, die sich schon auf den ersten Testkilometern offenbaren. Zwar strotzen Audi R8, Mercedes SLS AMG und die anderen 198 Premiummodelle vor Details - außen wie innen. Bei den übrigen 800 Standard-Fahrzeugen handelt es sich jedoch bestenfalls um grafisch aufgewertete "GT 4"-Modelle ohne Cockpitperspektive, von denen es den Großteil wohl nicht gebraucht hätte. Wer will schon mit einem Reiskocher aus den 80-ern über eine Rennstrecke kriechen?
Grafisch noch unschöner: Bei Regenfahrten prasseln weiße Striche gegen die Windschutzscheibe, Vorausfahrende werden von abstrakten Pixelgebilden umrahmt. Und auch das im Vorfeld groß angekündigte Schadensmodell erweist sich als Mogelpackung. Selbst wer mit 300 Sachen gegen eine Wand oder einen abbremsenden Konkurrenten donnert, muss allenfalls eine leicht eingedellte Motorhaube oder einen hängenden Spoiler in Kauf nehmen. Apropos: Auffahrunfälle hören sich in "GT 5" in etwa so an, als würde jemand auf eine Tupperbox klopfen ...
Die Ernüchterung nach knapp sechs Jahren Warte- und 50 Minuten Installationszeit ist groß. Offenbar haben sich die Macher völlig verzettelt. Denn technisch muss sich "GT 5" trotz oder gerade wegen der langen Entwicklungszeit hinter Konkurrenten wie "Formel 1 2010", "Forza Motorsport 3" oder "Dirt 2" einreihen. Zwar erstrahlt die Grafik durchgängig im Full-HD-Format 1080p und auf Wunsch auch in 3D. Aber was nützen Abermillionen Bildpunkte, wenn sie doch nur karge Flächen füllen. So manche Strecke wirkt aufgrund ihrer Sterilität und ihres Pappkameradenpublikums schlicht überholt. Und auch der schönste Sonnenuntergang verblasst, wenn es grobe Pixel regnet und schneit ...
Warum man das Gamepad dennoch nicht aus der Hand legt? "GT 5" ist trotz der angestrebten, aber verfehlten technischen Perfektion eine reine Gefühlssache. In keinem anderen Rennspiel wird das Fahrverhalten von Boliden glaubhafter und differenzierter simuliert. Tuning und Feinjustierung machen sich spürbar bemerkbar. Und wer hofft, die letzten paar Meter vor einem Kurvenscheitelpunkt würden zum Abbremsen reichen, findet sich eben nicht auf dem Siegertreppchen, sondern im Kiesbett wieder.
Neue Tunigteile durch Spielerfolge
Gelegenheit, sich mit der ausgefeilten Fahrphysik anzufreunden, haben PS3-Spieler reichlich. Im GT-Modus, dem Herzstück des Spiels, finden sich neben der traditionellen Fahrschule mit ihren zahlreichen Lizenzprüfungen und Sonder-Veranstaltungen wie Kart-, Rallye- oder Nascar-Rennen Wettbewerbe satt. Viele davon setzen eine spezielle Fahrzeugklasse voraus, sodass man gezwungen ist, seine mühsam erfahrenen Credits beim Gebraucht- oder Neuwagenhändler in einen entsprechenden Fuhrpark zu investieren. Durch Erfolge bekommt der Spieler zudem Erfahrungspunkte, die nach und nach weitere Modelle, Tuningteile und Cups freischalten. Die berüchtigte Suchtspirale der "Gran Turismo"-Reihe.
Schwer vorstellbar: Sollte man es leid sein, sich selbst hinters Steuer zu klemmen, versucht man sich im sogenannten "B-Spec"-Modus. Das "B" steht wohl für Betrachter. Oder Beifahrer. Übers Mikro werden hier Anweisungen an den computergesteuerten Schützling gegeben: "Fahr schneller!", "Überhole", "Halte das Tempo!". Eine ausgesprochen unspannende Beschäftigung.
Wem die 20 Kurse mit ihren 70 Variationen nicht genügend Abwechslung bieten, kann mithilfe des simpel zu bedienenden Level-Editors neue Strecken planen. Oder im Arcade-Modus ein Driftrennen wagen. Sich im 200 Stücke umfassenden Soundtrack verlieren. Den mitgelieferten Web-TV-Channel durchforsten. Oder sich im Fotomodus austoben und seine Premium-Karossen vor edler Kulisse ins rechte Licht rücken. Die Schnappschüsse lassen dann sich an Freunde in der Community verschicken.
Fazit: "GT 5" bietet eine Fülle an Möglichkeiten und ausreichend Rennstoff, um die Wartezeit auf den bereits angekündigten sechsten Teil zu überbrücken. Der sollte sich jedoch aufs Wesentliche konzentrieren. Klasse statt Masse.