Bochum. Von wegen Unkraut: Eine Kräuterexpertin aus dem Ruhrgebiet zeigt, welche Schätze sich vor der Haustür finden – und was man aus ihnen machen kann.

„Und das kann man wirklich essen?“, fragt Anke ungläubig und hält den kleinen grünen Stiel in die Luft, an dem goldgelbe Blüten stecken. Kräuter-Expertin Martina Holder nickt. Denn die grünen Pflanzen, die auf den ersten Blick wie Unkraut am Wegesrand erscheinen, stecken voller Vitamine und Mineralstoffe – „oft sogar mehr, als in herkömmlichem Gemüse“, sagt Martina Holder. „Außerdem sind sie auch noch saisonal, regional, günstig und kommen ohne Verpackungsmüll aus.“ Die 55-Jährige nimmt die zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf eine Kräuter-Entdeckungstour durch die Ruhrauen in Bochum-Dahlhausen.

Ausgangspunkt der Tour ist die Brache direkt neben einem Schotterparkplatz. „Es muss ja auch realistisch sein“, sagt Holder und lacht. Und auch hier, auf der vermeintlich kargen Fläche, könne man schon die ersten Kräuter entdecken, wenn man nur achtsam genug schaue.

„Ich esse Kräuter sonst nur auf meinem Steak“

Anke (64) probiert die Samen aus der gelben Blüte. „Nussig“, sagt sie und reicht sie weiter an ihren Mann Karl (67). Es handelt sich um die Königskerze. „Die Blüten wirken entzündungshemmend und werden häufig in Form von Tee zubereitet. Aber auch die Samen sind sehr gesund“, sagt Holder. „Probiert alle mal.“ Die Gruppe hatte sich zuvor mit ihr auf das Du geeinigt. „Ich esse Kräuter sonst vor allem auf meinem Steak“, sagt Karl und lacht. Die Tour hat er von Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen.

Kräuterwanderung mit Expertin Martina Holder in Bochum
Kräuterwanderung mit Expertin Martina Holder in Bochum-Dahlhausen: Anke lässt ihren Mann Karl die Blüten der Königskerze probieren. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Achtsam die Umgebung erkunden, an der frischen Luft sein, sich umweltbewusst ernähren: Kräuterwanderungen, wie sie Martina Holder anbietet, werden immer beliebter. „Viele Menschen wollen ‚back to the roots‘, also zu den Wurzeln zurückkehren“, sagt die Expertin. Und das funktioniere nicht nur im Frühling und Sommer, wenn alles blüht. Auch in den Herbst- und Wintermonaten ließen sich viele Schätze am Wegesrand finden.

Brennnesselsamen ganz einfach übers Müsli streuen

„Im Spätsommer und Herbst ist zum Beispiel der beste Zeitpunkt, um Samen zu sammeln“, sagt Holder. Hier gilt: Sobald sich die Samen aus ihren Kapseln holen lassen, sind sie reif. Wilde Samen wie etwa von Brennnessel, Spitzwegerich und Nachtkerze könne man gut trocknen und mörsern oder rösten. Und dann einfach übers Müsli oder den Salat geben. Zum Würzen eigneten sich hingegen die Samen der Knoblauchsrauke, zur Kaffeeherstellung Eicheln, Bucheckern und Esskastanien.

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„Man kann die Samen aber auch einfach unterwegs knabbern“, sagt Holder. Das lässt sich die Gruppe nicht zweimal sagen. An jeder Station werden eifrig Samen gepult und gekostet. Hier sind noch alle Inhaltsstoffe enthalten. „Ein Superfood vor der Haustür“, ruft eine Teilnehmerin.

Beinwell-Wurzel hilft bei Schmerzen

Neben den Samen lassen sich im Herbst und Winter auch Wurzeln besonders gut sammeln. Die Grundregel lautet: „Wurzeln von Wildpflanzen werden in den Monaten gegraben, die mit einem R enden“, erklärt Holder. „In dieser Zeit ziehen sich die Pflanzen zurück und stecken ihre geballte Kraft in die Wurzel.“

In Form von Tee oder Salben hätten die Wurzeln, etwa die von Brennnessel, Baldrian und Beinwell, eine heilende Wirkung. Karl traut sich und gräbt die Beinwell-Wurzel aus. „Bitte achtsam“, mahnt Holder, „damit sich aus den restlichen Wurzelstücken neue Pflanzen bilden können.“ Klinische Studien haben ergeben, dass Beinwell etwa bei schmerzhaften Muskel- und Gelenkbeschwerden, Zerrungen, Prellungen und Verstauchungen hilft. Zudem soll die Pflanze auch bei Sehnenscheidenentzündungen und Gelenkarthrosen lindernd wirken.

Kräuterwanderung mit Expertin Martina Holder in Bochum
Vollokommen ungiftig: Der Weissdorn hat rote Früchte, die das Immunsystem stärken. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Nachdem die Gruppe noch die säuerlichen roten Früchte des Weißdorns gepflückt und gekostet hat, geht es die Ruhr entlang zurück zum Startpunkt. Hier verteilt Martina Holder zum Abschluss der Tour für alle noch einen selbst gebrauten Kräuter-Likör. Karl und seine Frau Anke prosten sich zu. „Ich denke, ich werde jetzt nochmal einen anderen Blick für meine Umgebung vor der Haustür haben“, sagt Karl. Künftig werde er sein Steak nicht mehr nur mit herkömmlichen Kräutern würzen – auch die Königskerze werde jetzt Platz in der Küche finden.

Die nächste Kräutertour von Martina Holder ist am 8. Oktober. Auch für das kommende Jahr gibt es bereits Termine auf ihrer Webseite www.kraeuterleidenschaft.de. Und am 25. Oktober bietet die Expertin erstmalig einen Kräuterstammtisch im Julius-Leber-Haus in Essen an.

Info: 2000 Pflanzenarten in NRW

In Nordrhein-Westfalen sind rund 2000 Farn- und Blütenpflanzen nachgewiesen, 42 Prozent davon sind in ihrem Bestand bedroht, 111 Arten gelten als ausgestorben oder verschollen. Das zeigen Daten vom NABU in NRW. „Wie keine andere Organismengruppe prägen die Farn- und Blütenpflanzen unsere Landschaften und Lebensräume und sie sind die Basis für alles Leben auf Erden“, heißt es.