Essen/Duisburg. Die Zahl der Einzelhändler, die Puppen, Brettspiele oder Holzspielsachen anbieten, sinkt. Ein Besuch bei ihnen ist wie eine Zeitreise.

Besuche bei den Großeltern liegen schon mehr als lange zurück. Es war in den frühen 1960er-Jahren. Wenn Oma meinte, wir seien besonders brav gewesen, führte sie uns den kurzen Weg vom Postplatz aus zu „Spielzeug Wolf“. Auch Jahrzehnte später sehe ich noch die drei abgetretenen Steinstufen und höre noch das fröhliche Gebimmel an der Tür, wenn man den Laden betrat. Spielzeug in Hülle und Fülle, an jeder Wand und in jeder Ecke. Hinter der Theke ein gutmütiger Mann mit großer Nase und feinem Lächeln hinter der Brille.

Gibt es solche Läden noch? Wenn ja, wie viele und wo? Und damit fängt die Fragerei erst an. Wir wollen auch wissen, wie es solchen Traditionsläden geht und wo es denn so hinläuft mit dem Spielzeug. Ja, es gibt sie noch, die über Generationen von Familien geführten Spielzeugläden, in denen sich Schachteln, Puppen, Bälle, Stofftiere, großes und kleines Glitzerzeug stapeln. Läden, die bei Kindern die Fantasie wecken, für eine ganze Nacht dort eingeschlossen zu sein. Viele sind es nicht mehr, in Deutschland kaum ein Dutzend. Ein paar davon haben ihr Überleben gesichert, indem sie ihr Angebot auf Erwachsene ausgeweitet haben und neben Spielen auch Lifestyle-Produkte verkaufen und/oder im Online-Handel aktiv geworden sind. Hier einige Fundstücke.

Loebner seit 1685 - das älteste Spielzeuggeschäft in Torgau

Ohne Ortswechsel und in zwölfter Generation wird in einem Handelshaus in Torgau seit 1685 Spielzeug verkauft. Ingo Loebner weist stolz darauf hin, dass er nicht nur Deutschlands ältestes Spielwarengeschäft führt, sondern, wie er es sieht, das älteste derartige Geschäft weltweit. Dass Hamley’s, seit 1760 in London, mit diesem Prädikat im Guinness Buch der Rekorde steht, ärgert ihn. Sei’s drum. Die Ahnengalerie im Treppenhaus der Loebners imponiert, und es klingt märchenhaft, wie der Laden in der Bäckerstraße von Torgau historische Herausforderungen gemeistert hat. Für das Geschäft waren nach Worten von Ingo Loebner die beiden Corona-Jahre „existenzgefährdender als die napoleonische Zeit, die Hitler-Jahre und die DDR mit ihren Schikanen zusammen.“

Der von den Nazis erzwungene Ariernachweis und die damit verbundene Recherche in den Kirchenbüchern und Archiven hat die lange Familientradition von „Spielwaren Carl Loebner“ erst zutage gefördert. So erfuhr man von einem Drechslermeister Christoph Löbner (damals noch mit „ö“), der 1685 in der Leipziger Thomaskirche heiratete, um im gleichen Jahr mit seiner Frau in Torgau Püppchen, Kreisel und Pfeifen zu drechseln und feilzubieten.

Was ehedem in Heimarbeit hergestellt wurde, kommt heute größtenteils aus China beziehungsweise Fernost. Der technische Teil des Vollsortiments, alles, was klingelt, brummt, flimmert und zappelt, ist Plastikware aus Fernost. Wertvolles Holzspielzeug, wie das vom Hersteller „Sina“ aus dem Erzgebirge oder auch Plüschtiere aus deutscher Produktion, verkaufen sich bei Loebner ebenfalls gut. Seinem Eindruck nach „... achten die Leute hier bei uns im Osten mehr auf Qualität und Beständigkeit des Spielzeugs. Von der Werbung angepriesene Sachen fragen unsere Kunden weniger nach, weil deren Wertigkeit den Leuten hier geringer erscheint.“

Das oft diskutierte Indianer-Thema lassen die meisten Kunden bei Loebner unbeachtet, die Burgen mit den Ritterfiguren, Modelleisenbahnen und Spielzeugindianer sind nach wie vor beliebt. Als aktuelle Renner beschreibt Ingo Loebner Plüschtiere und Gesellschaftsspiele. Die alte Leier des „Handelskillers Internet“ stimmt er nicht an. Dass auf Amazon viel Spielzeug gekauft wird, macht sich Loebner zunutze und bietet auf „Amazon-Spielwaren-Loebner“ ca. 50.000 Artikel an. Seine Mitarbeiterinnen im Lager verpacken derzeit durchschnittlich 1.000 Bestellungen pro Tag.

Roskothen seit 1882 in Duisburg

König der Brettspiele

1879 in Hattingen von einem Roskothen gegründet und seit 1882 in Duisburg präsent, ist Spielwaren Roskothen bis heute eine beliebte Adresse. Geschäftsführer Boris Roskothen erläutert, wie er in dem Traditionsgeschäft ein zeitgemäßes Unternehmenskonzept erfolgreich gemacht hat. Mit dem Claim „Die Kunst zu spielen“ spricht er Jung und Alt an. Seine Idee heißt „Concept Store“ und begreift den Laden als Ort, an dem sich eine bestimmte Kundengruppe unabhängig vom Lebensalter wohlfühlt, weil es hier für alle etwas gibt. Den Kern bilden Spielwaren und dabei viele Brettspiele. Sie machen etwa sechzig Prozent des Sortiments aus. Dabei hat sich Roskothen als Initiator regelmäßiger Spieleabende in einem Duisburger Café für ein großes Publikum zu einem aktiven Partner rund das Thema „Brettspiele“ gemacht. Auch die große Galerie des Ladens ist mit Spieltischen möbliert, an denen ausprobiert werden kann. Überhaupt ist das Geschäft in Architektur, Einrichtung und Warenpräsentation weniger an Kindern orientiert als am Wohlfühlambiente eines Lofts. Passend zur Geschäftsphilosophie gibt es hier auch viel Holzspielzeug und wenig elektronisches Gedöns, viel wertiges Material und wenig Plastik. Die starke persönliche Identifizierung des Publikums mit dem Ort und dem Habitus dieses Ladens macht es gut nachvollziehbar, dass der Internetvertrieb für Roskothen keine große Rolle spielt. Das Netz dient hier vor allem der Kundenkommunikation. Können gutes Spielzeug und Wirtschaftlichkeit für den Handel zusammenkommen? Boris Roskothen: „Ja, wenn man es richtig macht. Wir tun es.“

„Wirth der Kinderladen“ seit 1925 in Mainz

Hohe Ansprüche werden belohnt

Der hundertste Geburtstag des 1925 gegründeten Kinderladens Wirth in Mainz ist nah. Die Brüder Christoph und Friedrich Demmler führen diesen Familienbetrieb in vierter Generation. Das große Eckhaus in der Mainzer Innenstadt bietet auf 2.000 qm Verkaufsfläche von Babyartikeln bis zu Modellbahnen und Gesellschaftsspielen ein großes Sortiment und 30 Mitarbeiter/innen einen Arbeitsplatz.

Friedrich Demmler greift die Aussage von Boris Roskothen zur Wirtschaftlichkeit guten Spielzeugs auf. Auch er zeigt sich zuversichtlich, sieht es aber als Erfolgsvoraussetzung, „... dass man sich bei gutem Spielzeug nicht auf Gewinn- und Umsatzmaximierung festlegt.“ Außerdem müsse gerade hinsichtlich guten Spielzeugs die Kooperation zwischen Produzenten, Großhandel und Handel verbessert werden. In dem Mainzer Laden lässt man TV-beworbenes Spielzeug weitgehend außen vor. Es sei „... durch seine soziale Niedrigschwelligkeit oft banal und vergleichbar mit in den Spielebereich transferiertem Fastfood“.

Die Brüder Demmler haben sich einen großen Kundenkreis erschlossen, in dem Erwachsene und Kinder das Shopping-Erlebnis genießen, sich mit den Produkten beschäftigen, diskutieren und die Qualität schätzen. „Abgreiftouren“, bei denen Kinder ihre Geburtstagskörbe hastig und raffgierig vollstopfen, gibt es bei Wirth nicht. Warum sich in den großen Verkaufsräumen nur einige wenige Barbie-Puppen verlieren, beantwortet Friedrich Demmler knapp: „...weil wir sinnvollere Alternativen anbieten können.“ Auch in Mainz registriert man den Boom der Gesellschafts- und Brettspiele, allerdings moniert Demmler diesbezüglich ein „Zuviel des Guten“. Bei circa 4.000 Spielen auf dem deutschsprachigen Markt und jährlich mehr als 400 Neuerscheinungen sei man in ein kaum durchschaubares Wirrwarr geraten, was eine gute Beratung sehr erschwere. Zu einem Magneten hatten sich vor Corona im Wirth-Kinderladen die sogenannten TCG-Spiele (Trading Card Games/Sammelkartenspiele) entwickelt. Mit entsprechenden Turnieren und Events eines TCG-Spielclubs hatte der Laden eine große Fangemeinde versammelt aber durch Corona und die stark eingeschränkten Präsensmöglichkeiten großenteils wieder verloren. Andere Sammelbereiche, besonders Modellautos, zählt Friedrich Demmler zu den Spielwaren, die bald verschwunden sein dürften. Schon jetzt nicht mehr nachgefragt seien Telespiele mit Konsolen. Aufstieg und Fall des Herstellers „Atari“ spiegele diese Entwicklung wider.

Das Thema „Fairtrade“ erlebt Friedrich Demmler als „sehr schwierig“. Bisher wartet er mit anderen Händlern vergeblich darauf, dass die Nürnberger Spielwarenmesse als weltweit führende Leitmesse klare Filter setzt, um Fairtrade-Spielzeug von unfair hergestelltem Spielzeug vor den Augen des Messepublikums deutlich zu trennen.

Spielwaren Schweiger seit 1896 in Nürnberg

Die Rolle des Internets gedreht

Eine 16 bis 18 Meter lange Wand, an der sich ausschließlich Kartons mit Puzzle stapeln, sagt etwas über die Größe dieses Spielzeuggeschäfts aus: 1.500 qm Verkaufsfläche im Nürnberger Osten. Auch die Riesenauswahl an Puzzles spiegelt einen Trend wider, der mit Corona einsetzte und nach Meinung von Klaus Müller absehbar kein Ende hat: „Puzzles und Brettspiele sind gerade die absoluten Renner“. Der Inhaber, dessen Mutter vor Heirat noch den Gründungsnamen „Schweiger“ trug, ist ein Spielzeug-Enthusiast und führt das Geschäft seit 1986 in vierter Generation.

Er erwähnt auch den Dauerbrenner „Lego“. Große Abnahmevolumina erlauben ihm das Aussparen des Zwischenhandels und deshalb auch eine akzeptable Wirtschaftlichkeit beim Verkauf. Kleinere Geschäfte hingegen haben mit den geringen Margen der Lego-Gruppe ihre Probleme.

Gehen bei Lego die Verkaufszahlen auf hohem Niveau weiter nach oben, so gehören – zumindest bei Spielwaren Schweiger – einige andere vormalige Klassiker inzwischen zu den Verlierern. Klaus Müller: „Eisenbahnen von Märklin und Fleischmann waren mal der Hit, heute fragen kaum noch Kunden danach. Gleiches gilt für Ritterburgen und Ritterfiguren.“

Militärspielzeug hingegen verkaufe sich wie warme Semmeln. Bausätze des polnischen Herstellers „Cobi“ mit Panzern, Militärhubschraubern oder Kriegsschiffen würden dabei besonders gern genommen. Die Rolle des Internets hat sich bei Spielwaren Schweiger deutlich gewandelt. Klaus Müller: „Wir nutzen das Internet seit 1990. Anfangs war es ein Schreckgespenst im Preiskampf. Die Leute haben sich bei uns erkundigt und im Netz gekauft. Inzwischen erleben wir es zunehmend umgekehrt: Die Leute informieren sich gut und genau im Netz, was uns Beratungsarbeit spart, kaufen dann aber bei uns, weil sie sehen, was sie kaufen.“

Mit seinem Vollsortiment von mehr als 30.000 vorrätigen Produkten achtet Müller zwar auf die Umsetzung eines hohen Qualitätsanspruchs, muss aber gleichzeitig Konzessionen machen, wenn es um den Einbezug von Fernost-Produktionen geht. So finden sich hier alle namhaften Hersteller von Holzspielzeug, gleichzeitig aber auch große Stapel an „Carrera-Zubehör“ und eine Parade an Barbie-Puppen, beides in China produziert.

Dass in China rund 80 Prozent aller weltweit gehandelten Spielwaren hergestellt werden, bringt auch Klaus Müller zum Grübeln: „Wir können auf Produkte aus Fernost nicht verzichten, weil sie von den Kunden nachgefragt werden. Damit verbindet sich natürlich ein Unbehagen, denn die Produktionsbedingungen in Fernost mit Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitskräften sind ja bekannt.“

Fairtrade hält er deshalb für wichtig, aber noch von geringer Wirkkraft, da sich geforderte Lieferkettennachweise oft nicht erstellen ließen. Eine interessante Initiative stellt in diesem Zusammenhang die 2020 gegründete „Fair Toys Organisation“ (FTO) dar. Von Bundesmitteln finanziert und von Kirchen, Menschenrechtsgruppen, Kommunen und Wissenschaftseinrichtungen ins Leben gerufen, setzt sich die FTO für faire Herstellungsbedingungen in der Spielwarenproduktion ein. Der Gütesiegel „Fair Toys“ wird vergeben, wenn Unternehmen sich freiwillig einer entsprechenden Prüfung unterziehen und dabei positive Bewertungen erhalten.

Viele machen dicht

Gemäß einer Veröffentlichung von Statista vom März 2023 ist die Zahl von Einzelhändlern mit Spielwaren in Deutschland von 3.928 im Jahr 2002 auf 2.511 im Jahr 2021 gefallen. Gründe für die kontinuierlichen Schließungen: Viele Hersteller umgehen den Fachhandel und verkaufen ihre Produkte zunehmend über andere Kanäle. Amazon zählt ebenso dazu wie Kaufhäuser oder Drogeriemärkte. Lego hat in deutschen Innenstädten eine Kette mit eigenen „Lego-Stores“ aufgebaut. Ein Faktor sei auch der stabile Trend der Kinder, verstärkt zum Smartphone und weniger zum Spielzeug zu greifen. Außerdem seien die hohen Mieten in den Innenstädten für Spielwarenläden oft nicht mehr zu bezahlen, auch deshalb, weil große Sortimente mit kleinen Margen die Rendite sehr schmal hielten. Bisweilen schließen traditionsreiche familiengeführte Geschäfte auch deshalb, weil sich innerhalb und außerhalb der Familie keine Nachfolger fänden. Oft lassen solche Schließungen traurige Kinder und Eltern zurück. So war es auch beim Ende des „Kinderparadies Witte“, das jetzt im Herbst nach 133 Jahren als Familienbetrieb Schluss gemacht hat. Carmen Witte, die letzte gute Fee im Laden, hielt beliebten Mitarbeiterinnen auch dann die Treue, wenn sie die 80 überschritten hatten. Sie hielt bis zuletzt an Traditionsspielzeug fest: die Strickliesel, die Holzeisenbahn oder das Steckenpferd gehörten dazu. Dabei war sie Trends und neuen technischen Möglichkeiten des stationären Handels gegenüber aufgeschlossen. Trotzdem musste sich Ihr Spielzeugladen nach ewig langem Bestand nun in den Niedergang besitzergeführter Einzelhandelsgeschäfte in Klein- und Mittelstädten einreihen.

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