Essen/Bonn. Wieder wird ein traditionelles Angebot der Telekom eingestellt. Es ist nicht das Erste, es wird nicht das Letzte bleiben.

11833. Kennen Sie diese Telefonnummer noch? Nein? Macht nichts. Von 1. Dezember dieses Jahres an hebt dort ohnehin niemand mehr ab. Die Telekom schließt ihre Auskunft. Inland wie Ausland. Den Weckdienst übrigens auch. Für immer. Lohnt sich nicht, heißt es. Ist jedenfalls „nicht kostendeckend“.

Früher gab es über eine halbe Milliarde Anrufe im Jahr

Das ist vor 30 Jahren ganz anders. Das „Fräulein vom Amt“ gibt es dank fortschreitender Technik zwar seit Mitte der 60er Jahre nicht mehr, aber die Auskunft erfreut sich trotz Selbstwahlmöglichkeit großer Beliebtheit. 550 Millionen Anrufe gehen 1995 bei ihr ein. Mit teilweise sonderbaren Wünschen. „Ich möchte bitte eine Telefonnummer in Stanton“, sagt ein Anrufer. Ein anderer deutet das Wort Telefonauskunft anders als gedacht und will wissen: „Kann ich mit einem aufklappbaren Handy ins Ausland telefonieren?“

Bis 1966 wurden Telefongespräche in manchen Regionen noch per Hand vermittelt. Zwei Beamtinnen sitzen in der letzten Handvermittlungsstelle der Bundespost im Postamt Uetze.
Bis 1966 wurden Telefongespräche in manchen Regionen noch per Hand vermittelt. Zwei Beamtinnen sitzen in der letzten Handvermittlungsstelle der Bundespost im Postamt Uetze. © dpa | Hans Heckmann

Die Männer und Frauen unter der 11833 können alle Fragen beantworten. Weil sie wissen, dass Stanton eigentlich das österreichische Ski-Gebiet St. Anton ist und die Konstruktion eines Handys keinen Einfluss auf die Fähigkeit hat, über Grenzen zu telefonieren. Und wenn sich mal jemand mit den Worten meldet „Guten Tag. Ich habe gestern eine Urinprobe bei Ihnen abgegeben …“ ist sofort klar. Falsch verbunden. „Ihr Hausarzt hat die Nummer…“

Trotzdem geht es seit Ende der 1990er Jahre bergab. Jedes Jahr rufen im Schnitt 20 Prozent weniger Menschen an. Zuletzt liegt die Zahl der Anrufe bei deutlich unter zwei Millionen im Jahr. Ein Rückgang von mehr als 99,6 Prozent in knapp 30 Jahren. „Das Angebot ist aus der Zeit gefallen”, sagt Thomas Zähringer, Experte für Auskunftsdienste bei der Telekom. „Lassen Sie uns mal den Selbsttest machen: Wann haben Sie zuletzt bei der Auskunft angerufen?”, fragt er. Ist eher rhetorisch, diese Frage. Denn deutlich mehr als 80 Prozent der Deutschen nutzen heute ein Smartphone – über alle Altersgruppen hinweg. Dazu kommen Notebooks, PCs und Tablets – und alle öffnen das Tor zum Internet. Warum also eine Nummer wählen, die pro Anruf knapp zwei Euro kostet?

Früher allgegenwärtig, mittlerweile verschwunden: Die klassische Telefonzelle.
Früher allgegenwärtig, mittlerweile verschwunden: Die klassische Telefonzelle. © picture-alliance / dpa | Jörg Schmitt

Die Auskunft ist nicht der erste Telekom-Service, dem das Internet den Todesstoß versetzt. Das wohl prominenteste Opfer ist die Telefonzelle. Am 21. November 2022 wird per Fernwartung die Münzannahme deaktiviert, bis Ende Januar 2023 kann man noch Telefonkarten nutzen.

„Hey, andere wollen auch mal telefonieren.“

Wer in den 60er und 70er Jahren groß geworden ist, der ist mit diesen Zellen aufgewachsen. Weil sie damals in jeder Ecke der Stadt stehen. Groß und gelb sind sie. Im Sommer zu heiß, im Winter sehr feucht und oft streng riechend. Mit schwergängigen Türen und in der rechten Ecke montierten Telefonbüchern, die sich gut als Sitzgelegenheit missbrauchen lassen. Vorausgesetzt, man hat genügend Kleingeld oder – seit den 1990ern – eben eine Telefonkarte. Und dann auch nur so lange, bis während des Gesprächs das Guthaben ausgeht – ein Warnton kommt, ein Fluch folgt und die Verbindung zu Freund oder Freundin gnadenlos gekappt wird. Oder bis jemand mit der Faust genervt an die Scheibe klopft und so etwas sagte wie: „Hey, andere wollen auch mal telefonieren.“

Gab es in Deutschland einst etwa 160.000 Telefonzellen, sind es kurz vor der Einstellung noch rund 12.000 Fernsprecher. Die wenigsten davon sind in einer Zelle, noch weniger in einer, die gelb ist. Wozu auch, wo es in diesem Land mittlerweile mehr Handys gibt als Menschen. Telefoniert wird mobil und die früher gerne gestellte Frage „Was machst du gerade?“, ist längst durch „Wo bist du gerade?“ ersetzt worden. Gefällt einem die Antwort nicht, kann man bei einem Smart-Phone allerdings, anders als früher, nicht mehr wütend den Hörer auf die Gabel knallen.

Ein Bild aus dem Jahr 1991: Damals wurden noch viele Telegramme verschickt.
Ein Bild aus dem Jahr 1991: Damals wurden noch viele Telegramme verschickt. © dpa | Heinz Hirndorf

Dafür muss man sich keine Nummer mehr merken. Macht alles das Handy. Das klassische, dicke Telefonbuch ist deshalb auch nur noch in amerikanischen Krimis zu sehen – meist, wenn raue Polizisten verbotswidrig damit Verdächtige beim Verhör malträtieren und besorgte Vorgesetzte beruhigen: „Hinterlässt keine Spuren.“ In Deutschland gibt es meistens nur noch „Das Örtliche“. So dünn ist es, dass man mutmaßlichen Kriminellen damit höchstens Luft zufächeln kann – in der Hoffnung, dass sie sich erkälten. Es geht aber auch ganz ohne Telefonbücher, wie ein Blick in andere Länder zeigt. Die Schweizer und Niederländer haben schon lange keine mehr. Beschwerden aus der Bevölkerung, so heißt es, habe es deshalb nicht gegeben.

Bezahlt wird nach Worten

Was gerne vergessen wird: Auch das Telegramm kann man nicht mehr versenden. Schon seit dem 31. Dezember 2000 befördert die Deutsche Telekom keine mehr über die Grenzen Deutschlands. Der Übertragungsweg sei „technisch überholt“, heißt es damals. Aber auch zwischen Kiel und Konstanz verschickt in den Jahren danach kaum noch jemand eine dieser Kurznachrichten. Ende der 1970er-Jahre ist auch das noch anders. Da stellt die Post rund 13 Millionen Telegramme zu. Schneller als einen Brief, aber schon damals viel langsamer als ein Telefongespräch und mit einem ganz eigenen Stil. Weil nach Worten bezahlt werden muss, steht da etwa „ankomme Freitag, 15 Uhr“ statt. „Ich komme am Freitag um 15 Uhr an.“ Wer heute so schreibt, heißt entweder „Yoda“ oder macht sich einen Spaß, um einem Freund oder Verwandten zu gratulieren oder ihn/sie zu grüßen.

Die alte Zeitansage-Maschine aus dem Telefonmuseum Bochum. Von einem Tonband erklang die aufgenommene Stimme einer Frau, die die genaue Uhrzeit ansagte.
Die alte Zeitansage-Maschine aus dem Telefonmuseum Bochum. Von einem Tonband erklang die aufgenommene Stimme einer Frau, die die genaue Uhrzeit ansagte. © WAZ FotoPool

So wie die 3228 Kunden, die am 31. Dezember 2022 die letzte Gelegenheit nutzen, innerhalb Deutschlands ganz nostalgisch ein Telegramm zu versenden. Zum Vergleich: In den Vorjahren werden zwischen 200 und 300 Telegramme pro Monat verschickt. 160 Zeichen, die im günstigsten Fall 12,57 Euro kosten. „Selbst als Nischenprodukt ist das mittlerweile zu klein. Deshalb nehmen wir es vom Markt“, begründet die Telekom damals die Einstellung.

Einen Service gibt es immer noch

Alles weg also, nur eines ist geblieben. Und zwar etwas, auf das man nicht sofort kommt. Wählt man die 0180 4 100 100 gelangt man immer noch zur Zeitansage. Die kostet allerdings Geld. Aber das hat sie immer schon. Was von den 1960er bis in die 1980er Jahre rund 600.000 Menschen täglich nicht davon abgehalten hat, sie damals noch unter 119, anzurufen. Das machte sie nicht nur zur meistgewählten Telefonnummer des Landes, sondern bescherte dem Telekom-Vorläufer „Deutsche Bundespost“ jedes Jahr Einnahmen von rund 50 Millionen Mark.

Heute wird die Zeitansage (20 Cent aus dem Festnetz) laut Telekom an normalen Tagen „viele hundertmal“ angerufen. Drei Tage allerdings sind Ausreißer nach oben. Dazu gehören die beiden Nächte Ende März und Oktober, in denen die Uhr um eine Stunde umgestellt wird. An einem Abend aber gehen so viele Anrufe ein, wie sonst in einem Monat. Zum Jahreswechsel am 31. Dezember wollen viele Deutsche offenbar ganz pünktlich anstoßen. „Beim nächsten Ton ist es 11 Uhr 59 Minuten und 50 Sekunden.“ Piep.

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