Wuppertal. Ein Mann soll für Privatfotos des früheren Formel 1-Rennfahrers 15 Millionen verlangt haben. Er hatte zwei Helfer. Zehn Zeugen sind geladen.

Wie geht es Michael Schumacher? Es ist eines der bestgehüteten Geheimnisse; nur wenige Menschen wissen, wie es um den ehemaligen Formel 1-Rennfahrer seit seinem schweren Skiunfall bestellt ist. Mindestens einige Ermittler und Juristen aber dürften jetzt Fotos und Details aus seiner Krankenakte kennen: Vor dem Amtsgericht Wuppertal läuft seit Dienstag der Erpressungsprozess gegen drei Männer, die versucht haben sollen, Hunderte Bilder und Videos von Schumacher vor nach dem Unglück zu Geld zu machen - für 15 Millionen Euro. 

Der 53-Jährige gibt zu, „Scheiße gebaut“ zu haben

Es ist nicht dazu gekommen. Die Polizei war schneller, der Hauptverdächtige „dilettantisch“, wie Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert sagt. Der 53-jährige Türke aus Wülfrath gibt am ersten Prozesstag zu, „Scheiße gebaut“ und „einen großen Fehler gemacht“ zu haben. Seinen mitangeklagten Sohn, der ihn zuvor mit zwei Küssen begrüßte, versucht er, aus der Sache herauszuhalten. Obwohl der selbst wenig später alles zugibt. 

Wahr sei, sagt der Vater: Mehrfach rief er Anfang Juni bei der Geschäftsführerin der Firma „Michael Schumacher Office“ auf deren Privathandy an, verlangte schließlich 15 Millionen Euro für zwei Festplatten voller Material. Andernfalls werde es im Darknet veröffentlicht. Zuvor, auch das gesteht der Mann, habe er bereits anderweitig versucht, die Daten zu versilbern. Nun sollte das Geld in zwei Tranchen über einen Rechtsanwalt der Schumachers gezahlt werden. 

Ein Jahr vor dem Unglück in den Alpen: Michael Schumacher und seine Ehefrau Corinna beim Sportpresseball in Frankfurt.
Ein Jahr vor dem Unglück in den Alpen: Michael Schumacher und seine Ehefrau Corinna beim Sportpresseball in Frankfurt. © dpa | Fredrik von Erichsen

Mit diesen soll er die Erpressung früh geplant haben, berichtete Anfang Dezember eine britische Zeitung: aus Rache, weil der Leibwächter nach Umstrukturierungen bei den Schumachers entlassen worden war. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat dazu indes bislang keine Erkenntnisse, das Tatmotiv liege allein in der Geldsumme, die abgepresst werden sollte.

Die Staatsanwaltschaft bestätigt, es sei um 500 Fotos und 583 Videos gegangen, beschafft von einem ehemaligen Mitarbeiter der Schumachers, der als Dritter im Bunde auf der Anklagebank sitzt. „Sehr sensible Daten“ auf einem blauen Datenträger, so viel wird nun doch bekannt, die den kranken, den „hilflosen und pflegebedürftigen“ Schumacher zeigen, im Krankenbett oder im Rollstuhl. „Sichtlich gezeichnet durch den Unfall.“ Der zweite Datenträger (schwarz) soll Pflegedaten enthalten, dieser allerdings ist bis heute verschwunden. Auch von einer Medikamentenliste ist im Prozess die Rede. 

„Keine besonders schlaue Idee, eine so prominente Familie zu erpressen“

Der 53-jährige Hauptangeklagte will es nicht „Erpressung“ nennen, er habe „nur ein bisschen Geld verdienen“ wollen. Die Staatsanwaltschaft nennt es genau so: Versuchter Erpressung in einem besonders schweren Fall habe sich der Mann schuldig gemacht. Und, so Sprecher Baumert: „Es war keine besonders schlaue Idee, eine so prominente Familie zu erpressen.“ Wie das Material dazu aber in seine Hände gelangte, ist strittig.  

Laut Anklage soll der Ex-Mitarbeiter der Schumachers die Daten kopiert und nach seiner Entlassung dem langjährigen Bekannten aus der Türsteher-Szene verkauft haben. „Ob man damit was machen“ könne, habe er den Komplizen gefragt.

Bei der Umsetzung habe schließlich der Sohn des mutmaßlichen Erpressers geholfen, indem er eine Mailadresse einrichtete, um Dateien zu verschicken: Schumachers Managerin hatte Beweise verlangt dafür, dass wirklich „Fotos von Michael“ im Umlauf seien, bestätigt Sabine Kehm im Zeugenstand. Beiden Männern wird Beihilfe zur Erpressung vorgeworfen, der damalige Leibwächter und IT-Beauftragte zudem wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten. 

Die Mailadresse allerdings war ein einfacher Gmx-Account, die ursprünglich genutzte Handynummer einfach nachzuverfolgen. Die Handschellen bei Vater und Sohn, die einen Anruf in der Schweiz sogar gefilmt hatten, klickten wenige Tage später, seit her sitzt der Ältere in Untersuchungshaft. Er belastete seinen Bekannten schwer. 

Das alte Gebäude des Wuppertaler Justizzentrums. Seit heute verhandelt das Schöffengericht im Fall der mutmaßlichen Erpressung.
Das alte Gebäude des Wuppertaler Justizzentrums. Seit heute verhandelt das Schöffengericht im Fall der mutmaßlichen Erpressung. © dpa | Jan-Philipp Strobel

Ehemaliger Leibwächter bestreitet die Vorwürfe

Der Wuppertaler allerdings erzählt vor Gericht eine ganz andere Geschichte. Der Deutsche sei bei den Schumachers eine Art „Mädchen für alles“ gewesen. Nach seiner unerwarteten Entlassung habe er seine Dienstwohnung räumen wollen. Dort habe auch die Kopierstation gestanden, mit der er im Auftrag von Corinna Schumacher Fotos digitalisieren sollte, „gerne und unentgeltlich“. Wo die Festplatte geblieben sei, wisse er nicht, wolle sich auch nicht „an Spekulationen beteiligen“. Die Vorwürfe seien „nicht zutreffend“, das alles lässt er seinen Anwalt erklären.  

Im Saal und auf dem Flur werden danach wilde Räuberpistolen abgeschossen. Von körperlichen Auseinandersetzungen unter Sicherheitsmännern ist die Rede, von einer berüchtigten Disco in Konstanz, wo die Angeklagten aufeinandergetroffen sein sollen. Von regelrechten „Geschäften“ mit den wertvollen Daten. Stimmt es, dass der Hauptangeklagte sogar eine Firma gründen wollte, um die wertvollen Daten zu vermarkten? Wieso stoppt einer der Verteidiger körperlich rüde ein Interview eines Familienmitglieds auf dem Flur, und warum zieht ein wichtiger Zeuge alle vorherigen Aussagen zurück?

In der Akte steht zudem der Name einer Krankenschwester, die mit dem ehemaligen Leibwächter befreundet und ebenfalls im Vorfeld der Erpressungsversuche entlassen worden sein soll. Wegen Problemen mit ihrer Pflege, sagt Managerin Kehm, „wir haben da unschöne Dinge gesehen“. Welche Rolle spielte diese Pflegerin, hatte sie die Daten an sich gebracht? Der Hauptangeklagte erzählt das so, er habe deshalb Anordnung gehabt, die Beute drei zu teilen. Die Krankenschwester ist für diesen ersten Prozesstag als Zeugin geladen, erscheint aber nicht. Inzwischen wird bekannt: Die Staatsanwaltschaft will die Vorwürfe gegen die Frau erneut überprüfen.

Anfragen aus Japan und England

Das Interesse an Antworten ist groß; bei Gericht und Staatsanwaltschaft gingen zuvor Anfragen aus England und Japan „und der ganzen Welt“ ein, die Pressebänke sind eng besetzt. Für die Familie Schumacher, die sich von zwei Rechtsanwälten als Nebenklägerin vertreten lässt, geht es vor allem um Vertrauen. „Das große Problem für die Familie“, sagt Managerin Sabine Kehm, „ist, wo zieht man die Grenze zwischen Vertrauen und Misstrauen?“ Sie selbst habe auch dem Angeklagten, einem „sehr netten und hilfsbereiten Menschen“, vertraut.  

Im Zeugenstand wirft Kehm einen kurzen Blick auf den nun Angeklagten im Kapuzenpulli. Und erzählt noch einmal, wie sie die Privatbilder erkannt habe, wie sie sofort Anzeige erstattete. Denn sie habe eine Absprache mit Corinna Schumacher: „Wir lassen uns niemals erpressen.“