Krefeld. Eine 22-Jährige wehrt sich erfolgreich gegen sexuelle Übergriffe ihres Fußballlehrers. Der Mann wird verurteilt – aber es ist noch nicht vorbei.
Sabrina hat dem Mann vertraut. Er war ihr Fußballtrainer und mehr noch: Sie ging bei seiner Frau aus und ein, passte auf das Baby auf. „Ersatzvater“ nennt sie ihn einmal und wischt das Wort gleich wieder weg. Denn derselbe Mann hat ihr auf Instagram nachgestellt, inzwischen ist er sogar verurteilt – wegen versuchten sexuellen Übergriffs und versuchter Nötigung. Als rote Karte aber hat der Fußballer das offenbar nicht verstanden, glaubt Sabrina. Und erzählt deshalb hier ihre Geschichte.
Er hat sie nicht wirklich angefasst, ihr körperlich nichts angetan, dazu ist es nicht gekommen. Aber er hat es versucht. Sabrina hat sich lange gewehrt, das hat die 22-Jährige verändert. Sie, die früher überall der „Sonnenschein“ war, ein offenes junges Mädchen, das schnell Vertrauen fasste, ist als junge Erwachsene heute vorsichtig, misstrauisch, zurückhaltend geworden. „In sich gekehrt“, sagen Freunde. Sie selbst sagt, sie braucht inzwischen „lange, um irgendwo anzukommen“.
Unbekannter verlangte Nacktfotos in aufreizenden Posen
Sabrina, die eigentlich anders heißt, war ein leichtes Opfer für einen Mann, den sie im Rückblick „manipulativ“ nennt. Bei ihrer eigenen Familie konnte sie nicht bleiben, bei dem heute 54-Jährigen, mehr als 30 Jahre älter als sie, fand das Heimkind „eine zweite Familie“. Mit elf fing sie an, Fußball zu spielen, als sie 17 war, wurde er ihr Coach. Er förderte das Mädchen, zu seiner jungen Frau hatte Sabrina ein freundschaftliches Verhältnis. Aufgefallen ist ihr lange nichts, hin und wieder hörte sie ein Kompliment, später „ein paar unangemessene Aussagen“, aber die versteht sie erst im Nachhinein so. Sie hielt seine Sprüche für Humor.
Als ein Unbekannter sie über Instagram anschrieb, unter verschiedenen Namen wie „Jürgen“, hatte Sabrina keine Ahnung. Nacktbilder sollte sie schicken, Fotos und Videos von sich selbst in aufreizenden Posen – und mehr. Sie sei „dem Ansinnen nicht nachgekommen“, schreibt der Richter später in seinem Urteil. Wahrscheinlich hätte sie den Absender sogar blockiert, hätte er nicht angefangen, ihr zu drohen: Er wisse alles über sie. Und über ihren Bruder: Ihn könne er ins Gefängnis bringen. „Ich hatte wirklich Angst, dass er meinem Bruder etwas Schlechtes antun kann.“ Sabrina schwieg lange, „ich habe mich total unwohl gefühlt“. Und sie grübelte: „Wer kann das sein?“
An der Art zu schreiben erkannt: „Es war mein Trainer!“
Bis es „Klick“ machte. Diese Chats, die sie angeekelt und zum Schein aufrecht hielt in der vagen Hoffnung, den Mann zu enttarnen: Darin las sie immer die gleichen Rechtschreibfehler! „Irgendwoher kennst du diese Schreibweise.“ Sabrina verglich, scrollte auf dem Mobiltelefon durch alte Nachrichten, erkannte den Stil: „Es war mein Trainer!“
Zuerst glaubte sie sich selbst nicht, ahnte, dass das auch andere nicht tun würden: „Du brauchst mehr Beweise.“ Wie recht sie damit hatte, zeigt auch die Reaktion ihrer Nebenklage-Vertreterin: Ohne den privaten Einsatz von Sabrina, glaubt die erfahrene Opferanwältin, wäre die Beweislage vor Gericht schwierig gewesen – zumal der Angeklagte lange leugnete. Das Problem sei häufig, so die Juristin, „dass den Frauen viele Zweifel entgegengebracht werden. Das glaubt einem erstmal keiner“.
Was also folgte, waren Detektivarbeiten, von denen Sabrina selbst sagt: „Wie in einem schlechten Actionfilm.“ Sie versuchte, den Instagramaccount des Absenders zu identifizieren, glich Telefonnummern ab, organisierte eine geheime Übergabe der geforderten Bilder. Derweil ging sie weiter zum Training, sie wollte keinen Argwohn wecken, so tun, als sei alles normal. Doch es kam der Tag, da konnte sie nicht mehr. „Keine Motivation“, so begründete sie ihren Austritt aus dem Verein.
Die erste „Übergabe“ ging schief, Sabrina aber wusste, „er wird sich wieder melden“. Auch inzwischen eingeweihte Freunde meinten: „Der ist so doof, der versucht es noch mal.“ Und so war es: Es kamen neue Nachrichten von einem neuen Account mit neuen Drohungen. Diesmal schickte der Mann selbst Fotos, kündigte an, sie unter anderem an den Arbeitgeber zu schicken. Es waren Nacktbilder unbekannter Frauen – mit Sabrinas Kopf. Die Drohungen wurden schärfer: „Wenn du jetzt nicht tust, was ich verlange...“ Im Dunkel einer Winternacht lockte Sabrina den Absender ein zweites Mal zu einem Päckchen mit darin angeblich den geforderten Fotos. Diesmal beobachteten sie den Trainer zu mehreren, verfolgten ihn vom Vereinsheim aus und riefen schließlich die Polizei.
Am Ende überführt Sabrina ihren Peiniger fast im Alleingang
Die Zeit danach blieb belastend für die junge Auszubildende: Noch nie zuvor hatte sie mit der Kripo zu tun, geschweige denn war sie je in einem Gericht gewesen. Dazu fühlte sie sich weiterhin bedroht. Sabrina erzählt, dass sie nicht schlafen konnte, ohne dass jemand aufpasste, wie sie die Türen ihrer Wohnung verrammelte. „Ich fühlte mich zu Hause nicht mehr wohl. Nicht mehr sicher.“
21 Monate Haft für den Fußballtrainer – auf Bewährung
Im Frühjahr 2023 wird der wegen verschiedener anderer Delikte vorbestrafte Mann vom Amtsgericht Krefeld verurteilt. „Wegen versuchten sexuellen Übergriffs und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten.“ Der Richter glaubt ihr und den Zeugen. Die Tat, heißt es im Urteil, sei nur deshalb nicht vollendet worden, „weil die Zeugin nicht entsprechend auf die Forderungen des Angeklagten reagiert hat“. Der geht zunächst in Berufung, das Landgericht Krefeld als zweite Instanz setzt die Strafe im November 2023 für drei Jahre zur Bewährung aus.
Sabrina hat dafür „absolut kein Verständnis“, sie war und ist „mega-enttäuscht: Warum gibt man ihm die Chance?“ Die 22-Jährige hätte sich gewünscht, ihr ehemaliger Trainer hätte sich noch im Gerichtssaal bei ihr entschuldigt, aber „er hat mich nicht einmal angeguckt“. Der Vorsitzende der 6. kleinen Strafkammer erteilt dem Verurteilten Auflagen: Innerhalb eines Monats soll er, auch auf Betreiben der Nebenklage-Anwältin, einen handschriftlichen Entschuldigungsbrief verfassen. Und 1500 Euro an das Opfer zahlen, in Raten von 50 Euro monatlich.
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Verurteilter Straftäter wirft dem Opfer vor zu lügen
Post soll auch zehn Monate danach noch nicht bei Sabrina angekommen sein, das bestätigt ihre Rechtsanwältin. Wohl gingen im August und September zwei erste Raten auf deren Kanzlei-Konto ein; die Juristin hatte nach eigenen Angaben zuletzt im Juli die zuständigen Behörden in Kenntnis gesetzt, dass noch keine Entschädigungszahlung geflossen sei. Aber ihrer Mandantin geht es weniger um das Geld. „Komplett egal, ob der zahlt.“ Die junge Frau will den Brief, als Beweis für ihre eigene Unschuld. „Das ist mein allererstes Problem.“ Denn aus dem Umfeld des Vereins habe man ihr vorgeworfen, sie lüge. Sie sei diejenige gewesen, die sich an den Trainer „herangeschmissen“ habe, er sei vielmehr tatsächlich freigesprochen worden. Textnachrichten von Mitspielerinnen dazu hat die 22-Jährige aufbewahrt, unangenehme Begegnungen und abschätzende Blicke aus der Fußballszene haben sich ihr eingebrannt: „Ach, du bist das?“
Der Krefelder Rechtsanwalt des Mannes nimmt auf Anfrage dieser Zeitung keine Stellung. Er beruft sich unter anderem auf seine anwaltliche Schweigepflicht.
Noch wichtiger aber als ein öffentliches Schuldeingeständnis ist Sabrina, dass der Mann, der ihr das angetan hat, nicht weitermacht. Nicht andere Mädchen bedrängt. Nicht neue Opfer findet auf dem Fußballplatz. „Nicht einfach so davonkommt.“ Schon die Anzeige hat Sabrina damals „nicht für mich gemacht, sondern für alle anderen Mädchen. Weil ich weiß, wie naiv ich selbst war“. Unterstützt wird sie heute durch die Familie einer guten Freundin; auch deren Vater sagt: „Wir würden uns Vorwürfe machen, wenn so etwas wieder passiert.“
In Sabrinas altem Verein trainiert der Täter inzwischen nicht mehr, auch in einem zweiten Club ist er offenbar nicht mehr tätig. Die Stadt Krefeld bestätigt auf Anfrage dieser Zeitung, es würden „Maßnahmen geprüft“. Etwaige Betretungsverbote für öffentliche Sportplätze aber sind in der Praxis schwierig umzusetzen. Auch werden Kommunen von Gerichtsurteilen nicht automatisch in Kenntnis gesetzt.
Vertrauen „schon wieder missbraucht“
Für die Einhaltung der Bewährungsauflagen ist in diesem Fall das Amtsgericht Krefeld zuständig. Dort ist angekommen, dass die gesetzte Frist verstrichen sei, ohne dass das Opfer einen Brief erhalten habe. Auch von inzwischen erfolgten Zahlungen ist dort noch nichts bekannt. Das bestätigt ein Sprecher auf Nachfrage dieser Zeitung. Von Gesetzes wegen müsse der Verurteilte persönlich dazu angehört werden. Ein Termin ist für die dritte Oktoberwoche angesetzt.
Sabrina wartet. Es fällt ihr immer noch sichtlich schwer, über alles zu reden, mit Fremden zumal – und gleichzeitig hilft es ihr. „Schon wieder wurde mein Vertrauen missbraucht. Schon wieder wurde ich enttäuscht. Schon wieder bin ich auf die Nase gefallen.“ Die 22-Jährige will ihre Ruhe und kann doch nicht aufhören zu kämpfen.
>>INFO: POLIZEILICHES FÜHRUNGSZEUGNIS?
Ein Verein, der eine eigene Abteilung für Jugendarbeit hat, muss nach dem Gesetz als Träger der freien Jugendhilfe von Mitarbeitern ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen. Nach Auskunft des Deutschen Kinderschutzbundes darf jemand erst nach dessen Vorlage Kinder und Jugendliche trainieren. Falls eine solche Abteilung nicht in der Satzung steht, ist die Einstellung von Trainern – ob ehrenamtlich oder bezahlt – allerdings nicht weiter geregelt.
Immer mehr meist große Vereine geben sich ein eigenes Schutzkonzept. Das Landeskinderschutzgesetz fordert die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung solcher Konzepte bei allen „Trägern von Angeboten nach dem Kinder- und Jugendförderungsgesetz NRW“ ein. Dazu zählt auch die sportliche Jugendarbeit. Laut Landessportbund fallen alle seine Mitgliedsorganisationen unter diese gesetzlichen Regelungen.