Bochum. Das Huntington-Zentrum NRW forscht seit 30 Jahren an einer Therapie. Nach Rückschlägen gibt es nun vielversprechende Zwischenergebnisse.

In Deutschland sind rund 10.000 Menschen von der genetisch bedingten Erbkrankheit Morbus Huntington betroffen. Die Patienten leiden an einer fortschreitenden Zerstörung eines Bereichs im Gehirn, der für die Muskelsteuerung zuständig ist. Typisch für das Krankheitsbild sind Bewegungsstörungen. Das Zucken der Muskeln erinnert an Tanzbewegungen, weshalb die Krankheit auch als Chorea (griechisch: tanzen) Huntington bezeichnet wird. Die Krankheit kann bereits im Kindesalter auftreten, in der Regel zeigen die meisten Patienten erst zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr Symptome. Rund 15 Jahre nach den ersten Anzeichen sterben die Patienten. Eine Chance auf Heilung gibt es nicht. Das Risiko, den Gendefekt an die nachfolgende Generation weiterzugeben, liegt bei 50 Prozent.

Das Bochumer Huntington-Zentrum NRW im Katholischen Klinikum Bochum ist eines der renommiertesten Zentren in der Forschung von Morbus Huntington. Professor Dr. Saft ist Neurologe und Leiter des Huntington Zentrums NRW. Im Interview erzählt er, welche Forschungsansätze ihm Hoffnung auf eine baldige Therapie machen und wie das Zentrum Familien unterstützt.

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Morbus Huntington ist eine seltene und unheilbare Krankheit. Wie sieht der Krankheitsverlauf typischerweise aus?

Neurologisch stehen Bewegungsstörungen im Vordergrund. Diese Symptome können im Verlauf schlimmer werden und zu Gangunsicherheit und Stürzen führen. Aber auch Bewegungsverlangsamungen können auftreten, dies insbesondere bei jüngeren Betroffenen.

Die Sprache oder das Schlucken können auch betroffen sein. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es dann zu einer zunehmenden Pflegebedürftigkeit. Eine häufige Todesursache ist eine Aspirationspneumonie, eine Lungenentzündung aufgrund des Verschluckens. Psychiatrisch können Depressionen, aber auch eine Apathie oder Antriebsstörung auftreten, manchmal Jahre vor den motorischen Beschwerden. Manche Patienten weisen auch eine erhöhte Reizbarkeit auf, selten auch mit aggressiven Phasen, und es kommt zu zunehmenden Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit. Die Krankheit verläuft immer unterschiedlich.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es zurzeit?

Im Moment können wir die Beschwerden der neurologischen oder psychiatrischen Symptome mit Medikamenten lindern. Häufig auch ganz gut. Wir können die Krankheit aber bis jetzt nicht verzögern oder bremsen. Daran forschen wir mit verschiedenen Substanzen und haben in Bochum dafür eines der wichtigsten Zentren weltweit. In der letzten Zeit gab es wieder ein paar positive Zwischenergebnisse, die Mut machen, nachdem es 2021 auch Rückschläge gab. Deshalb müssen wir abwarten, was bei den Endergebnissen rauskommt. Wahrscheinlich brauchen wir noch Bestätigungsstudien, um zu schauen, ob die Substanzen sicher helfen. 

Woran forschen Sie genau? 

Die Erkrankung ist eine sogenannte CAG-Wiederholungserkrankung mit vermehrten Wiederholungen des Bausteins CAG im Vergleich zu einem gesunden Menschen in der Erbinformation, der DNA. Am besten wäre es, wenn man direkt bei der DNA ansetzen könnte und diese Wiederholungen korrigieren oder ausschneiden könnte. An solchen Ansätzen forscht man zum Beispiel mit der CRISPR/Cas-Methode, der sogenannten Genschere, oder Zinkfingerproteinen. Diese Ansätze werden aktuell nur im Labor erforscht. Die Ansätze, die im Moment am Patienten überprüft werden, setzen bei der Kopie der DNA, der mRNA an. Aus der Information auf der mRNA wird dann das Protein Huntingtin hergestellt. Dieses Protein und die mRNA sollen blockiert und vermindert hergestellt werden, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Aktuell proben verschiedene Firmen die Ansätze.

Welche Schwierigkeiten gibt es noch?

Wir müssen darauf achten, dass das Protein nicht zu sehr reduziert wird, weil es bei allen Patienten ja auch ein gesundes Gen gibt. Eine Herausforderung ist daher, die richtige Dosis zu finden und Nebenwirkungen der Therapien zu erkennen. Da hat es in den letzten drei, vier Jahren Rückschläge gegeben. Die letzten Zwischenergebnisse sehen bei verschiedenen Substanzen nun aber wieder recht positiv aus. 

Wie behandeln Sie die Patienten im Huntington-Zentrum?

Für die Erkrankten geht es um die Therapie und die Medikamente. Die meisten Patienten werden ambulant behandelt. Es gibt aber auch seltene Fälle, in denen die Patienten stationär aufgenommen werden. Die Patienten können auch an Studien teilnehmen. Es gibt eine Beobachtungsstudie, zu der man nur einmal im Jahr kommt und untersucht wird, ohne dass es Medikamente gibt, um den Krankheitsverlauf besser zu verstehen. Da haben wir andere Gene entdeckt, die den Krankheitsverlauf auch beeinflussen, unabhängig von den CAG-Wiederholungen.

Die Natur gibt uns also hier vielleicht einen Weg vor, wie man den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen könnte. Dann gibt es für Patienten auch die Möglichkeit, an den hochinnovativen Studien teilzunehmen. Die erfordern allerdings viel Zeit. Wir haben in Bochum ein sehr großes Einzugsgebiet. Die Patienten kommen deutschlandweit, teilweise sogar über die Grenzen hinaus zu uns. Der Vorteil unseres Zentrums ist, dass wir mit vielen Abteilungen kooperieren, wie zum Beispiel der Kinderklinik, Genetikern oder Biochemikern. 

Professor Dr. Carsten Saft vom Huntington Zentrum NRW behandelt Huntington-Patientinnen wie Merle (Mitte) und Susanne (rechts). Patienten arbeiten mit Logopädie, Ergo- und Physiotherapie gegen das Fortschreiten der Krankheit an.
Professor Dr. Carsten Saft vom Huntington Zentrum NRW behandelt Huntington-Patientinnen wie Merle (Mitte) und Susanne (rechts). Patienten arbeiten mit Logopädie, Ergo- und Physiotherapie gegen das Fortschreiten der Krankheit an. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Das Huntington-Zentrum forscht schon seit 30 Jahren an der Krankheit. Wie hat sich die Arbeit verändert?

Die Arbeit ist fortschrittlicher geworden. Die innovativen Studien, bei der wir ein bisschen mehr an die „Wurzel des Übels“ gehen, haben erst 2016 angefangen. Damit waren wir in Bochum, hier am Katholischen Klinikum, eines der ersten Zentren in Deutschland und weltweit. Wir forschen seit 30 Jahren an der Erkrankung mit verschiedenen Medikamenten. Auch die ambulante Versorgung ist in den letzten Jahren mehr geworden. 

Sie betreuen aber nicht nur die Erkrankten.

In der Regel kommen ganze Familien und haben sehr viele Fragen. Es geht oft auch um die Frage: „Möchte ich wissen, ob ich diese Erkrankung meines Vaters oder meiner Mutter auch bekomme?“ Wenn man möchte, kann man sich in der Humangenetik der Ruhr-Universität, unserem Kooperationspartner im Huntington – Zentrum, untersuchen lassen, ob man das Gen trägt oder nicht, schon lange bevor es zu ersten Beschwerden kommt. Aber wichtig ist, dass es ein Recht darauf gibt, es nicht zu wissen. Viele entscheiden sich dafür, es nicht wissen zu wollen. Die meisten erkranken in einem Alter, in dem sie berufstätig sind, vielleicht einen Kredit für ein Haus aufgenommen haben oder Kinder haben. Da stehen Familien häufig vor Versicherungsfragen, darum sollte man sich frühzeitig kümmern

Was empfehlen sie Menschen, die vor der Entscheidung stehen, sich testen zu lassen? 

Es gibt keine allgemein gültige Empfehlung, weil das jeder für sich entscheiden muss. Eine offene Beratung für Betroffene ist sehr wichtig. Ich empfehle nur, dass man sich Zeit für die Entscheidung nimmt und sie nicht überstürzt. Außerdem sollte man sich über Versorgungsfragen Gedanken machen. Am besten, bevor man sich genetisch untersuchen lässt. Theoretisch wäre es vom Gendiagnostikgesetz her möglich, eine Versicherung auch noch abzuschließen, wenn man den Gentest bereits gemacht hat. Ich würde empfehlen, das früher zu machen, damit es gar nicht erst zu Fragen kommt. Anders ist die Situation in der Regel, wenn es schon Beschwerden der Erkrankung gibt und einen klinischen Verdacht, dann entscheiden sich die allermeisten für die genetische Untersuchung, um Gewissheit zu haben.

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