Ruhrgebiet. Seit rund zwei Wochen darf man mehr Wirkstoff THC im Blut haben beim Autofahren. Gibt es nun mehr Kontrollen? Was hat sich geändert?

Seit dem 22. August gelten neue Grenzwerte für Cannabis am Steuer. Was hat sich dadurch geändert?

Gibt es mehr Kontrollen, nachdem die Grenzwerte hochgesetzt wurden?

Zunächst nicht. „Unabhängig von der Legalisierung“ seien immer wieder gezielte Aktionen geplant, heißt es aus dem NRW Innenministerium. Ansonsten ist die Kontrolle auf Cannabiskonsum wie bisher Teil einer jeden Verkehrskontrolle. Auch an ihrem Ablauf hat sich nichts geändert: „Wenn es Anhaltspunkte gibt für Drogenkonsum, dann wird ein Urin- oder Speicheltest durchgeführt“, erklärt ein Ministeriumssprecher. Und schlägt dieser Vortest an, muss die Person einen Bluttest abgeben, bei dem der Gehalt des Cannabis-Wirkstoffs THC im Blut genau bestimmt wird. Dabei wird natürlich auch nach Alkohol und anderen Drogen gesucht.

Gibt es Hinweise, dass mehr Menschen bekifft fahren?

Für die zweieinhalb Wochen seit Einführung der neuen Grenzwerte, gibt es noch keine Infos, da die Auswertung von Bluttests länger dauert, je nach Standort bis zu drei Monate. Seit der Legalisierung im April sind in stichprobenartig befragten Polizeipräsidien keine Steigerungen von Fahrten unter Cannabiseinfluss zu verzeichnen. Im Kreis Recklinghausen zum Beispiel gibt es „keinen Trend nach oben“, in Gelsenkirchen wurden von April bis Juli „Zahlen im niedrigen zweistelligen Bereich erfasst“ – tatsächlich sind das sogar etwas weniger Drogenfahrten als vor der Legalisierung. Allerdings weist die Polizei darauf hin, dass diese Zahlen „noch nicht qualitätsgesichert“ sind.

Darf man nun bekifft fahren?

Vor zweieinhalb Wochen ist der Grenzwert für den Cannabis-Wirkstoff THC von 1,0 auf 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum gestiegen (für Fahrer über 21 Jahre und außerhalb der Probezeit). Laut Expertenkommission habe man einen „konservativen Ansatz“ gewählt. Die Rauschwirkung soll demnach vergleichbar sein mit 0,2 Promille Alkohol. Der Grenzwert wurde heraufgesetzt, um nicht den Konsum „durch die Hintertür“ zu verbieten.

Wie hoch der THC-Gehalt liegt, dürfte für Konsumenten schwer einzuschätzen sein. Er hängt von der „Grassorte“ ab, ebenso wie vom Volumen des Körpers und seinem Abbauverhalten, das wiederum beeinflusst wird vom Konsumverhalten. Laut ADAC können „gelegentliche Konsumenten“ jedoch damit rechnen, dass sich das THC nach einem einzelnen Joint innerhalb von fünf Stunden so weit abbaut, dass man unter dem neuen Grenzwert liegt. Allerdings wird empfohlen, eine Wartezeit von mindestens 12 Stunden einzuhalten, bis man sich wieder ans Steuer setzt.

Wer täglich konsumiert, bei dem reichert sich THC im Gewebe an – erst nach einer „mehrwöchigen Abstinenz“ wäre man wieder fahrtauglich.

Gibt es Ausnahmen für Cannabis-Patienten?

Ein Gramm Cannabis dampft Marc Ziemann jeden Tag – und fährt trotzdem Auto. Er darf das sogar nach dem in der Straßenverkehrsordnung festgelegten Medikamentenprivileg. Denn der Essener hat Cannabis verschrieben bekommen, weil er an ADHS leidet, was sich bei ihm in einer Mischung aus Hyperaktivität, Antriebslosigkeit und Depressionen ausdrückt, unter anderem. Fünfmal am Tag inhaliert er also ein Fünftel Gramm mit seinem Vaporizer, das Gras bezahlt seine Krankenkasse. Und vor sieben Jahren hat Ziemann eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) gemacht, „bei der ich unter anderem im Computersimulator nachgewiesen habe, dass ich auch mit meiner medikamentösen Einstellung voll fahrtüchtig bin. Dazu noch körperliche Untersuchung, Blutwerte und Psychologen-Gespräch.“

Nach eigener Aussage achtet Ziemann genau auf seine Dosierung und nimmt kein Cannabis zusätzlich zu sich. „Das würde meine Einstellung durcheinanderbringen. Ich mache das ja, damit ich die Symptome meiner ADHS verringere.“ Als Mitgründer des Bundes Deutscher Cannabispatienten berät er auch zum Thema Cannabis im Straßenverkehr. „Man darf auch tatsächlich nur Medizinisches Cannabis nehmen, Selbstangebautes ist aufgrund des ungewissen Wirkstoffgehaltes im Straßenverkehr nicht zulässig. Das muss man nachweisen können.“ In seinem Attest ist der THC-Gehalt beschrieben, bei dem er gut eingestellt ist, ebenso die Art der Einnahme. Dies dient bei Kontrollen als Referenz. Attest und MPU-Bestätigung führt Ziemann immer mit sich.

Aber was ist mit dem Schutz anderer Autofahrer? „Zeigt ein Fahrer oder eine Fahrerin konkrete Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr macht er sich strafbar“, erklärt Markus Schäpe, Leiter der Juristischen Zentrale im ADAC. Und dann werden Cannabispatienten genauso bestraft wie alle anderen. „Im Strafrecht gibt es für medizinisches Cannabis kein Privileg.“

Braucht es neue Tests?

Tatsächlich sind die bestehenden Urin- und Speicheltests auf die Schwelle von 0,1 Nanogramm THC eingestellt. Das heißt, sie testen härter als das Gesetz erlaubt. Da aber am Ende der genauere Bluttest zählt, bei dem immer exakte Werte gemessen werden, kann die Polizei ihre alten Tests wie gewohnt weiternutzen, erklärt Pascal Pettinato, Sprecher des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg. Wünschenswert wäre dennoch, dass die Hersteller nun neue Tests für die neuen heraufgesetzten Grenzwerte entwickeln. Denn dann könnte man sich viele unnötige Blutproben sparen, die unterhalb von 3,5 Nanogramm THC anfallen.