Bochum. Krank, misshandelt, ausgesetzt: Immer mehr Hunde und Katzen landen in den Tierheimen des Ruhrgebietes. Drei schwer vermittelbare Fälle.
Sie macht das ja nicht erst seit gestern. Carmen Decherdt rechnet mal kurz. „30 Jahre bin ich hier im Tierheim Bochum“, sagt sie dann. Die letzten 15 davon als Leiterin. Nicht, dass es jemals leer gewesen wäre in dieser Zeit. „Aber so voll wie zurzeit, war es noch nie.“ Rund 55 Hunde, mehr als 80 Katzen, dazu diverse Kaninchen, Meerschweinchen und sogar zahme Ratten. „Wir platzen aus allen Nähten.“ Und in fast allen Heimen des Ruhrgebietes ist die Lage ähnlich.
Im Schnitt fünf Fundtiere jede Woche
Es wird auch so schnell nicht besser werden. Die Nachwehen von Corona und stark gestiegene Kosten für Haustiere lassen die Zahl der Tierheimtiere weiter steigen. „Wir haben allein im Schnitt fünf Fundtiere jede Woche“, sagt Decherdt. Von ihren Besitzern ausgesetzt, einfach irgendwo angebunden. Weil es an Zeit fehlt, sich um Hund und Katze zu kümmern, seit nach und nach wieder normal gearbeitet wird. Oder am Geld für Futter oder medizinische Hilfe. Dass das halbe Land derzeit in Urlaub fährt, macht die Situation nicht besser.
Viele Tiere, die jetzt ins Heim kommen, stammen aus dem Ausland. Manche sind aggressiv, viele völlig verängstigt. Von der Straße gerettet und im Sammeltransport nach Deutschland gebracht, landeten sie während der Pandemie bei völlig überfordertem Herrchen und Frauchen. „Ob Hund und Mensch zueinander passten, hat manche Tierschutzorganisation nicht besonders interessiert.“
Manche Interessenten bleiben unbelehrbar
Die Tierheime tut es das schon. Einfach vorbeikommen und „Bello“ mitnehmen, „so läuft das bei uns nicht“. Es gibt Gespräche, es gibt Fragen. „Wie wohnen Sie?“ „Wie viel Zeit haben Sie?“ „Wissen Sie, was ein Besuch beim Tierarzt kosten kann?“ Gerade bei der Antwort auf die letzte Frage seien „viele überrascht“. Manche aber bleiben unbelehrbar. Wie der Mittsiebziger, der trotz Gehbehinderung unbedingt einen großen, temperamentvollen Boxermischling haben wollte. „Das geht natürlich nicht“, sagt die Tierheimleiterin, stellt aber klar: „Das heißt nicht, dass wir älteren Menschen keine Tiere mehr geben würden.“ Gerne etwas kleinere und nicht unbedingt Welpen. „Aber meistens finden wir etwas.“ Für Hunde fallen für alle Neubesitzer ja nach Rasse 200 bis 300 Euro Abgabegebühren an, für Katzen 150 und für Kleintier zwischen 20 und 60 Euro
Manchmal kann es dauern. Weil es eben nicht nur süße Dackel-Babys sind, die ein neues Zuhause suchen. Hier sind einige „Problemfälle“ aus dem Bochumer Tierheim:
Die Prinzessin:
Eigentlich heißt sie Fiby, aber die meisten hier im Heim nennen sie „Prinzessin“. Weil der achtjährige Chihuahua besonders gerne auf einem grauen Thronsessel in der Rezeption sitzt und der Meinung ist, er müsste das Tierheim bewachen. Fremden gegenüber ist Fiby anfangs zurückhaltend, „aber wenn man einmal ihr Vertrauen gewonnen hat, ist das für immer“, weiß ihre Pflegerin Kinga Rzytki. Artgenossen im Haushalt mag sie nicht, Kinder nur bedingt. Und alleine zu Hause ist sie auch nicht gerne. Vor vier Monaten ist die Hündin abgegeben worden, weil sie immer wieder in die Wohnung ihrer Besitzer tröpfelte. Mittlerweile ist Fiby wieder „dicht“, muss aber für den Rest ihres Lebens Medikamente gegen ihre Herz- und Nierenleiden nehmen. „Aber da würden wir die neuen Halter unterstützen“, sagt ihre Pflegerin. Und ein wenig öfter als andere Hunde muss sie tagsüber raus. „So alle viel bis fünf Stunden.
Die Langohren:
Sie essen gerade. Und wenn sie essen, lassen sich Claude Monet und Leonardo da Vinci nicht stören. Sie sind 18 Monate alte Rex-Mischlinge. Die Kastrationszeit haben Sie bereits „abgesessen“, sodass einem zeitnahen Auszug – gerne zusammen, auf jeden Fall aber zurzeit - nicht viel im Wege steht. Aber weil sie nicht genügend wärmende Unterwolle haben, werden sie nicht in die Außenhaltung vermittelt. „Die müssen schon in der Wohnung bleiben“, bestätigt Pflegerin Jenna Gehlhaar. „Und da brauchen sie ein mindestens sechs Quadratmeter großes Gehege mit mindestens 1,20 Meter hohen Wänden. So süß sie da auch liegen, sind sie aber keine Kuscheltiere. Ganz im Gegenteil: „Wie die meisten Kaninchen finden sie Kuscheln furchtbar.“
Die kleine Fünferbande
Sie sind der Klassiker. Fünf Kätzchen ausgesetzt in einem Pappkarton und mittlerweile drei Monate alt. „Sonst wissen wir nicht viel über die Kleinen“, sagt Pflegerin Nicole. Außer dass sie „völlig verfloht“ waren, bei ihrer Ankunft im Tierheim. „Aber das ist alles erledigt.“ Alle fünf gemeinsam abzugeben „wäre ein Träumchen“, ist aber wohl wenig realistisch. Einzeln jedoch sollen sie nicht gehen. „Interessenten müssen mindestens zwei nehmen“. Und sie müssen den Tieren die Möglichkeit geben, als Freigänger rund um ihr neues Heim unterwegs sein. „Da wir nicht wissen, wo die Katzen herkommen, wissen wir auch nicht, ob sie drinnen oder draußen leben wollen.“ Weitere Informationen zu allen Fällen unter 0234 / 29 59 50 oder www.tierheim-bochum.de
Über 100 Tiere warten auf ein neues Zuhause
Drei Fälle von weit mehr als 100. „Und nicht die einfachsten, um sie zu vermitteln“, weiß Decherdt. „Aber wir geben nie auf.“ Ganz besonders die Heimleiterin nicht. „Auch nach 30 Jahren berührt das Schicksal der Tiere noch“, sagt sie. „Aber immer öfter auch das Schicksal der Menschen, die sie abgeben.“