Essen. Palliativmediziner betreuen Menschen, die nicht mehr gesund werden. Eine Ärztin aus Essen erklärt, warum es ihr dabei ums Leben geht.
- Palliativmedizinerinnen und Palliativmediziner begleiten schwer erkrankte Menschen, die nicht mehr gesund werden.
- Sie erklären Befunde, behandeln Symptome und zeigen auf, wie es weiter gehen kann.
- Viele Patientinnen und Patienten lehnen das zunächst ab.
„Wir sind nicht die Sterbeärzte, für die uns viele halten“, sagt Irene Nelissen, Oberärztin der Klinik für Palliativmedizin an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, „wir gehen früh rein.“ „Early Integration“ nennen sie das – und die habe sich bewiesen. Mit dem Lindern des Leids von Patienten, die nicht mehr gesund werden, „kennen wir uns gut aus“. Und dieses Leid kann sehr vielfältig sein: Schmerzen, Angst oder Luftnot können Palliativpatienten zu schaffen machen, aber auch die soziale Situation, offene Versorgungs- oder Versicherungs-Fragen. Palliativteams sind immer multiprofessionelle Teams.
Palliativmediziner erklären Befunde und erstellen mit den Betroffenen Patientenverfügungen; sie arbeiten gern mit „Bedarfsmedikationen, weil die autonom machen“; sie behandeln Symptome, körperliche wie seelische. Und sie haben sehr viel Zeit für ihre Patienten, mehr als andere Ärzte, betont Nelissen. Palliativmediziner zeigen auch auf, wie es weiter gehen kann, mit der Hilfe eines Pflegedienstes, im Heim oder Hospiz. Sie sagen ihren Patienten: Sie müssen keine Angst vor dem Ersticken oder vor Schmerzen haben. Und sie raten: Denken Sie nicht nur an den Tod, planen Sie etwas Schönes, setzen Sie sich kleine Ziele, die sie noch verwirklichen möchten, eine Reise vielleicht.
Nicht immer wissen Patienten das Angebot auf Anhieb zu schätzten. Im Gegenteil: Die Hälfte von ihnen reagiert – wie Lela Sadigh, die Irene Nelissen am liebsten „die Augen ausgekratzt“ hätte, als sie ihr eine palliativmedizinische Behandlung anbot – zunächst ablehnend. „Und das ist in Ordnung so. Sie denken ja alle, sie hoffen, dass doch noch ein Wunder passiert, dass sie doch noch geheilt werden können. Aber sie sollen wissen, dass wir da sind“, erklärt die Palliativmedizinerin, die auch Internistin und Geriaterin ist. Sie hält das aus. Sie sagt: „Angst vor Palliativmedizin ist eigentlich Angst vor dem Sterben, und das gehört zum Leben nicht mehr dazu.“
„Ich bin nicht fürs Sterben zuständig. Ich will meinen Patienten davor ein besseres Leben ermöglichen.“
Sie merkt das nicht nur in Gesprächen mit Patienten, sondern auch, wenn sie privat erzählt, was sie beruflich macht. „Das könnte ich nicht. Die sterben dir doch alle weg“, hört sie dann oft. Dass sie in einem Dienst tatsächlich schon einmal drei, vier Totenscheine ausstellen muss – das sagt sie lieber gar nicht erst. „Ich bin nicht fürs Sterben zuständig“, erklärt sie stattdessen. „Ich will meinen Patienten davor ein besseres Leben ermöglichen. Ich will, dass sie gut gehen. Und dass auch ihre Angehörigen mit dem gewählten Weg leben können.“
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Palliativmedizinische Kliniken gibt es in vielen Revier-Städten, ambulante Palliativdienste ebenfalls. Zum zertifizierten Zentrum der Kliniken Essen-Mitte gehört eine Palliativ-Station mit zwölf Betten, eine Tagesklinik, ein Konsildienst für andere Abteilungen im Haus, der ambulante Hospizdienst Pallium und das „SAPV“-Team, das sich auf die ambulante Rund-um-die-Uhr-Palliativversorgung von Patienten zuhause, in Heimen oder Hospizen spezialisiert hat. Betreut werden nicht nur Krebspatienten, sondern auch Menschen mit COPD oder Herzerkrankungen.
„Und einige von ihnen“, sagt Irene Nelissen, „einige gehen auch wieder nach Hause.“