Bochum. Die neuropsychiatrische Erbkrankheit Morbus Huntington ist unheilbar. Zwei Patientinnen berichten, wie sie mit dem Tod vor Augen leben.
Susanne ist 40 und sie lebt im Pflegeheim. Ihre Hände zucken, ihre Füße zappeln am Boden. Der tänzelnde Gang ist charakteristisch für ihr Krankheitsbild. Treppensteigen kann die Frau, die tatsächlich anders heißt, nicht mehr. Sie läuft am Rollator. Durch ihre unkontrollierten Bewegungen stürzt sie oft. Das Sprechen und Schlucken fällt ihr schwer. Ihre Sprache ist undeutlich, sie ist kaum noch zu verstehen. Susanne leidet an Morbus Huntington: einer neuropsychiatrischen Krankheit, die immer tödlich verläuft.
Alles begann mit einer Depression. Zu diesem Zeitpunkt wusste Susanne bereits, dass ihr Vater an Huntington erkrankt war und ihr Risiko 50 Prozent betrug, dass er ihr den Gendefekt vererbt hatte. Sie wird ungewollt schwanger, macht daraufhin einen Gentest. Das Ergebnis bestätigt: Sowohl sie als auch ihr ungeborenes Kind haben den Gendefekt. Ihre Entscheidung ist sofort klar: Sie will das Kind nicht bekommen. Auch zehn Jahre nach der Abtreibung ist es für sie die richtige Entscheidung. Denn Susanne spürt, wie die tödliche Krankheit bei ihr weiter fortschreitet. Sie weiß, dass sie nur noch wenige Jahre zu leben hat. Ihrem ungeborenen Kind wollte sie so ein Leben ersparen.
Morbus Huntington: Ein Leben mit dem Tod
„Ich komme gut damit klar, dass die Krankheit tödlich ist. Mein Leben hat sich nicht viel verändert. Ich war schon immer ein positiver Mensch“, sagt sie und klingt beinahe unbekümmert. Gedanken an den sich nähernden Tod sind jedoch unumgänglich. „Ich wünsche mir noch ein langes Leben“, sagt sie. Sie weiß, dass dieser Wunsch unrealistisch ist. Die meisten Patienten sterben rund 15 Jahre nach den ersten Symptomen. Statistisch bleiben Susanne nun weniger als fünf Jahre.
Diagnose Morbus Huntington: Viele wollen sich nicht testen lassen
„ Mir ging es sehr schlecht und ich habe viel geweint.“
Nur rund 10.000 Menschen leben in Deutschland mit dem tödlichen Gendefekt. Die Dunkelziffer ist höher, vermuten Experten. In der Regel bricht die Krankheit zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr aus. Eine Diagnose sei mit vielen Versorgungs- und Versicherungsfragen verbunden, sagt Professor Dr. Carsten Saft, Leiter des Huntington Zentrums NRW in Bochum. Einige potenzielle Träger des Gendefekts entscheiden sich auch darum bewusst gegen einen Gentest.
Die 25-jährige Patientin Merle wollte wissen, ob sie Trägerin des Gens ist, bevor sie eine Familie gründet. Auch sie machte den Test und erhielt vor drei Jahren die Schockdiagnose. Durch ihre Bewegungsstörungen kann sie nicht mehr Fahrrad fahren. Einen Rollator braucht sie noch nicht, aber ohne fremde Hilfe kann sie kaum gehen. Auch Merle hat, ähnlich wie Susanne, Probleme mit der Sprache. Ihr dagegen fiel es schwer, die Diagnose zu Beginn zu akzeptieren. „Die Diagnose fühlte sich an wie ein Loch im Herzen. Mir ging es sehr schlecht, und ich habe viel geweint“, beschreibt Merle. Es werde aber mit der Zeit besser. Eine Psychotherapeutin helfe ihr dabei.
Das Betreuungsangebot und die Behandlung im Huntington Zentrum seien gut, erzählt Merles Mutter. Schwierig sei der Alltag. Spezielle Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Huntington gebe es nämlich nicht. Dazu komme, dass Huntington-Erkrankte auf viele Versicherungen, wie die Berufsunfähigkeitsversicherung oder Pflegezusatzversicherung angewiesen seien. Dass viele Versicherer bei der Krankheit Probleme machen, weiß Merles Mutter aus Erfahrung. Sie verlor bereits ihren Mann an die tödliche Krankheit.
Huntington Zentrum NRW: Zwischenergebnisse von Studien machen Hoffnung auf Therapie
Das Huntington Zentrum NRW im Katholischen Klinikum Bochum forscht seit 30 Jahren an Huntington. Lindern oder heilen können die Ärzte die Krankheit bislang nicht. Patienten wie Susanne und Merle nehmen Medikamente, die die Symptome abschwächen. Zusätzlich bekommen sie Logopädie, sowie Ergo- und Physiotherapie. Das Huntington Zentrum forscht an verschiedenen medikamentösen Therapien. „Da hat es in den letzten drei, vier Jahren Rückschläge gegeben“, sagt der Neurologe Professor Saft. „Die letzten Zwischenergebnisse sehen bei verschiedenen Substanzen nun aber wieder recht positiv aus.“
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Gendiagnostikgesetz erlaubt keine Pränataldiagnostik
Ein großes Thema bei diagnostizierten Patienten ist der Kinderwunsch. Das Gendiagnostikgesetz erlaubt keine Pränataldiagnostik oder Präimplantationsdiagnose (PID) bei Spätmanifestationen, also Krankheiten, die in der Regel erst im späteren Verlauf des Lebens auftreten. Im Einzelfall könne diese aber durch eine Ethikkommission erlaubt werden, sagt Professor Carsten Saft. Die Kosten für eine PID: rund 22.000 Euro. Das Ergebnis: ein gesundes Kind.