Bunt, schrill, Cosplay. Wir haben dem Trend aus Fernost ein wenig auf den Zahn gefühlt und uns die Frage gestellt, ob sich hinter den farbenfrohen Klamotten vielleicht auch eine ernstzunehmende Kritik versteckt.
Ihr Makeup ist kaum bemerkbar, ihre Klamotten hingegen knallbunt und auch ihre Frisur, deren Styling mehrere Stunden in Anspruch genommen hat, zieht die Blicke sämtlicher Passanten auf sich. Sie lächelt schüchtern in die Kamera und flüstert ihrer Freundin – ebenfalls in einem extravaganten Aufzug – noch kurz etwas zu, bevor sie sich in Pose wirft. Sämtliche Unsicherheit weicht von ihrem Gesicht und für einen kurzen Augenblick, solange das Blitzlicht der Schaulustigen anhält, bekommt man das Gefühl, man hätte es hier tatsächlich mit Rikku aus dem Videospiel Final Fantasy X zu tun. Was für viele wie eine Art vorgezogenes Fasching wirkt, ist in Wirklichkeit ein Trend aus Japan: Cosplay.
Von Klingonen zu Saiyajins
Die tatsächlichen Ursprünge des Cosplaying (Costume Playing) stammen nicht, wie man vermuten könnte, aus Fernost, sondern aus Amerika. Schon in den sechziger Jahren gab es eine ähnliche Bewegung, welche sich jedoch vor allem im Kreis der Science-Fiction-Fans wieder fand. Im Gegensatz zum heutigen Cosplay, welches sich auch in Europa einer großen Fan-Gemeinde erfreut, fanden die damaligen Treffen jedoch in einem sehr viel kleineren Kreis statt. Von einer regelrechten Subkultur konnte nicht die Rede sein. Ganz anders verhält es sich hingegen mit den zahlreichen Jugendlichen, welche sich beispielsweise auf der Jingu-bashi Brücke in Japan treffen. Ob es nun das schlichte Schulmädchen-Outift ist oder das überaus aufwendige Fantasy-Kostüm - Eines verbindet sie alle: Die Freude am verkleiden.
Für viele ist dies hingegen nicht der einzige Grund, sich wochenlang vor die Nähmaschine zu setzen oder mehr als hundert Euro zu investieren, um bei der nächsten Convention das perfekte Outfit zu haben. Dieses Phänomen ist durchaus auch kulturell zu deuten. Entgegen des strikten und elitären Schulsystems Japans, in dem die Persönlichkeit des Schülers oft auf die Prozentzahl der richtigen Antworten und die daraus resultierende Leistung minimiert wird, sehen viele ihr Hobby als eine Art Ausflucht. Durch das Abstreifen der Schuluniform und das Anlegen einer alternativen Persönlichkeit bekommen sie somit die Art von Aufmerksamkeit, die sie im normalen Leben vielleicht nicht bekommen würden. Auch das Gefühl der Bestätigung durch andere Cosplayer und Passanten, die ein Foto wollen, ist hierbei eine überaus starke Komponente.
Mehr als nur Handwerk
Von der Idee bis zum fertigen Cosplay ist es nicht selten der gerne zitierte steinige Weg. Da fertig gekaufte Outfits ungern gesehen sind und weil man der Gefahr aus dem Weg gehen will, dass jemand anderes das gleiche trägt, werden die Kostüme in der Regel teilweise überarbeitet und manchmal sogar komplett selbst genäht. Ein weiterer Aspekt in dem man sich stark von westlichen Verkleidungs-Trends unterscheidet ist, dass die Cosplayer viel Wert darauf legen, auch die Persönlichkeit des Charakters nachzuahmen, der gerade verkörpert wird. Von Gang- und Redeart bis hin zu Essensgewohnheiten wird versucht, das virtuelle Vorbild bis ins kleinste Detail zu imitieren. Für welchen Charakter sich dabei entschieden wird, bleibt letzten Endes jedem selbst überlassen. Doch achten vor allem fortgeschrittene Cosplayer darauf, dass die von ihnen gewählte Figur auch zu ihren eigenen körperlichen Begebenheiten passt und natürlich entscheidet man sich in der Regel für Charaktere, die einem besonders am Herzen liegen. Ebenfalls gern gesehen sind kleine Gruppen, die gleich mehrere Individuen einer Franchise nachahmen. Insgesamt steht für viele vor allem der
Gedanke des gemeinsamen Verkleidens im Vordergrund und auch das übliche Fachsimpeln über die besten Techniken zum Säumen darf auf keiner richtigen Veranstaltung fehlen.
Die Schattenseiten
Obwohl man sich innerhalb der Szene eines stark ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls erfreut, ist auch diese Sub-Kultur nicht frei von Problemen. Vor allem Neid und Arroganz werfen einen dunklen Schatten auf die farbenfrohen Gestalten. Auch Meldungen von enttäuschten Anfängern, die von der Community alles andere als herzlich aufgenommen wurden, sind keine Seltenheit. Einer der Hauptgründe hierfür ist die immer höhere Qualität der Outfits, welche es vor allem Neueinsteigern erschweren „state of the art“ zu sein, was bei dem einen oder anderen alten Hasen nur selten auf Verständnis stößt. Ebenfalls problematisch ist der Neid auf andere, die möglicherweise ein besseres Kostüm aufweisen können. Anstelle der Freude am gemeinsamen Hobby tritt dann ein verbitterter Wettkampf in den Vordergrund, der leider nicht selten auf einem krankhaften Ehrgeiz beruht. Aller Kritik zum Trotz erfreut sich die Community jedoch einem stetigen Wachstum. Auch bei uns.
Soziale Kälte
Fraglich ist jedoch, warum Cosplaying nun auch in Deutschland das Interesse von immer mehr Jugendlichen weckt. Einerseits lässt sich dies durch den sich immer noch ausbreitenden Anime-Boom erklären, welcher seit der Zweitausstrahlung von Sailor Moon anhält. Auch die stetig wachsende Videospiel-Industrie, welche nun auch zunehmend weibliche Spieler zu erreichen versucht, ist als eine Komponente zu nennen. Es ist jedoch durchaus angebracht sich die Frage zu stellen ob der soziale Aspekt, welcher in Japan greift, vielleicht nicht auch auf die europäische, in diesem Fall deutsche Szene zu übertragen ist. Hat die von der Politik gerne zitierte „soziale Kälte“ vielleicht auch schon von unserer Jugend Besitz ergriffen? Müssen sich Jugendliche heutzutage besonders auffällig kleiden um beachtet zu werden? Ist es notwendig eine andere Identität anzunehmen um überhaupt eine zu besitzen?
Eine allgemeine Antwort auf all diese Fragen zu finden ist leider nicht möglich. Man kann nicht leugnen, dass die Entwicklung einer richtigen Persönlichkeit in unserer von Leistungsdruck und Ellbogenmentalität geprägten Zeit alles andere als leicht ausfällt. Was man jedoch ebenso wenig übersehen darf ist, dass Cosplaying auch eine ernste, wenn nicht sogar kritische Nuance enthält. Wenn Jugendliche sich verkleiden müssen um wahrgenommen zu werden, sollten wir uns ernsthaft die Frage stellen, ob mit unserer Gesellschaft vielleicht etwas nicht in Ordnung ist. Trotzdem sollte man nicht dem Irrglauben aufliegen, dass sich hinter jedem Kostüm eine vereinsamte, manisch depressive Persönlichkeit versteckt. Nicht jeder Bowser schreit nach mehr Aufmerksamkeit.