Berlin/Essen. Die Ex-Koalitionäre werden nicht müde, sich gegenseitig die Schuld am Bruch zu geben. Das ist so sinnlos wie gefährlich. Eine Analyse.

Nun sind sie bei der SPD wieder ganz empört. Matthias Miersch, der Generalsekretär der Partei, wittert „politischen Betrug auf Kosten der gesamten Republik“ bei der FDP, mit der die Sozialdemokraten noch bis vor kurzem gemeinsam in der Regierung saßen. Und SPD-Co-Chefin Saskia Esken wettert, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und seine Partei insgesamt hätten sich „auf Kosten des Landes als politische Kraft disqualifiziert“.

Der Hintergrund: Laut Recherchen von „Süddeutsche Zeitung“ und „Zeit“ soll sich die FDP schon seit Ende September auf ein Ende der Ampel-Koalition vorbereitet haben. In mehreren Treffen, so heißt es in den Berichten, seien verschiedene Szenarien durchgespielt worden. Teilgenommen hätten unter anderen die damaligen FDP-Minister. Von einem „Drehbuch“ ist die Rede. Die „Zeit“ beruft sich auf Schilderungen mehrerer Personen, die mit den Vorgängen vertraut seien. Zudem habe die Redaktion Dokumente eingesehen, die in diesen Wochen entstanden seien.

Christian Lindners „Scheidungspapier“ für die Koalition

Die Aufregung bei den Sozialdemokraten über die Berichte ist ebenso scheinheilig wie die Vorwürfe führender Liberalen, SPD-Kanzler Olaf Scholz habe seinerseits hinterrücks den Rauswurf seines Finanzministers Lindner vorbereitet und medienwirksam inszeniert. Und die Beteuerung der Liberalen, man habe doch gleichsam bis zum letzten Atemzug um den Erhalt der Regierung gekämpft, ist nicht minder scheinheilig – um dies zu erkennen, genügt ein Blick in das 18-seitige „Scheidungspapier“, das Anfang November wie zufällig an die Öffentlichkeit kam.

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Dieses peinliche Empörungstheater, das Sozialdemokraten und Liberale seit dem Ende der Koalitions aufführen, ist komplett sinnfrei. War doch seit Wochen und seit Monaten erkennbar, dass sich die Gemeinsamkeiten der drei Parteien in der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“ verbraucht hatten. Man hatte sich dermaßen ineinander verhalt, dass ein Befreiungsschlag nicht mehr möglich war.

Dass sich an solch einem Punkt alle Seiten auch Gedanken darüber machen, ob und wie man das politische Trauerspiel zu einem vorzeitigen Ende bringen könnte, ist wenig überraschend. Deshalb sind die gegenseitigen Vorwürfe, wer nun zuerst wie was geplant hat, komplett überflüssig (was übrigens in gleicher Weise für die hämischen Kommentare aus den Reihen der Union gilt).

AfD und BSW reiben sich die Hände

Man könnte dies alles abtun als Auftakt zum Wahlkampf im Hinblick auf die Neuwahlen am 23. Februar. Da werde eben auch mal geholzt, könnte man achselzuckend sagen. Doch so einfach ist es nicht. Denn das Schwarze-Peter-Spiel der Ex-Koalitionäre dürfte auf viele Bürgerinnen und Bürger, die sich ohnehin schon immer öfter angewidert vom Berliner Polit-Betrieb abwenden, die Politikverdrossenheit weiter befördern. Damit spielt man den Populisten perfekt in die Karten. Bei AfD und BSW muss man sich nur genüsslich zurücklehnen und mit dem Finger auf die bürgerlichen Parteien zeigen, die sich mal wieder als unfähig und heillos zerstritten präsentieren.

Es sind nicht einmal mehr 100 Tage bis zur Wahl. Höchste Zeit, dass SPD, FDP, Grüne und auch CDU/CSU Schluss machen mit dem Empörungstheater und sich stattdessen darauf verlegen, den Wählerinnen und Wählern aufzuzeigen, mit welchem Konzept sie das Land aus der Krise führen wollen. Das wäre doch mal was.

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