Essen.

World of Warcraft, kurz WoW, das ist das beliebteste Online-Rollenspiel der Welt. Rund 15 Millionen Menschen tauchen weltweit regelmäßig in die Welt von Elfen und Orks, von Magiern, Jägern und Kriegern ein, um gemeinsam mit anderen Spielern Bösewichten einzuheizen. Seit Dienstag, 0.01 Uhr, steht die neueste Erweiterung des Computerspiels in den Regalen. Besonders Eilige haben es bereits online gekauft, damit sie zum selben Zeitpunkt gleich los spielen können. Auch wir sind dabei. Und versuchen das Unmögliche: Vor allen anderen die neue Höchststufe von 85 zu erreichen. Aber wir sind vorbereitet.

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Azeroth, so heißt das Land, der Planet, auf dem sich Allianz und Horde gegenüberstehen, auf dem sie aber auch schon gemeinsamen Feinden getrotzt haben. Nach heroischen Kämpfen gegen die Brennende Legion und die Schergen des Lich King, des Leichenkönigs, in den Mauern der mächtigen Eiskronenzitadelle droht Azeroth ein neues Übel. Todesschwinge, ein verderbter Drache, dürstet danach, das Land der Elfen und Orks zu unterjochen. Und die Spieler von World of Warcraft können sich ihm tapfer entgegenstellen.

Vorbereitung ist alles

Wer sich darauf einlässt, der sollte gut vorbereitet sein. Und dazu zählt vor allem, den Urlaubsschein richtig ausgefüllt und den heimischen Kühlschrank aufgefüllt zu haben, die Kaffeemaschine neben dem Computer aufgebaut und den Kasten Mineralwasser direkt neben dem Schreibtisch platziert zu haben. Überlebenswichtig: Die Nummer des Pizza-Services sollte gleich neben der Tastatur bereit liegen. Und auch die Computermaus stünden neue Batterien gut, damit sie nicht mittendrin schlapp macht.

Erfahrene Spieler meinen, innerhalb von 25 bis 30 Stunden könne man seinen Alter Ego auf die neue Höchststufe 85 bringen, vorausgesetzt, man besitzt einen WoW-Charakter mit Stufe 80, dem bisherigen höchsten Spiellevel. Das klingt nach viel Koffein, wenig Schlaf und noch weniger Körperpflege – zumindest für genau diese Zeit.

Das Tagebuch:

Mittwoch, 8. Dezember, 19 Uhr, 17 Minuten und 38 Sekunden: 85! Ich habe die Höchststufe erreicht, über den Chat erreichen mich sofort Glückwunschschreiben der anderen Gildenmitglieder. Doch mein eigentliches Ziel habe ich mehr als deutlich verfehlt. Ich war nicht erster auf dem Server, der die 85 erreicht, ich war nicht erster Todesritter, der die 85 erreicht und ich war auch nicht das erste Gildenmitglied, dass sich die Höchststufe sichert. Spaß hat’s trotzdem gemacht. Auch wenn hinter mir eine entbehrungsreiche Zeit liegt. Kaum Schlaf, wenig Essen, null Bewegung – sieht man mal von denen der Computermaus ab.

Wie es jetzt weitergeht? Erstmal mache ich mir eine warme Mahlzeit. Eine heiße Dusche wäre auch nett. Und um 21 Uhr wartet die Gilde. Wir müssen uns vorbereiten für den Schlachtzug. Ich brauche ja diesen Gürtel. Und die tollen neuen Handschuhe, die es beim Händler in der Hauptstadt der Orks gibt. Und überhaupt: diese neue Helmverzauberung. Und…

An dieser Stelle endet das Tagebuch abrupt.

Mittwoch, 8. Dezember, 13 Uhr:Auch diese Bettpause war nicht besonders lang. Jetzt also Endspurt, die letzten Meter liegen vor mir. Nach der „Gruppensitzung“ der vergangenen Nacht werde ich den Rest des Weges allein gehen. Und komme überraschend fix voran. Die Aufgaben in den Gebieten für 84er-Charaktere geben so viel Erfahrungspunkte, dass man fast dabei zuschauen kann, wie sich der blaue Balken, der den Level-Fortschritt anzeigt und einen immer und immer wieder motiviert noch eine weitere Aufgabe zu erledigen, langsam füllt. Ich werde mich jetzt erst einmal in die Dienste des Dachenmalklans begeben. Wer seinen Ruf bei diesen vom Computer gesteuerten Charakteren erhöht, dem winken zusätzliche Belohnungen. Und der Gedanke an diesen Plattengürtel in der Auslage des Händlers lässt mich einfach nicht mehr los. Den muss ich haben!

Mittwoch, 8. Dezember, 6.30 Uhr:So langsam lässt sich das Schlafdefizit nicht mehr weg diskutieren. Vielleicht doch besser, sich noch einmal fünf, sechs Stunden aufs Ohr zu hauen. Um morgen ausgeruht das Ziel zu erreichen. Und dann? Geht Cataclysm erst richtig los. Und die Jagd nach immer besseren Waffen und Rüstungen beginnt von neuem. Für die nächsten Tage werde ich mich aus der Welt der Kriegskunst erst einmal zurückziehen. Am Sonntag, da plant die Gilde den ersten großen Schlachtzug. 25 Leute braucht man dazu. Unnötig zu erwähnen, dass die bis dahin allesamt Level 85 erreicht haben...

Mittwoch, 8. Dezember, 0.15 Uhr:So langsam läuft es. Wir haben uns auf das Spielen von Dungeons beschränkt. Und sparen uns damit die Leerlaufzeit für das Wegbringen der oftmals nervtötenden Aufgaben. Eine eingeschworene Truppe sind wir mittlerweile. Ein Druide, der den Schaden fängt, indem er sich in einen Bären verwandelt und voranschreitet, ein Paladin, der uns heilt. Ein Hexenmeister, ein Jäger und mein Todesritter sorgen dafür, dass die Bösewichte uns nicht allzu viel entgegenzusetzen haben. So haben wir die Nacht miteinander verbracht. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Noch sechs bis acht Stunden harte Arbeit, dann haben wir auch Level 85 erreicht.

Dienstag, 7. Dezember, 19.30 Uhr: Kaugummi ist gar kein Ausdruck. Zäh wie Harz würde es wohl besser beschreiben. In rund sechs Stunden war gerade mal ein Level drin. Die ersten aus der Gilde haben die Höchststufe erreicht. Wir krebsen zwischen 83 und 84 herum, haben dafür aber eine Menge neuer Dungeons gesehen. An diesen Orten lauern besonders anspruchsvolle Gegner, die Spieler, die sie besiegen, mit besonders guten Ausrüstungsgegenständen belohnen. Und außerdem ist der Besuch der sogenannten Instanzen eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Aufgaben erledigen in den Weiten von Cataclysm. Denn in den Dungeons ist man in einer Gruppe von fünf Leuten unterwegs und kein weiterer Spieler kommt einem dabei in die Quere. Einziger Wermutstropfen: Die Ausrüstung, die man in mühevoller Kleinarbeit bis zum Erscheinen der neuen WoW-Erweiterung gesammelt hat, ist völlig wertlos. Ansonsten lässt es sich es sich in den Dungeons bis Level 85 sehr gut aushalten. Ob das allerdings noch heute Abend der Fall sein wird, wage ich stark zu bezweifeln. Wenn nur nicht die Müdigkeit wäre. Ich glaube, ich stell die Espressomaschine direkt neben den PC...

Dienstag, 7. Dezember, 13.15 Uhr: Zurück in Ogrimmar, zurück auf dem Schlachtfeld. Schlaf wird gemeinhin überschätzt. Der Paketbote war's, der mich daran erinnert hat, mein Ziel nicht komplett aus den Augen zu verlieren. Die Gildenkollegen kratzen an der 84, haben in den letzten fünf Stunden gerade mal eineinhalb Level gut gemacht. Am Ende wird Cataclysm zäh wie Kaugummi. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre: Der erste Spieler hat die 85er-Marke vor ein paar Minuten erreicht. Ok, dann wird mein Erreichen des höchsten Levels eben nur eine persönliche Bestzeit. Bis heute Abend, so nehme ich mir vor, muss ich 85 sein. Daran dürft ihr mich messen!

Dienstag, 7. Dezember, 7.30 Uhr:Meine Hände gleichen Eisklumpen, um Antworten im Chat zu schreiben, brauche ich eine halbe Ewigkeit. Ganz zu schweigen vom Reaktionsvermögen im Spiel. Es wird Zeit fürs Bett. Der Kampf um Level 85 – so viel ist jetzt schon sicher – ist verloren. Soeben haben die ersten Charaktere Level 84 erreicht. Und wir sind gerade einmal 82,5...

Dienstag, 7. Dezember, 6.30 Uhr:Zu fünft in die erste Instanz, die Schwarzfelshöhlen. Wir kommen ausgesprochen gut voran. Und mein Todesritter muss den Tank geben. Also den Charakter, der den meisten Schaden einsteckt, während Jäger und Hexenmeister die Gegner unter Feuer nehmen. Doch mit der Aufmerksamkeit ist es dahin. Ich bin seit über 22 Stunden auf den Beinen...

Dienstag, 7. Dezember, 4.30 Uhr:Die Wirkung der 1,5-Liter-Cola-Flasche lässt langsam nach. Muss wohl am Warten gelegen haben. Oder an den sich oft wiederholenden Quests. Und dem ständigen Hin- und Herfliegen. Und wir sind gerade einmal kurz vor Level 82.

Dienstag, 7. Dezember, 1.15 Uhr:Während die ersten Gildenmitglieder bereits Level 81 erreicht haben, starten wir, mein treuer Jägerfreund und ich, jetzt erst durch. Und landen dort, wo Dutzende andere Spieler auch hin wollen. Ein erbitterter Kampf entbrennt – um Pflanzen, die es zu sammeln gilt, um Computergegner, denen andere auch einheizen wollen. Da müssen wir jetzt wohl durch.

Dienstag, 7. Dezember, 0.01 Uhr:Anstatt sofort loszulegen, schauen viele Cataclysm-Spieler erst einmal in die Röhre. Die sogenannten Login-Server machen schlapp, sie können nicht ins Spiel einsteigen. Auch wir gehören dazu. Erst eine gute Dreiviertelstunde stehen wir in Ogrimmar, auf dem Plateau, von dem Magier Portale zum Berg Hyal öffnen. Andere hatten mehr Glück. Sie konnten direkt um kurz nach 0 Uhr loslegen. Ich hätte nicht geglaubt, den Traum vom ersten 85er-Todesritter auf unserem Server so schnell zu Grabe tragen zu müssen. Fast eine Stunde Vorsprung ist uneinholbar.

Montag, 6. Dezember, 23.30 Uhr:wollen wir uns treffen. Wir, das sind die Gilde und ich. Jäger, Magier, Druiden, Krieger, Schurken, Paladine, Hexenmeister, Priester. Wir alle haben in den vergangenen zwei (!) Jahren gemeinsam Seite an Seite gekämpft und fast alle Scheußlichkeiten, die uns das Spiel entgegenwarf, in die Knie gezwungen. Ab 0 Uhr wollen wir uns in kleine Gruppen aufteilen und die neue Welt von Cataclysm gemeinsam erkunden. Denn wer zusammen spielt, kommt schneller voran. Hoffen wir jedenfalls...

Einige Spieler aus meiner Gilde haben bereits die Beta-Version von Cataclysm angespielt, die Testversion, die nicht allen Spielern offenstand. Das ist ein unschätzbarer Vorteil für unsere Gruppe. Wir wissen jetzt, wo wir wann welche Aufgabe erledigen müssen. Das spart Zeit – und die ist im Wettlauf um Stufe 85 Gold wert!

Montag, 6. Dezember, 22 Uhr: Ich sitze auf meinem eisbeschlagenen Frostbrustbezwinger, dem schnellsten und imposantesten Flugdrachen, den World of Warcraft kennt. Mein furchteinflößendes Reittier schwebt hoch oben über der Tausendwinterfestung. Bereits am Vortag habe ich 25 sogenannte Quests, Aufgaben, durch die man Erfahrungspunkte gewinnt, erledigt. Fällt der Startschuss um 0.01 Uhr, kann ich diese bei den Auftraggebern abgeben und mache allein schon ein Drittel des neuen Charakterlevels mit der Erledigung dieser Quests gut.

„Schattengram“, die bislang mächtigste Zweihandaxt im gesamten WoW-Universum, habe ich mir auf den Rücken geschnallt. Mein Itemlevel, der Durchschnittswert aller von mir getragenen Gegenstände von Helm bis zu den Plattenstiefeln, liegt bei 2851. Damit rangiert mein Todesritter auf Platz 121 der Rangliste aller jemals in Deutschland erstellten WoW-Charaktere. Immerhin spielen gut zwei Millionen Deutsche das Spiel. Gute Voraussetzungen also, um die Herausforderungen des neuen Spielabschnitts zu meistern.

Montag, 6. Dezember, 18 Uhr:Noch sechs Stunden und eine Minute, bis sich die Portale öffnen in die neue Spielwelt mit all ihren Gefahren. Gelegenheit, letzte Einkäufe zu tätigen – im Auktionshaus von Ogrimmar, der Hauptstadt der Orks. Wir nehmen 20 „Fläschchen der endlosen Wut“, die erhöhen die Angriffskraft unseres Todesritters für jeweils eine Stunde. Außerdem im Angebot: köstliche „Drachenflossenfilets“, sie lassen unseren Kämpfer stärker werden und erhöhen seine Ausdauer. Die Axt ist geschliffen, die Rüstung auf Hochglanz poliert, jetzt kann der Kampf beginnen. Genügend Gold hat unser Recke auch in seinen Taschen. Im Kampf gegen Wolfsmenschen und andere Unholde können Waffe, Helm und Brustpanzer nämlich Schaden nehmen. Und sollten dann schleunigst repariert werden.