Essen. Fast ist er schon Kanzlerkandidat: Merkt man davon etwas bei Friedrich Merz‘ Auftritt beim Politischen Forum in der Essener Philharmonie?

An diesem Montag läuft es rund für Friedrich Merz. Erst steigt sein gefühlter Kontrahent Hendrik Wüst aus dem Kanzlerkandidatenrennen aus und stellt sich öffentlich hinter ihn und damit gegen den irrlichternden Markus Söder. Und abends folgt ein Heimspiel voller Harmonie mit 2000 wohlgesonnenen Besucherinnen und Besuchern in der Essener Philharmonie beim 150. Politischen Forum von Stephan Holthoff-Pförtner. „Zeitenwende für Europa“ hat dieser den Abend betitelt, eine Chance für Merz, sich in staatsmännischen Tönen zu üben.

Nationalbank-Chef Thomas Lange rollt Merz zu Beginn des Abends den Teppich aus, attestiert Kanzler Olaf Scholz, dass diesem alles entgleite und konstatiert, dass die Migrationskrise das Land zerreiße.

Merz lässt sich nicht hinreißen

Merz, in der Regel nicht für Vorsicht bekannt, lässt sich indes nicht zu unnötigen Schärfen hinreißen und wiederholt in wohlgesetzten Worten, was er seit Wochen in Interviews und im Bundestag sagt. „Wir müssen ein Signal setzen, dass es so nicht weitergehen kann“, führt er mit Blick auf die Forderung aus, illegale Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen.

Er hoffe „sehr, dass wir die Probleme lange vor der nächsten Bundestagswahl lösen, sonst verlieren wir Wähler an die politischen Ränder“. Nachbarn wie Dänemark, die Niederlande oder Frankreich zeigten, dass man sehr wohl mehr tun könne in der Frage.

Deutschland müsse aus dem Krisenmodus herauskommen, es brauche eine neue Wirtschafts- und Steuerpolitik, die den Kommunen stetige Einnahmen sichere – hier ist Merz auf seiner vertrauten Spielwiese unterwegs. Die Bemerkung, dass im Arbeitsmarkt etwas „nicht stimmt“ mit Blick aufs Bürgergeld, das „viele als bedingungsloses Grundeinkommen missverstehen“, löst den erwartbaren Beifall aus. Und natürlich gilt das auch für die Forderung, dass der Staat künftig „schneller, einfacher und digitaler“ werden müsse – ja, wer wünschte sich das nicht? Es wäre doch schön, wenn man wieder mal stolz auf sein Land sein könnte, schließt der mutmaßliche Kanzlerkandidat der Union seine Ausführungen.

Charakterlich nicht geeignet für das Amt?

Kritische Töne muss Merz an diesem Abend nicht befürchten. Immerhin lockt der frühere WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz ihn aus dem Publikum heraus mit der Frage, wie er es denn finde, dass ihm der Bundeskanzler vor einigen Tagen die nötigen charakterlichen Eigenschaften für das Amt, das er anstrebt, abgesprochen habe. Soll man diesen schönen Tag mit Misstönen beenden? Merz bleibt auffallend kühl in seiner Reaktion und sagt: „Ich stelle mich darauf ein, dass das der Vorgeschmack auf das ist, was wir im nächsten Jahr erleben werden, wenn gewählt wird. Wir aber werden sachlich bleiben und nicht persönlich werden.“