Essen. Pferde auf Umzügen: Tradition oder nicht mehr zeitgemäß? Die Reiterliche Vereinigung befürwortet den Einsatz. Diese Gefahr sehen Gegner.
„Laterne, Laterne…“ – wenn Kinder und Erwachsene auf leuchtenden Umzügen den Martinstag feiern, gehört Sankt Martin auf seinem Pferd traditionell zum Bild. Doch der Einsatz von Tieren bei solchen Veranstaltungen löst immer wieder Diskussionen aus. Tierschützerinnen und Tierschützer kritisieren, dass Pferde durch stressige Situationen mit Lichtern und Lärm stark belastet werden.
Auch in der Karnevalszeit entbrennt die Debatte jedes Jahr aufs Neue, nicht zuletzt durch einige Unfälle. Beim Kölner Rosenmontagszug 2018 beispielsweise gingen Pferde durch, die vor eine Kutsche gespannt waren und verletzten dabei fünf Menschen, vier davon schwer. Im Sommer 2022 kollabierte ein Pferd beim Schützenumzug in Düsseldorf und starb an Herzschwäche. Wie zeitgemäß ist die Nutzung von Pferden bei Umzügen noch? Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) spricht sich klar für den Einsatz aus, im Gegensatz zum Landestierschutzverband.
Reiterin zu Sankt Martin: „Karnevals- und Martinsumzüge sind für Pferde etwas komplett verschiedenes“
Eine Reiterin aus Gelsenkirchen nimmt jedes Jahr mit ihren Pferden an Martinsumzügen teil. Am 16. November wird Melanie Braun mit ihrem Pferd „Lady“ nach Bulmke kommen. Als der beliebte Martinsumzug auszufallen drohte, zögerte die 41-Jährige nicht: „Da springe ich ein.“ Braun, deren Pferde an der Gelsenkirchener Trabrennbahn stehen, ist fast jedes Jahr bei Sankt-Martins-Umzügen dabei. Eines stellt sie jedoch klar: „Karnevalsumzüge kommen für mich nicht infrage. Da ziehe ich eine klare Grenze.“
Im Karneval, so Braun, herrschen andere Bedingungen. Die Veranstaltungen seien in der Regel größer und lauter, zudem werde Alkohol konsumiert. „Die Gefahr ist groß, dass Pferde beworfen werden oder sich im Gedränge gestresst fühlen und durchdrehen“, erklärt sie. Dies sei gefährlich für die Menschen und auch eine Belastung für die Pferde. „Pferde sind Fluchttiere – das darf in der Debatte nicht vergessen werden“, betont sie. Für sie ist klar: „Karnevalsumzüge sind tierschutzrechtlich bedenklich, das würde ich meinen Pferden nicht antun.“
„Karnevalsumzüge sind tierschutzrechtlich bedenklich, das würde ich meinen Pferden nicht antun.“
Martinsumzüge hingegen seien viel kleiner und ruhiger, sagt Braun, die auf Veranstaltungen zwischen 100 und 3.000 Teilnehmenden aufgetreten ist. Der entscheidende Unterschied sei die Größe der Veranstaltung und das Publikum. „Auf Martinsumzügen freuen sich Familien mit Kindern, die stolz ihre selbstgebastelten Laternen präsentieren.“ Die 41-Jährige ist überzeugt: „Für Kinder ist es wichtig, dass sie so den Kontakt zu Pferden erleben können.“
Sie betont: „Vertrauen und Vorbereitung sind das A und O.“ Regelmäßiges Training und Gewöhnung an verschiedene Situationen seien unerlässlich. Solange das Wohl des Pferdes im Vordergrund stehe, sehe sie keinen Grund, die Tradition aufzugeben. Allerdings, so Braun, sei „nicht jedes Pferd dafür geeignet.“ Ein erfahrener Reiter mit Ruhe und realistischer Selbsteinschätzung sei ebenso wichtig. Ihre Pferde seien so trainiert, dass sogar Blaskapellen und Feuer sie nicht stören. „Man muss in jeder Situation auf das Pferd hören – es sind schließlich Lebewesen. Das gelingt nur, wenn man sein Pferd gut kennt.“
Landestierschutzverband: „Tiere auf Umzügen sind überflüssig und es geht anders“
Der Landestierschutzverband NRW lehnt den Einsatz von Pferden auf Umzügen ab. Ralf Unna, Vizepräsident des Verbands und Tierarzt, erklärt: „Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Nutzung von Tieren.“ Pferde müssten auf Umzügen aber mit vielen Stressfaktoren umgehen: „Bei einem Martinsumzug muss das Pferd als Herdentier daran gewöhnt sein, allein geritten zu werden, im Dunkeln und inmitten einer Menschenmenge zu bleiben und mit Lärm oder Feuer zurechtzukommen.“
Beim Karneval kämen noch größere Menschenmassen und viel Lärm hinzu. Entscheidend sei, dass die Pferde für solche Veranstaltungen entsprechend trainiert sein müssten, um den Belastungen standzuhalten. „Praktisch alle Pferde sind für solche Extremsituationen eben nicht vorbereitet“, sagt Unna. „Man setzt die Pferde auf solchen Veranstaltungen einer völlig unnötigen Stressbelastung aus und es geht ja auch anders.“ Unna verweist auf den Bonner Rosenmontagsumzug, der in den letzten Jahren ohne Pferde stattgefunden hat.
Ein anderer Punkt sei die Gefahr für umstehende Menschen. „Geht ein Pferd durch, dann achtet es nicht mehr darauf, wer da steht“, sagt der Tierarzt. „Rennt es dann in eine Menschenmenge, dann kann es zu schweren Verletzungen kommen, mal davon abgesehen, was das für einen Stress bei dem Pferd auslöst.“ Ausnahme sei der Einsatz von Polizeipferden auf Großveranstaltungen, die speziell darauf trainiert werden und denen man unter gewissen Grundvoraussetzungen diese Leistung abverlangen könne.
Reiterliche Vereinigung befürwortet den Einsatz
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) befürwortet dagegen die Nutzung von Pferden bei „Brauchtumsveranstaltungen, kulturellen, gesellschaftlichen und kirchlichen, regionalen oder kommunalen Festen – sofern die Tiere, ebenso wie Reiter und Fahrer, angemessen auf ihren Einsatz vorbereitet und dafür qualifiziert sind“. Es heißt unter anderem: „Bei der Auswahl der Pferde für die einzelnen Anlässe beachten die Reiter und Fahrer, dass nur gesunde Tiere mit einem ausgeglichenen Wesen für Festumzüge geeignet sind.“
Vor den Einsätzen der Pferde müsse eine entsprechende Vorbereitung und Ausbildung stattfinden. Für den Einsatz im Karneval gebe es zusätzliche „Leitlinien zum Umgang mit Pferden im Karneval“, die das Umweltministerium gemeinsam mit der FN entwickelt hat und in denen klare Anforderungen festgelegt sind.
- Martinspferd statt Rennbahn: Carlchen ist der Star in Velbert
- St. Martin 2024 – das sind die schönsten Martinszüge in NRW
- Rosenmontag in Duisburg: Umzug findet 2023 ohne Pferde statt
- NRW-Innenminister Reul: Karneval ohne Pferde „ist Mist“
Laut FN sind unter anderem Martinsumzüge eine gesellschaftliche Bereicherung, da sie tief verwurzeltes religiöses Brauchtum wiederbeleben und den Zusammenhalt sowie den Tourismus fördern. Auf die Frage, wie die Gefahr für Besucherinnen und Besucher einzuschätzen ist, wenn ein Pferd doch mal durchgeht, heißt es: „Es sind von den Organisatoren stets Notfallpläne detailliert auszuarbeiten und einzuhalten.“