Rheda-Wiedenbrück. Sie ist eine der wenigen Köchinnen, die von Michelin ausgezeichnet wurden. Dahinter steckt harte Arbeit. Ein Besuch in ihrem Lokal in Westfalen.

Sie sind in Deutschland eine wahre Rarität: die Sterne-Köchinnen. Über 340 Restaurants leuchten in diesem Jahr Michelin-Sterne. In den Küchen haben die Herren der Schöpfung das Zepter in der Hand, bis auf wenige Ausnahmen – ganz wenige. Nur 14 Frauen führen Regie in der Spitzengastronomie. „Bravo“, sagt Iris Bettinger, eine von ihnen. „Das sind ja schon viel mehr als zu meiner Lehrzeit.“ Die 49-Jährige ist Chefin im Reuter im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück.

Die zehn Drei-Sterne-Restaurants sind eine lupenreine Männerdomäne. In den 50 mit zwei Sternen dekorierten Gourmet-Tempeln brechen Rosina Ostler im Alois-Dallmayr Fine Dining in München und Douce Steiner im Hirschen in Sulzburg die Phalanx. Obwohl laut dem Mikrozensus 2022 rund 285.000 Köchinnen und 249.000 Köche an professionellen Herden standen, präsentiert die Welt der Spitzengastronomie ein anderes Menü. Dort herrscht eindeutig das männliche Geschlecht. Was hält Frauen davon ab, die oberste Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen?

Der Job ist kein Zuckerschlecken

„Die Arbeitszeiten auf jeden Fall, der raue Ton, der häufig noch in Küchen herrscht, das männliche Imponiergehabe. Ein ganz wichtiger Punkt: die Familienplanung“, nennt Iris Bettinger einige Gründe. Auch sie habe, wie viele andere Frauen in Top-Positionen, die Entscheidung zwischen Karriere und Kinder fällen müssen. Ihren Entschluss hat sie nie bereut, obwohl die berufliche Laufbahn so nicht geplant war. Eigentlich wollte sie Lebensmitteltechnologie studieren. Die Wartezeit füllte sie mit einer Ausbildung zur Köchin im renommierten Freiburger Hotel Colombi.

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„Das war wirklich extrem harte Arbeit, die von Frauen körperlich teilweise gar nicht zu schaffen war“, erinnert sich Bettinger und erzählt: „Im Laufe des Tages wurden große Knochen mit weiteren Zutaten in einem riesigen Topf für Jus gekocht. Am nächsten Morgen musste dann einer der Lehrlinge die Knochen da wieder herausfischen. Für uns Frauen kaum machbar. Heute gibt es in der Küche zahlreiche technische Hilfsmittel. Kein Vergleich zu damals.“

Auch nach der Ausbildung war der Job in der Küche alles andere als ein Zuckerschlecken. In Frankreich machte Iris Bettinger die Erfahrung, dass man ihr als Frau einfach nichts zutraute, sie versuchte, ins Abseits zu stellen. „Ihr könnt ruhig über mich reden. Ich spreche Französisch und verstehe euch, hab ich zu denen gesagt.“ Das zeigte Wirkung. „Wenn man sich durchboxt, wird man auch anerkannt.“

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Heute ist Iris Bettinger in der Spitzengastronomie angekommen. Im Reuter, seit 1894 im Familienbesitz, begeistert sie seit 2007 ihre Gäste mit kreativer Kulinarik. Sie verbindet französische Klassiker mit regionalen Spezialitäten, lässt mediterrane und asiatische Komponenten einfließen. Zweimal in der Woche kauft sie in Kochjacke auf dem örtlichen Wochenmarkt Obst und Gemüse ein. Das Fleisch liefert ein regionaler Bauer. 2013 belohnten die Restaurantkritiker vom Guide Michelin zum ersten Mal ihre Kochkunst mit einem Stern. Den hat Iris Bettinger bis heute behalten.

Brennt für ihren Beruf: Sterneköchin Iris Bettinger.
Brennt für ihren Beruf: Sterneköchin Iris Bettinger. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Ich wollte nie einen, habe nie darauf hingearbeitet“, bekennt sie. „Aber als wir ihn bekamen, war ich total überrascht und überwältigt. Solch ein Stern hat Strahlkraft und erhöht den Bekanntheitsgrad.“ Der Erfolg hat aber seinen Preis. „Das ist harte Arbeit. Man muss jeden Tag die Spitzenleistung abrufen. Immer wieder neue Ideen haben. Der Anspruch ist hoch, und der Gast merkt den Unterschied zur Tagesgastronomie“, skizziert die Beste deutsche Köchin des Jahres 2014“ die Herausforderung.

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Stillstand ist nicht. Ausruhen auf dem Lorbeer geht gar nicht. Vielleicht sind auch das Gründe, warum Frauen den Weg in die Belle Étage de cuisine scheuen. „Und dabei gibt es so viele talentierte junge Köchinnen“, weiß die Chefin. „Mir macht der Beruf jedenfalls wahnsinnig viel Spaß, und ich brenne dafür.“

Gutes Essen ist Kultur und keine Nahrungsaufnahme lautet eine Maxime von Iris Bettinger. „Die Franzosen sind so stolz auf diese Kultur. Die haben wir in Deutschland aber auch, nur werden wir viel zu wenig wahrgenommen. Wir sind nach Frankreich das Land mit den meisten Sterne-Restaurants. Und es gibt so viele junge engagierte und talentierte Leute – auch Frauen.“ Dennoch fehlt bei den Damen offenbar die Lust an diesem Beruf, der Leidenschaft und Kreativität fordert, aber auch „ein ganz spezielles Leben“ so Bettinger. Eines, das auch von Verzicht geprägt ist. Freizeit ist knapp bemessen, an den meisten Wochenenden wird gearbeitet. Kinder und Küche? Das passt nicht unbedingt zusammen.

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Die Gastronomie Reuter ist eine Ausnahme. „Mein Opa war der Mann mit Zigarre hinter der Theke“, erzählt Iris Bettinger. Statt ihm, dem gelernten Koch, stand seine Frau in der Küche. 1977 übergab die Oma den Kochlöffel an ihre Tochter Eva-Maria, die nach der Kochausbildung in der Schweiz gearbeitet hatte. Enkelin Iris Bettinger ist nun die dritte Küchenchefin in der Familienchronik. „Wenn ich aus der Schule kam, ging ich zuerst zu meiner Mutter in die Restaurantküche. So war ich schon früh mit dem Metier vertraut.“ Auch ihre Nachfolgerin soll – irgendwann einmal – möglichst weiblich sein.

„Frauen arbeiten im Team harmonischer als Männer“

Sehr realistisch beurteilt Marketa Schellenberg, die Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Köche (VDK) die Lage in den deutschen Profi-Küchen: „Männer verwirklichen ihren Traum, ein Spitzenkoch zu werden. Doch oft tun sie das auf Kosten der Familie. Frauen entwickeln dagegen eine andere Lebensperspektive“, sagt sie. Und: „Die extensive Arbeit und die oftmals herrschende Selbstausbeutung sind für sie nicht möglich. Sie entscheiden sich deshalb lieber für das Praktikable.

Dass in der quotenstarken ZDF-Küchenschlacht und anderen bei den Zuschauern beliebten Fernseh-Formaten immer mehr Frauen im Mittelpunkt stünden, sei kein Beleg dafür, dass der weibliche Anteil in den Spitzenküchen zunehme: „Das sind Stars, sie tun es bewusst. Sie werden von den Männern akzeptiert und von der Presse hofiert. Und sehr oft werden sie für Veranstaltungen eingeladen.“ Marketa Schellenberg: „Sie haben breite Schultern, büßen aber nicht an ihrer Weiblichkeit ein.“

Keine Geschlechterschranken gibt es dagegen bei der deutschen Nationalmannschaft der Köche, die den Beruf in der Öffentlichkeit auch international vertritt. Die Teams National und Jugendnational, zu denen auch Pâtisserier gehören, setzen auf Know-how, Erfahrung und kreative Nachwuchstalente. Dabei wird auf regionale und saisonale Küche sowie Nachhaltigkeit besonderen Wert gelegt.

In beiden Teams, so Marketa Schellenberg, „gibt es mehr Frauen als Männer. Und sie sind eine große Stütze. Denn Frauen arbeiten im Team harmonischer als Männer und sind obendrein kommunikativer.“

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