Bottrop. Wolfgang Reh kaufte auf der Insel dutzendweise Immobilien. Sein Traum vom „Mallorca der Nordsee“ endete im Knast

Vom gelernten Elektromeister zum Immobilien-König, und dies auf Deutschlands schönster Insel – was zunächst wie ein Märchen klang, ging später gründlich schief. Vor über 40 Jahren kaufte der Bottroper Wolfgang Reh, der bis dahin viel Geld mit Immobilien verdient hatte, über 100 Häuser, acht Hotels und verschiedene Firmen auf Sylt. Mit dem eigenen Reisedienst wollte er die Insel zum „Mallorca des Ruhrgebiets“ machen. Sein Traum wurde zum Alptraum, zu einem der größten Immobilien-Skandale jener Zeit. Den beteiligten Banken entstand ein Schaden von 145 Millionen Mark. Und Reh wanderte 1990 wegen Beihilfe zur Untreue für fünf Jahre ins Gefängnis. Eine Geschichte vom Größenwahn eines Mannes aus dem Ruhrgebiet und der Gier mancher Insulaner.

Schwere Stürme, meist aus Nordnordwest, stecken die Sylter gleichmütig weg. Doch der finanzielle Orkan, der Anfang der 80er-Jahre über die Lieblingsinsel der Deutschen fegte, ist dort bis heute nicht vergessen. Damals kaufte der 1942 geborene Bottroper Wolfgang Reh alles auf, was er kriegen konnte. Neben Häusern und damals bekannten Hotels wie das Hanseat und den Sylter Hof in Westerland waren dies noch eine Kurklinik, eine Autovermietung, ein Taxiunternehmen, ein Reisebüro und eine Wäscherei.

Seine Mitarbeiter gingen von Haus zu Haus, boten den Eigentümern Kaufsummen weit über dem Marktwert an. Viele Besitzer, denen Reh Traumpreise für deren Immobilien versprach, erlagen dem Lockruf des Geldes. Und manche traten sogar diskret an ihn heran, um zu verkaufen. So baute sich Reh ein Tourismus-Imperium auf, kontrollierte in seiner Hochphase rund 5000 Gästebetten. Mit dem Ziel, die Zahl zu verdoppeln. „Sylt könnte man auch in Rehland umtaufen. Da läuft nichts mehr ohne mich“, zitierte die Sylter Rundschau im Februar 1984 den Bottroper, der zu dem Zeitpunkt von verschiedenen Medien schon zum „König von Sylt“ gekrönt worden war.

Insulaner protestierten

Doch die Kohle aus dem Ruhrpott spaltete das Inselvolk. Hatten einige reichlich abkassiert, so wehrten sich andere dagegen, dass die Königin der Nordsee noch heftiger als bis dato geschehen zum Spekulationsobjekt verkommen könnte. Es hatte sich herumgesprochen, dass Reh einige Häuser schon kurz nach dem Erwerb zum zwei- oder dreifachen Preis an Investoren weiterverkauft hatte. Zudem stand das Image Sylts auf dem Spiel. So wuchs in Westerland und anderen Gemeinden der Widerstand gegen den Spekulanten. Aber auch die Touristen aus Duisburg, Gelsenkirchen oder Herne, die oft mit Bussen des Reh-eigenen Reiseunternehmens anrollten, wurden nicht überall freudig empfangen. Dabei trifft das Klischee von der Insel der Reichen und Schönen längst nicht mehr zu. Für Grundstücke und Häuser zwischen Hörnum und List werden aber unverändert Schwindel erregende Preise aufgerufen. Und wer in einem der knapp 38.000 Betten in den 360 Herbergen Sylts (Stand Ende 2023) nächtigt, muss in der Regel tiefer in die Tasche greifen als anderswo in im Land.

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In den frühen 1980er-Jahren drehte Reh ungehindert sein großes Rad. Im Laufe der Zeit investierte er 170 Millionen Mark in Hotelbauten, häufte 1984 bis zu 350 Millionen Mark an Schulden an, so der Autor Friedhelm Wessel in seinem Buch „Bottrops dunkle Seiten“. Viele der oft zum doppelten Marktwert gekauften Immobilien wurden trickreich zwischen seinen zahlreichen Firmen hin und her verkauft, um weitere Kredite zu erhalten. Warum die Banken den so erzielten Scheingewinn nicht durchschauten und ihre Sicherungssysteme versagten, bleibt schleierhaft.

Utopische Mieteinnahmen

Dass Wolfgang Rehs Spekulationen zunächst erfolgreich waren, lag auch an den utopischen Mietgarantien, mit denen er Investoren geködert hatte. Für viele gab es danach ein böses Erwachen, denn Sylt ist bekanntlich kein Sonnenparadies. In den dunklen Monaten stehen viele Appartements leer. Wenn die versprochenen Mieteinnahmen realistisch wären, „müsste das Jahr 700 Tage haben“, stellte der renommierte Sylter Makler Reinhold Riel im Oktober 1983 bei einer Talkrunde im Westerländer Kursaal fest. Reh hätte das Drei- bis Vierfache von dem versprochen, was erzielbar gewesen wäre. Unterdessen schob die Politik dem Treiben des Bottropers baurechtlich einen Riegel vor. Die Stadt Westerland verabschiedete eine Satzung, die eine Änderung alter Bausubstanz untersagte. Grundrisse durften nicht mehr verändert werden. Andere Insel-Gemeinden folgten. Der Umbau alter Häuser in die auf Sylt üblichen Zwei-Zimmer-Ferienappartements hatte sich damit erledigt. Rehs Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht blieb erfolglos.

Das Luftbild zeigt Häuser auf Sylt. Hier kaufte der Bottroper Wolfgang Reh dutzendweise Immobilien. Sein Traum vom „Mallorca der Nordsee“ endete im Knast
Das Luftbild zeigt Häuser auf Sylt. Hier kaufte der Bottroper Wolfgang Reh dutzendweise Immobilien. Sein Traum vom „Mallorca der Nordsee“ endete im Knast © dpa | Daniel Reinhardt

Im März 1984 kündigte Wolfgang Reh seinen Rückzug von der Insel an. „Ich will mich nicht mit der ganzen Welt anlegen“, sagte er damals der Rheinischen Post. Die Reh-Sylt-Reisen gebe es von nun an nicht mehr. Stattdessen wolle er sich in Ferienzentren wie St. Peter Ording, Winterberg und Oberstaufen engagieren. Es blieb ein frommer Wunsch, denn schon Ende Mai 1984 stellte der Bottroper Vergleichsanträge für fünf seiner wichtigsten Unternehmen. Die Staatsanwaltschaft Essen prüfte zeitgleich, ob gegen Reh ein Wirtschaftsstrafverfahren eingeleitet werden müsse – was im Juni dann auch geschah. Anfang Juli 1984 kam Reh in Untersuchungshaft. Mit ihm gingen auch Vorstände einer Bank und der Geschäftsführer eines Reh-Unternehmens hinter Gitter. „Das Reh-Imperium brach zusammen wie ein Kartenhaus“, konstatierte später der Autor und Journalist Friedhelm Wessel in der WAZ.

Im Dezember 1984 berichtete die Sylter Rundschau, dass nach Auskunft des Amtsgerichtes Niebüll bis zum anstehenden Konkursverfahren 260 Objekte unter Zwangsverwaltung stehen würden. Im Jahr darauf wurden zahlreiche Immobilien versteigert. Wer damals den Zuschlag erhielt, dürfte heute sehr viel Freude an seinem Investment haben. Der Prozess gegen Reh wurde im September 1986 vor dem Landgericht Essen eröffnet, gegen Zahlung einer Kaution kam er im März 1987 frei.

Debakel für die Banken

Es stellt sich die Frage, warum Geldinstitute dem als Finanzakrobat bekannten Bottroper immer wieder Kredite zur Verfügung stellten, obwohl deren Sicherung fragwürdig war. Vor allem die Volksbank Oberhausen/Mülheim „ließ sich von Reh ungedeckte Kredite abschwatzen, obwohl bekannt war, mit welch üblem Finanzjongleur man sich einließ“, stellte „Die Zeit“ nach der Urteilsverkündung im Februar 1990 fest.

Mehr als drei Jahre hatte sich der Prozess hingezogen, an dessen Ende Wolfgang Reh wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde. Das gleiche Strafmaß erhielt Günter Flock, der ehemalige Vorstand der Volksbank Oberhausen/Mülheim, wegen Untreue. Zwei andere Bänker kamen mit Bewährungsstrafen davon. Rund 145 Millionen Mark büßte die Bank wegen der fadenscheinigen Deals ein. Wie abenteuerlich so manche Finanzierung anmutete, erläuterte der Vorsitzende Richter am Beispiel eines Schlossers, der bei einem Nettoeinkommen von 2100 Mark Immobilien im Wert von einer Million Mark auf Kredit gekauft hätte.

Heute ist nicht sicher, ob Wolfgang Reh noch lebt. Wenn ja, hat sich seine Spur verloren.

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