Heinsberg/Bochum. Beeinträchtigte Menschen und ihre Angehörigen sind angewiesen auf verständliche Texte. Ein Tool der Lebenshilfe hilft ihnen nun dabei.
Ein Knopfdruck – und die Welt wird ein Stück verständlicher. Für alle. Automatische Übersetzungen in Einfache oder Leichte Sprache würden nicht nur beeinträchtigten Menschen helfen. Wie viel Energie müssen wir aufwenden, um den bürokratischen Unterrichtungen von Ämtern nachzuforschen? Können Sie die Preisstufen von Bus und Bahn erklären? Und wenn mal ein Museum seine Kunstwerke in einfacher Sprache erklärt – raten Sie mal, welche Version die meisten Menschen lesen.
Alle öffentlichen Stellen müssen ihre Internetseiten sogar mit Leichter Sprache ausstatten. Aber auch Firmen, Krankenhäuser oder Schulen wollen verstanden werden. Sie nutzen oft die Einfache Sprache, die nicht ganz so strengen Regeln folgt. Aber warum gibt dann so viele unnötig komplizierte Texte? Kurz: Weil einfach formulieren schwierig ist. Und teuer. Eine Normseite mit rund 1500 Zeichen in Leichte Sprache zu übersetzen, kostet mit Zertifikat um die 90 Euro. Aber es naht Hilfe.
Künstliche Intelligenz (KI) kann nicht nur Proseminararbeiten schreiben oder Schülern beim Schummeln helfen. Sie kann auch Texte vereinfachen. Und so schauen gerade sehr viele Menschen auf die neue Technik. Die Stadt Duisburg zum Beispiel „beobachtet den Markt aufmerksam“, Gelsenkirchen „experimentiert gelegentlich“, heißt es. Aber noch seien die Werkzeuge nicht produktiv einsetzbar.
Schwerer Text rein, Knopf drücken, leichter Text raus
Der neueste Assistent allerdings scheint die Qualität deutlich zu heben. Entwickelt und im Juli veröffentlicht haben ihn die Lebenshilfe Heinsberg und der Kölner KI-Experte Christopher Meil. Der „Optimeil“ baut auf ChatGPT auf, und funktioniert auch genauso: Schwerer Text rein, Knopf drücken, leichter Text raus. Es gibt zusätzlich einen „Prüfer-Assistenten“, der Hinweise liefert: Dieses Wort müsste man erklären. Jene Formulierung wäre noch zu schwierig. Wenn im Herbst die neue „DIN-Norm Leichte Sprache“ kommt, soll das Werkzeug auch diese beherrschen.
Der Clou ist: Das Ganze setzt zwar eine Registrierung bei ChatGPT voraus (mit den üblichen Limits, was die Zahl der Abfragen angeht), ist ansonsten aber frei und kostenlos. Das soll nicht nur soziale Einrichtungen in ganz Deutschland ansprechen, sondern auch die Betroffenen selbst und ihre Helfer. Sie können nun mit ihrem Handy Texte abscannen und einfach selbst übersetzen. Die Lebenshilfe alleine unterstützt über eine Million Menschen in Deutschland, die Familien der rund 170.000 Mitglieder mit geistiger Behinderung eingerechnet.
Das Jobcenter stellt sich vor
Ein Beispiel: „Der sogenannte Regelsatz umfasst den Betrag, der Ihnen vom Jobcenter zur Sicherung Ihres Grundbedarfs überwiesen wird. In diesem pauschalen Betrag enthalten sind Kosten für Lebensmittel, ...“
Knopfdruck.
„Der Regelsatz ist das Geld, das Sie vom Jobcenter bekommen. Dieses Geld ist für das, was Sie zum Leben brauchen. Dazu gehören: - Lebensmittel, ...“
Das klingt erst mal viel verständlicher. Allerdings war das Beispiel nicht besonders schwierig. „Einen ohnehin einfachen Text kann ChatGPT sehr gut noch einfacher machen“, erklärt Michaela Blaha. Sie leitet in Bochum die „Idema – Gesellschaft für verständliche Sprache“, ein An-Institut der Uni Bochum – und sie ist skeptisch. „Je komplizierter der Sachverhalt, desto schlechter der Vorschlag. Dies gilt sowohl für ChatGPT als auch für das Tool der Lebenshilfe Heinsberg.“
Auch Blaha experimentiert mit den neuen Werkzeugen. Arbeitslos zu werden, befürchtet sie nicht: „Kundschaft mit einfachen Aufträgen kommt nun nicht mehr, die machen das nun selbst. Aber die waren ohnehin selten. Bei allen Texten, die ein bisschen komplizierter sind, muss man aufpassen.“ Es fehlt der rote Faden, es gibt unnötige Wiederholungen, Bezüge zu anderen Texten sind immer schwierig, und manchmal steckt der Fehler im Detail.
Eine irreführende Formulierung
Die Überschrift „Rechtsbehelfsbelehrung“ übersetzt das Tool der Lebenshilfe Heinsberg als „So legen Sie Widerspruch ein“. „Dies ist irreführend“, sagt Blaha. „Es könnte so verstanden werden, als müsse man Widerspruch einlegen.“ Sie würde die Überschrift „Ihre Rechte (Rechtsbehelfsbelehrung)„ empfehlen – das sperrige Wort sollte in Klammern bleiben, damit man damit weiter suchen kann.
„Viele Texte sind keine „Einzelprodukte“, sondern stehen im Zusammenhang mit anderen Texten.“
„ChatGPT arbeitet an der Oberfläche. Es fehlen oft die Punkte, die für den Empfänger wichtig wären. Wie Menschen mit Texten interagieren, weiß das Programm nicht.“ Allerdings leiden auch viele von Menschen geschriebene Texte daran. Eine Klinik im Ruhrgebiet stellt sich in Leichter Sprache so vor:
„Das Kranken-Haus hat viel
- medizinisches
und
- pflegerisches
Wissen.
Die Mitarbeiter von dem Kranken-Haus benutzen das Wissen.
Für das Wohl von den Patienten.
Jeden Tag.“
Der Verzicht auf den Genitiv bei „von den Patienten“ und der Bindestrich im „Kranken-Haus“ folgen durchaus den Regeln. Aber sind das wirklich die Infos, nach denen Menschen suchen? Oder erschwert diese (im Original noch viel längere) Einleitung den Zugriff aufs Wesentliche?
In erster Linie ein Werkzeug
Perfekt ist das Werkzeug der Lebenshilfe noch lange nicht, das wissen auch die Entwickler. Die Texte müssen weiterhin geprüft und korrigiert werden – bei vielen Dokumenten geht es auch um eine Zertifizierung. „Wir haben einen Übersetzer“, sagt Projektleiter Michael Kleinen aus Heinsberg. „Der war am Anfang skeptisch. Aber er hat nach einem Test von einer halben Stunde gemerkt, dass das Werkzeug ihm die Arbeit erleichtert und nicht abnimmt.“
Einen Bildungsvertrag von sechs Seiten haben die Heinsberger neulich in einer Stunde übersetzt – und ein Vielfaches an Zeit gespart. Die Hoffnung der Lebenshilfe ist nun, dass ihr Tool nicht eingesetzt wird, um Gelder zu kürzen, sondern um mehr Texte zugänglich zu machen. Auch mit Übersetzungen in leichtes Türkisch und andere Sprachen experimentieren sie bereits. Das Amt für Flüchtlingshilfe und die VHS sind schon interessiert.
Es gibt noch viel zu tun. Man könnte anfangen beim Gesetz für Leichte Sprache. Das heißt tatsächlich „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“.
Die Optimeil-Assistenten sind zu finden unter lebenshilfe-heinsberg.de/leichte-sprache.