Essen. 80 Prozent der Zahnarztpraxen sind schon „amalgamfrei“. Aber in vier Ruhrgebietsstädten ist der giftige Werkstoff noch weit verbreitet.

Ab 1. Januar gilt europaweit ein grundsätzliches Amalgam-Verbot für Zahnfüllungen. Tatsächlich füllen die meisten Zahnärzte in Deutschland Löcher in den Zähnen ihrer Patienten schon längst nicht mehr mit der Quecksilber-haltigen Legierung, auch aus ästhetischen Gründen. Seit Jahren sei der „Anteil der Amalgam-Füllungen in schadhaften Seitenzähnen“ bundesweit rückläufig, heißt es im aktuellen Zahnreport der Barmer. Zuletzt, so eine Auswertung der Krankenkasse für das Jahr 2023, lag er noch bei 3,5 Prozent (2021: 4,6 Prozent). Doch es gibt sehr große regionale Unterschiede: In Teilen des Ruhrgebiets etwa ist Amalgam weiter verbreitet als anderswo.

Dabei liegt der Anteil der Amalgam-Füllungen im gesamten Nordrhein-Westfalen (2023: 3,0 Prozent) sogar unter dem Bundesdurchschnitt (3,5 Prozent). Indes: In die Zähne der Gelsenkirchener und Hernerinnen floss laut Barmer-Zahnreport für NRW deutlich mehr Amalgam, nämlich 4,9 beziehungsweise 4,8 Prozent – das sind die NRW-weit höchsten Zahlen. Aber auch Duisburg (4,0 Prozent) und Recklinghausen (3,2 Prozent) liegen noch über den durchschnittlichen Zahlen für ganz Deutschland. Am wenigsten neue Amalgam-Plomben fanden sich laut Barmer-Report in Essen (1,5 Prozent).

Amalgam: Mehr als 100 Jahre lang Standardversorgung

Amalgam ist eine Metallmischung, die zur Hälfte aus Quecksilber besteht, gebunden in einer Legierung aus Silber, Kupfer, Zink und Zinn. Mehr als 100 Jahre lang war es das Standardmaterial, um Karies-Löcher zu stopfen, noch 1995 wurde es für knapp ein Drittel aller neu gelegten Füllungen in Deutschland verwendet. Insbesondere für die größeren Defekte in den Seitenzähnen (den kleinen und großen Eckzähnen) gab es lange kein geeigneteres Material. Doch Quecksilber ist giftig für Lebewesen, es wird von Mensch und Tier schlecht ausgeschieden, reichert sich im Körper an. Quecksilbervergiftungen können schwerwiegende Folgen haben.

Trotzdem muss nun niemand mit einer alten Amalgam-Füllung zum Zahnarzt, um sie entfernen zu lassen. „Im Gegenteil“, sagt João Rodrigues, Landesgeschäftsführer der Barmer Krankenkasse in NRW, „aus zahnmedizinischer Sicht ist sogar von einer Entfernung intakter Füllungen abzusehen.“ Von Amalgam-Plomben, die fest im Zahn sitzen, gehe keine Gefahr aus, sagt er.

Das ist auch Konsens unter Wissenschaftlern, das betont selbst das Krebsforschungszentrum; das versichert die Verbraucherschutzzentrale. Tatsächlich bezieht sich das neue EU-Verbot nur auf zukünftige Füllungen. Die größte Gefahr besteht, wenn Quecksilber im gasförmigen Zustand eingeatmet wird. Das ist möglich, wenn Füllungen neu gelegt werden – eine Stunde dauert es, bis die Plombe ausgehärtet ist, oder wenn Füllungen entfernt werden – durch die Hitze des dazu verwendeten Bohrers.

Verboten wurde Amalgam nicht aus gesundheitlichen, sondern – wegen seines Quecksilbergehalts – aus Umweltschutzgründen. In einem internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen ist festgeschrieben, die Quecksilber-Emissionen größtmöglich einzudämmen sind. Diese Konvention gelte bindend auch für den zahnmedizinischen Bereich, so Rodrigues.

Anspruch auf zuzahlungsfreie Füllungen besteht weiterhin

Wer intakte Amalgamfüllungen austauschen möchte, muss das laut Verbraucherzentrale im Übrigen selbst bezahlen. Der Anspruch gesetzlich Versicherter auf eine zuzahlungsfreie Zahnfüllung (ohne Amalgam) bleibt dagegen bestehen. „Im Interesse der Versicherten sind vor allem qualitativ hochwertige, zuzahlungsfreie Alternativen für Amalgam als Füllungswerkstoff wichtig“, erklärt Rodrigues. Kassenzahnärzte und Gesetzliche Krankenkassen hätten sich aber inzwischen darüber verständigt.

Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, hatte jüngst erklärt: „Das Thema Amalgam ist bis auf zahnmedizinisch zwingende Fälle Geschichte!“ Man habe auf „geeignete, wirtschaftliche und praxiserprobte Füllungsmaterialien für alle Zahnfüllungen geeinigt.“

Verschiedenes käme dafür infrage, erläutert die Barmer. Grundsätzlich sollten im Seitenzahnbereich künftig nur noch „selbstadhäsive“ (selbsthaftende) Materialien genutzt werden, etwa sogenannte „Glasionomerzemente“ (GIZ). Sie werden in mehreren Schichten aufgetragen, benötigen aber kein zusätzliches Klebemittel. Wenn das nicht möglich ist, können laut Verbraucherzentrale in Ausnahmefällen auch Komposit-Materialien verwendet werden, die schneller aushärten (sogenannte Bulkfill-Komposite).

Für die Frontzähne werden schon heute diese Komposite, zahnfarbene Kunststofffüllungen, verwendet. Barmer-NRW-Chef Rodrigues rät Patienten und Patientinnen, in der Zahnpraxis aktiv nach zuzahlungsfreien Behandlungsmöglichkeiten zu fragen – und den konkreten Vor- und Nachteilen gegenüber Alternativbehandlungen, die für sie mit Zusatzkosten verbunden wären.


 
Joao Rodrigues
 

„Aus zahnmedizinischer Sicht ist sogar von einer Entfernung intakter Füllungen abzusehen. “

João Rodrigues
Landesgeschäftsführer der Barmer in NRW

Mehr als 80 Prozent der Praxen in NRW gelten im Übrigen inzwischen als „amalgamfrei“. Das beweise, heißt es im Zahn-Report der Barmer, „dass viele Praxen proaktiv auf die bevorstehenden Änderungen“ reagiert hätten. Im Übrigen: Steckt laut Umweltschützern in einem normalen Thunfisch bis zu 40-mal soviel Amalgam wie in einer Zahnfüllung.