Remscheid/Den Haag. Sie sollen einen somalischen Flüchtling in Den Haag totgeprügelt haben. Warum Verdächtige aus Deutschland alle Vorwürfe von sich weisen.
Vier Verdächtige, die jede Schuld von sich weisen oder gar nichts sagen. Wenige Zeugen mit vielen einander widersprechenden Geschichten. Und auch noch schlechte Videobilder: Für die niederländischen Richter wird es „eine harte Nuss“, den gewaltsamen Tod eines jungen Mannes aufzuklären – das ahnt nicht nur das „Algemeen Dagblad“. Fest steht bislang nur: Abdi R., ein 23-jähriger Flüchtling aus Somalia, starb im Sommer 2024 nach einer Prügelei im Kneipenviertel von Den Haag. Beschuldigt werden vier Männer aus Deutschland, drei von ihnen stehen inzwischen vor Gericht.
Was geschah in jener heißen Sommernacht vom 20. auf den 21. Juli kurz nach Mitternacht? Lange suchte die Polizei nach Hinweisen, nach Zeugen, die es doch gegeben haben muss zwischen all‘ den vollen Cafés eines Samstags im Zentrum von Den Haag. Noch immer wird ermittelt zum Tod von Abdi R. aus Somalia, der seit drei Jahren in den Niederlanden auf eine Aufenthaltserlaubnis wartete.
Wollten die Täter von Abdi R. bloß einen Joint?
Die Staatsanwaltschaft weiß bislang sicher: Der 23-Jährige, der in einem Asylbewerberheim im gut eine Autostunde entfernten Heerhugowaard lebte, war mit einem Freund unterwegs. Warum er dafür mehr als 100 Kilometer reiste, ist unklar. Eine Nichtigkeit soll eine Auseinandersetzung mit einer Gruppe junger Touristen aus Deutschland ausgelöst haben. Tritte und Schläge von beiden Seiten sind dokumentiert, die Rede ist von „tödlicher Gewalt“. Binnen weniger Minuten verschob sich das Geschehen von einer Hauptstraße auf den zentralen Platz im Zentrum Den Haags, wo auch die Regierung ihren Sitz hat. R. blieb bewusstlos liegen, er starb noch am selben Morgen in einem Krankenhaus an seinen schweren Kopfverletzungen.
Von dem, was tatsächlich passierte auf dem „Plein“ – dem Platz, der nun auch der Strafsache ihren Namen gibt – gibt es bis heute nur undeutliche Kamerabilder. Nach Recherchen des „Algemeen Dagblad“, das die Videos einsehen konnte, versperren ein E-Scooter und ein Werbeplakat die Sicht auf den Tatort, zudem seien die Szenen im Gegenlicht nicht gut zu erkennen. Auch Zeugen, von der Polizei damals per SMS gesucht, machten bislang offenbar widersprüchliche Aussagen.
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Unter anderem private Aufnahmen lenkten den Verdacht zwei Wochen nach dem Tod von Abdi R. auf erst acht, dann vier Freunde aus Deutschland. Die Beschuldigten sollen ein privates Feier-Wochenende in Den Haag verbracht haben. Anfang August wurden sie auf Bitten der niederländischen Ermittler durch die deutsche Polizei in Remscheid festgenommen. Sie wehrten sich zunächst gegen ihre Auslieferung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied schließlich im September auch für den vierten, sie wurden ins Nachbarland überstellt. Laut Staatsanwaltschaft haben mindestens zwei einen deutschen Pass, sollen aber syrischer Herkunft sein, einer ist Bulgare. Wohnhaft seien sie alle im Bergischen gewesen.
In einer ersten öffentlichen Sitzung des zuständigen Gerichts gab ein 24-Jähriger im Dezember zu, dem Freund des späteren Opfers einen Schlag versetzt zu haben. Mit der Gewalt, die darauf folgte, habe er indes nichts zu tun. Sein Verteidiger sagte vor Gericht, sein Mandant sei weggelaufen und habe auch versucht, seine Kollegen mitzunehmen: Er habe ihnen Zeichen gemacht mitzukommen. Der 24-Jährige selbst erklärte nach übereinstimmenden Medienberichten, er habe gar nicht mehr mitbekommen, wie die Sache weiterging.
Beschuldigter: Mitgefühl für die Hinterbliebenen
Ein zweiter Mann, 21, äußerte in der vergangenen Woche vor Gericht erstmals Mitgefühl für die Hinterbliebenen des Opfers. „Ich möchte der Familie viel Kraft und Geduld wünschen.“ Auch er habe aber allein den Freund geschlagen, und das nur zur Selbstverteidigung. Gewalt gegen Abdi R. habe er nicht angewendet. Über die Aussage eines dritten ist bislang nichts bekannt.
Der Staatsanwalt wirft den Männern, „sinnlose Ausgehgewalt“ vor. Der Anlass für die Prügelei in jener Sommernacht im Party-Hotspot von Den Haag sei nichtig gewesen. Es gehe um eine „unverhältnismäßige Reaktion auf einen geringfügigen Anlass“. Angeblich begann der Streit damit, dass die deutschen Touristen von den Männern aus Somalia einen Joint erbettelten. Dafür, dass der aber Drogen dabei hatte, überhaupt ein Dealer war, gibt es offenbar keine Anzeichen. Allerdings ist es auch nicht Sache der Richter, das nach dessen Tod noch zu klären.
„Pro-Forma-Sitzungen“: Noch werden keine Zeugen gehört
Obwohl die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, hatten die drei Männer bereits ihren ersten Gerichtstermin. Nach niederländischem Recht müssen gesetzliche Fristen eingehalten werden, auch wenn es noch keine Anklage gibt. Bei solchen öffentlichen „Pro Forma“-Sitzungen werden die Vorwürfe deshalb noch nicht inhaltlich vertieft und noch keine Zeugen gehört.
Bis zum nächsten Verhandlungstag im März müssen alle drei Männer in Haft bleiben, ihre Verteidiger forderten vergeblich ihre Freilassung. Wann der vierte Beschuldigte erstmals vor einem Richter erscheinen muss, ist derzeit unklar. Er ist der Einzige in dem Quartett aus Deutschland, der nicht in Untersuchungshaft sitzt.